In Berlin hat der DB-Aufsichtsrat stundenlang über die erneute Kostenexplosion bei dem Großprojekt beraten. Minister Hermann befürchtet Schaden für die Demokratie.
Stuttgart - Die Deutsche Bahn AG wird frühestens im Januar über mögliche Änderungen beim Großprojekt Stuttgart 21 entscheiden. Das verlautete aus DB-Kreisen am Rande der Aufsichtsratssitzung im Berliner Bahn-Tower, die sich am Mittwoch bis in die Abendstunden hinzog. Das 20-köpfige Kontrollgremium des größten Staatskonzerns, in dem auch drei Staatssekretäre der Bundesregierung sitzen, erwartet dann von DB-Chef Richard Lutz und seinem Vize Ronald Pofalla Vorschläge zur Lösung der massiven Kosten- und Terminprobleme.
Ende November wurde öffentlich, dass die Kosten für den unterirdischen Durchgangsbahnhof und 59 Kilometer Tunnelstrecken im Stadtgebiet um mindestens eine Milliarde auf 7,6 Milliarden Euro steigen werden. Zudem könnte sich das Vorhaben, zu dem auch ein neuer Bahnhof auf den Fildern gehören soll, sich um weitere drei Jahre verzögern und erst im Jahr 2024 in Betrieb gehen. Damit haben sich die Kosten verdreifacht.
Die Bundesregierung und die DB geraten deshalb weiter unter Druck. „Öffentlich finanzierte Großprojekte, die immer teurer werden, machen die Glaubwürdigkeit von Politik und öffentlichen Unternehmen kaputt, wenn Ansagen zum Kosten- und Zeitrahmen derartig unrealistisch sind und ständig überholt werden wie bei Stuttgart 21“, kritisiert der Verkehrsminister von Baden-Württemberg, Winfried Hermann (Grüne).
Das Land will nicht mehr zahlen als maximal 930,6 Millionen Euro
Aus Sicht der Bevölkerung stünden „am Ende alle als Lügner da“, sagte Hermann unserer Zeitung. „Das ärgert mich, weil es schon immer kritische Stimmen gegeben hat. Wenn Projekte so aus dem Ruder laufen wie beim Berliner Flughafen BER, der Elbphilharmonie und bei Stuttgart 21, schadet das der Demokratie.“
Hermann betonte, dass das Land am Kostendeckel festhalte, wonach sich Baden-Württemberg am vertraglich vereinbarten maximalen Kostenrahmen von 4,526 Milliarden Euro mit höchstens 930,6 Millionen Euro beteilige. „Dabei bleibt es“, so der Minister. „Das Land hat immer wieder klar erklärt, dass es keinen Cent mehr bezahlen wird.“
Mit Blick auf ein mögliches langwieriges Gerichtsverfahren aufgrund der Klage der Deutschen Bahn gegen das Land auf Übernahme von Mehrkosten sagt Hermann: „Irgendwann wird man sich überlegen, ob es vernünftig ist, dass zwei staatliche Ebenen sich darüber streiten, aus welcher Quelle der Steuerzahler angezapft wird.“ Das Land sei nicht zuständig für den Bau eines Bahnhofes und aus der freiwilligen Beteiligung ließen sich „keineswegs weitere Zahlungsverpflichtungen ableiten“.
Mehr als die Hälfte der Strecken ist schon gesprengt und gebohrt
Mehr als drei Milliarden Euro Baukosten sind bei S21 nicht finanziert und es ist bisher völlig offen, wer diese Ausgaben finanziert. „Die Steuereinnahmen würden es hergeben, dass der Bund die Finanzierungslücke füllt“, sagt Hermann. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) solle sich „daran erinnern, dass sie bei der letzten Kostenerhöhung um zwei Milliarden Euro im Jahr 2013 im Bundestag S21 als Projekt von überragender internationaler Bedeutung im Interesse Deutschlands bezeichnet hat“. Damit habe sie selbst den Bund in Verantwortung für das Vorhaben genommen.
Vor dem DB-Aufsichtsratstreffen demonstrierte das Aktionsbündnis gegen S21 vor dem Bahntower. Der Vorsitzende Eisenhart von Loeper forderte wie seit Jahren den Umstieg auf ein Alternativkonzept mit oberirdischen Strecken, das mehrere Milliarden Euro im Vergleich zum riskanten Tunnelbau im schwierigen Stuttgarter Untergrund einsparen würde. Allerdings ist mehr als die Hälfte der Strecken schon gesprengt und gebohrt.
Wirtschaftsexperte: „S21 ist ein Lehrbuchbeispiel für Risiken und Fehler“
Der Bahnexperte der Grünen im Bundestag, Matthias Gastel, warnt, die Bahn drohe von mehreren Milliarden Euro nicht finanzierter Kosten erdrückt zu werden. „Wir brauchen endlich ein strenges Kostenmanagement und eine realistische Risikobewertung beim Tunnelbau“, forderte der Politiker aus Filderstadt. Der DB-Aufsichtsrat müsse „beim drohenden Milliardendesaster Stuttgart 21 endlich für Transparenz sorgen“. Das Märchen von der Eigenwirtschaftlichkeit des Projekt sei am Ende.
Nach Ansicht von Wirtschaftsprofessor Alexander Eisenkopf von der Zeppelin Universität Friedrichshafen hätte die Bahn Stuttgart 21 längst gestoppt, wenn sie ein privates Unternehmen wäre. Als Staatskonzern sei die Bahn aber nicht konkursfähig und letztlich werde der Steuerzahler einspringen. „S21 ist ein Lehrbuchbeispiel für Risiken und Fehler bei politisch beeinflussten Großprojekten“, kritisiert der Professor, der im wissenschaftlichen Beirat des federführenden Bundesverkehrsministeriums sitzt.