Die Arbeitslosigkeit sinkt. Trotzdem ist in Stuttgart der Anteil der Betroffenen, die älter als 50 sind, schon wieder gestiegen.
   

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Fast könnte man meinen, auf dem Arbeitsmarkt wäre schon im Februar der Frühling ausgebrochen. Entgegen der üblichen Entwicklung ist im vergangenen Monat die Arbeitslosenquote im Land gesunken, in Stuttgart um 0,1 Punkte auf 6,1 Prozent im Vergleich zum Januar.

 

Dieser erfreuliche Trend gilt aber nicht für alle Gruppen von Erwerbslosen gleichermaßen. Insbesondere Arbeitslose, die 50 Jahre und älter sind, profitieren von dem aktuellen Aufschwung nur geringfügig. Ihr Anteil an der Zahl aller Erwerbsloser ist im Februar sogar ein weiteres Mal gestiegen, auf nunmehr 29,1 Prozent.

Angesichts des Fachkräftemangels fordert die Arbeitsagentur deshalb von den Unternehmen in der Region Stuttgart vermehrte Anstrengungen, um auch dieser Altersgruppe wieder eine Brücke zurück ins Erwerbsleben zu bauen oder diese im Arbeitsprozess zu halten.

Die Älteren wurden in der Krise als Erste entlassen

Dabei ist die langfristige Entwicklung durchaus erfreulich: So hat der Anteil der Älteren unter den sozialversicherungspflichtig beschäftigten Menschen selbst in den vergangenen vier Jahren, also auch in der Krise, zugenommen, in Stuttgart von 22,6 auf 24,5 Prozent im vergangenen Jahr. Dieser Umstand täuscht aber darüber hinweg, dass unter jenen Arbeitnehmern, die in der Krise ihren Job verloren haben, ganz besonders die Älteren betroffen waren.

Die Zahl der Erwerbslosen in der Gruppe 50 plus hat in der Landeshauptstadt zwar im Verlauf von gut einem Jahr von 5259 auf 5208 Ende Februar wieder leicht abgenommen. Weil dieses Minus aber gemessen am allgemeinen Rückgang der Arbeitslosigkeit nur gering war, ist der Anteil dieser Altersgruppe unter allen Erwerbslosen von 24,7 Prozent im Krisenjahr 2008 auf 29,1 Prozent gestiegen.

"Die Älteren haben nicht die gleichen Einstellungschancen wie andere Altersgruppen", stellt Jürgen Schwab, der Chef der Arbeitsagentur Stuttgart, kritisch fest. Ohne diese Gruppe werde es aber nicht gelingen, den insbesondere im verarbeitenden Gewerbe steigenden Ersatzbedarf beim Personal zu befriedigen.

Der Anteil der Älteren ist in den Vorjahren gestiegen

Dabei ist man sich auch bei der Arbeitsagentur bewusst, dass ältere Erwerbslose, die sehr gut qualifiziert sind, inzwischen wieder bessere Chancen auf eine Rückkehr ins Erwerbsleben haben. Doch die Agentursprecherin Silke Böhm sagt: "Selbst ein Teil der Fachkräfte ohne Arbeit kommt nur noch schwer wieder in den Markt."

Die Zeitarbeit sei für diese Gruppe jedenfalls kein Sprungbrett, anders als für jüngere Erwerbslose. Böhm: "Die Firmen übernehmen sie nicht." Und nach wie vor nutzten die Unternehmen Fördermöglichkeiten für unzureichend ausgebildete ältere Mitarbeiter im Betrieb zu wenig. Auch das Angebot des Eingliederungszuschusses - die Agentur bezahlt dem, der einen älteren Erwerbslosen einstellt, im Schnitt zwölf Monate lang etwa 50 Prozent des Bruttolohns - werde kaum angenommen.

Herbert Hilger, Geschäftsführer bei Südwestmetall für den Bereich Stuttgart, Böblingen und Sindelfingen, hält die Chancen für ältere Fachkräfte in der Metall- und Elektroindustrie für günstig. Seit zehn Jahren sei der Beschäftigungsanteil dieser Gruppe in den Branchen des Metallverbandes von 19 auf 28 Prozent gestiegen. "Und wir befinden uns jetzt wieder in einer Situation, in der auch ältere Facharbeiter eingestellt werden", ist Hilger überzeugt. Angesichts des großen Fachkräftebedarfs seien die Firmen heute "froh über jeden qualifizierten Mitarbeiter".

Der Geschäftsführer räumt aber ein, dass es auch Gründe gebe, warum Unternehmen ältere Bewerber nicht in gleichem Maße einstellten wie jüngere. Aufgrund der geltenden Kündigungsschutzregelungen "wächst der soziale Schutz mit dem Alter", so Hilger, auch bei erst kurzer Betriebszugehörigkeit. Und in der Gruppe der über 50-Jährigen sei die Quote derer, "die mit modernen Techniken nicht so gut zurechtkommen", größer als bei Jüngeren.

Rentenklagen als Indiz

Sozialprozesse: Ein Indikator für die schwierige Lage von Erwerbslosen, die älter als 50 sind, auf dem Arbeitsmarkt ist die hohe Zahl von Rentenversicherungsverfahren bei den acht Sozialgerichten im Land. Diese machen dort 23 Prozent aller Klagen aus – in der Berufungsinstanz beim Landessozialgericht sogar 31 Prozent – und liegen damit hinter den Hartz-IV-Verfahren auf Platz zwei aller Rechtsgebiete. Seit der Hartz-IV-Reform 2005 stieg die Zahl der erstinstanzlichen Rentenverfahren im Land von 7937 auf 8662 im Jahr 2010, das sind gut neun Prozent mehr.

Erwerbsminderung: Ein Grund für diese Entwicklung ist auch die Hartz-IV-Reform, durch die Erwerbslose, wenn sie nach einem Jahr Arbeitslosigkeit noch keine Stelle haben, nicht mehr wie früher Arbeitslosenhilfe, sondern HartzIV erhalten, was für die Betroffenen erhebliche Einkommenseinbußen bedeutet. „In dieser Situation suchen viele Ältere, gerade wenn sie gering qualifiziert und gesundheitlich angeschlagen sind, einen Ausweg in einem Rentenantrag wegen Erwerbsminderung“, sagt Heike Haseloff-Grupp, die Präsidentin des Landessozialgerichts in Stuttgart.

Vorteile: Eine Rentenzahlung wegen Erwerbsminderung hat für die Betroffenen zwei Vorteile: Bei Hartz IV wird bei der Berechnung des Bedarfs gegebenenfalls das Einkommen des Ehepartners einbezogen ebenso wie über die Jahre angespartes Vermögen, bei der Rente dagegen ist das nicht der Fall.