Zweieinhalb Jahre nach dem Rücktritt als Staatsoberhaupt und rund ein halbes Jahr nach dem Freispruch durch das Landgericht Hannover sucht Christian Wulff wieder von sich aus die Öffentlichkeit und spricht in Stuttgart über seinen Fall.

Stuttgart - Der gestürzte Bundespräsident ist aus der Deckung gekommen. Zweieinhalb Jahre nach dem Rücktritt als Staatsoberhaupt und rund ein halbes Jahr nach dem Freispruch durch das Landgericht Hannover sucht Christian Wulff wieder von sich aus die Öffentlichkeit. Mit seinem Buch „Ganz oben Ganz unten“, mit ausführlichen Interviews und jetzt mit einem Auftritt in Stuttgart versucht der 55- Jährige seine Version der Ereignisse, die zu seinem tiefen Fall aus den höchsten Höhen der Politik führten, unters Volk zu bringen.

 

„An mir haben sich alle abgearbeitet“, sagt Wulff am Montagabend auf einer Veranstaltung der Stuttgarter Nachrichten und der Buchhandlung Wittwer in der Liederhalle. Wulff ist überzeugt, Opfer eines Meinungskartells der führenden Medien des Landes geworden zu sein – von „Bild“ über die „FAZ“ bis zum „Spiegel“. Als er und seine Frau ins Schloss Bellevue einzogen, seien sie schon deshalb für viele „eine Provokation“ gewesen, weil sie beide relativ jung gewesen seien und in einer „Patchwork-Familie“ gelebt hätten. Aber auch inhaltlich habe er „provoziert“. Einigen habe sein Satz, der Islam gehöre inzwischen zu Deutschland, nicht gefallen. „Danach habe ich einen sehr schweren Stand gehabt.“

Der ehemalige Bundespräsident sieht seinen Fall als Lehrstück über die Macht der Medien. „Für mich ist das ein Fanal, ein Menetekel.“ Eine ganze Reihe von Journalisten hätten bei ihrer Berichterstattung „in die unterste Schublade gegriffen“. Die Verhältnismäßigkeit, auch seine Menschenwürde seien missachtet worden. Selbst „der Freispruch hat mir eigentlich wenig gebracht“, stellt Wulff fest. „Bild“ und andere Medien hätten ihn schon vorher schuldig gesprochen – und ihr Urteil bis heute nicht revidiert.

Verrohung des öffentlichen Diskurses schade Demokratie

Wulff beklagt generell eine Verrohung des öffentlichen Diskurses, ein Übermaß an Häme und Diffamierung. Dies werde der Demokratie schaden. Wenn Politiker „zu jagdbarem Wild“ würden“, stünden immer weniger Bürger für ein öffentliches Amt zur Verfügung, sagt er. „Das ist meine ernste Sorge.“

Wulff ist an diesem Abend nicht gezwungen, über seine eigenen Versäumnisse, über die sonstigen Gründe seines Rücktritts Auskunft zu geben. „Über meine Fehler muss diskutiert werden“, sagt er dazu nur. Er will den Blick lenken auf die Fehler der Medien, der Staatsanwälte und der politischen Klasse. Politiker hätten sich „einspannen lassen“. Auch sie sollten, „wenn der nächste dran ist“, darauf achten, dass in der Auseinandersetzung zwar „gerichtet, aber nicht hingerichtet wird“.

Die Medien ruft Wulff, der in seinen erfolgreichen Zeiten als Politiker durchaus enge Beziehungen zu Zeitungen wie „Bild“ gepflegt hat, zu Mäßigung und Selbstkritik auf. „Die Journalisten tun gut daran, über sich selbst nachzudenken“, sagt er. Demokratie gebe es nur mit einer freien Presse, nur mit investigativem Journalismus. Der Qualitätsjournalismus müsse verteidigt werden. Aber nach seinem Fall sollten „die Journalisten diskutieren: Was können wir besser machen?“

Er selbst will sich offensichtlich nicht mehr als aktiver Politiker ins Feuer des öffentlichen Meinungsstreits begeben. Sein neues Leben beschreibt er als „Dreiklang“ aus Familie, Anwaltstätigkeit und seiner Arbeit als „Altpräsident“. Mit seinem Buch habe er seinen Blick auf die Ereignisse dargelegt, ein „zeitgeschichtliches Dokument vorgelegt“. Danach wolle er sich aber „aus der Debatte wieder herausziehen“.