Mit Hubschraubern, Hunden, Spezialkräften und Hunderten Beamten sucht die Polizei nach einem 31-Jährigen. Er ist bewaffnet und kennt sich in den Wäldern rund um Oppenau sehr gut aus. Die Stadtverwaltung schließt Schulen und Kindergärten im Ort.

Oppenau - Über dem beschaulichen Schwarzwaldort Oppenau im Ortenaukreis dröhnen am Montagvormittag die Motoren der Polizeihubschrauber. In einem Radius von mehr als fünf Kilometern rund um Oppenau im Schwarzwald gilt für alle anderen ein Flugverbot. Ein Fußballfeld außerhalb der Ortschaft, direkt neben der Bundesstraße 28 zwischen Freudenstadt und Straßburg, dient als Startfeld. Gleich daneben stehen in Reih und Glied Dutzende Einsatzfahrzeuge der Polizei, es herrscht emsige Betriebsamkeit. Mehrere Hundert Beamte sind zu diesem Zeitpunkt im umliegenden Wald im Einsatz, unterstützt werden sie von Suchhunden, ortskundigen Führern, dem Technischen Hilfswerk und anderen. Sie suchen einen einzigen Mann: Yves R.

 

Die Straßen in dem Städtchen sind an diesem heißen Tag so gut wie leer. In einem Café sitzen etwa zehn Gäste, viele Geschäfte sind geschlossen. Wegen Corona seien generell schon weniger Menschen unterwegs, sagt der Besitzer einer Eisdiele. Aber man merke schon, dass sich Oppenau gerade im Ausnahmezustand befinde.

Am Sonntagmorgen wurden die Beamten des Polizeireviers Achern/Oberkirch auf einen verdächtigen Mann aufmerksam gemacht. Dieser hielt sich nahe Oppenau an einer Waldhütte auf – in Tarnkleidung, bewaffnet mit Pfeil und Bogen, hieß es in einer der ersten Meldungen des Polizeipräsidiums Offenburg. Eine anschließende Kontrolle lief völlig aus dem Ruder: Dem 31-Jährigen gelang es, vier Beamte mit einer plötzlich gezogenen Pistole zur Herausgabe ihrer Dienstwaffen zu bringen. Anschließend flüchtete er mit seiner Beute in den Wald.

Die Menschen in Ortenau sind dazu angehalten, zu Hause zu bleiben

Nun sind die Beamten vorbereitet: Bereits vor dem Ortseingang der Renchtalgemeinde beobachten am Montagmorgen schwer bewaffnete und gepanzerte Spezialeinheiten den Verkehr auf der B 28 – die Gewehre haben sie einsatzbereit vor dem Körper. Neben einem Helm tragen die Beamten einen schwarzen Mundschutz. Nur die Augen sind zu sehen – konzentriert blicken sie immer wieder in vorbeifahrende Autos.

Nach wie vor warnt die Polizei davor, im Gebiet um Oppenau Anhalter mitzunehmen. Die Menschen sind dazu angehalten, zu Hause zu bleiben. Die Stadtverwaltung hat die Schulen im Ort geschlossen. Zu groß ist die Angst, R. könnte den Kindern etwas antun. Die richtige Entscheidung, sagt eine 77 Jahre alte Bewohnerin der Gemeinde vor dem Supermarkt. „Man weiß ja nicht, ob er vielleicht durchdreht.“ Da sie allein in einem Haus lebe, habe sie die Tür in der vergangenen Nacht fest verschlossen, sagt die Frau. Sie hoffe, dass die Polizei den Gesuchten bald finde.

Ein Einzelhändler aus dem Ort bezeichnet den 31-Jährigen als komisch, im Sinne von merkwürdig. „Ich weiß nicht, ob er der Typ ist, der sich ergibt“, sagt er über den Gesuchten. Es gebe einige Leute im Ort, die Angst vor dem 31-Jährigen hätten. Der Mann habe keinen festen Wohnsitz, sei bereits im Gefängnis gewesen und habe im Auto gewohnt. Manchmal sei er mit einem langen Ledermantel und einer Ratte durch den Ort gestreift.

Wie konnte es zu diesem Desaster kommen?

Yannik Hilger, Sprecher des Polizeipräsidiums Offenburg, wird an diesem Montag immer wieder mit den gleichen Fragen konfrontiert: Wie konnte es zu diesem Desaster kommen? Wie konnte ein einzelner Mann vier Polizeibeamte entwaffnen und fliehen? Die einfache aber unfassbare Antwort: Yves R. scheint die Polizeibeamten schlicht überrumpelt zu haben. Da man im Vorfeld wusste, dass der Mann mit Pfeil und Bogen bewaffnet war, sahen die Beamten zu viert nach dem Rechten. Zunächst lief die Kontrolle dann wohl auch ganz entspannt ab. „Der Gesuchte war erst sehr kooperativ“, berichtet Hilger. Plötzlich kippte die Stimmung: Der 31-Jährige zog eine Waffe und richtete sie aus nächster Nähe auf die Ordnungshüter. „Die Polizeibeamten haben unvermittelt aus kurzer Distanz in den Lauf einer augenscheinlich scharfen Waffe geblickt“, sagt Hilger. Für taktische Überlegungen sei keine Zeit gewesen. Gleichzeitig habe R. die Polizisten angeschrien, sie aufgefordert ihre Dienstwaffen auf den Boden zu legen und sich zu entfernen – dem kamen die überraschten Beamten nach.

Doch werden die Polizisten nicht für genau solche Situationen geschult? Oder anders ausgedrückt: Hätte man nicht von Anfang an hart gegen den bewaffneten Mann vorgehen und ihn fesseln müssen? „Wir untersuchen den Vorgang intern“, versichert der Polizeisprecher. Die Kriminalpolizei und die Staatsanwaltschaft seien an der Aufklärung der Situation dran. Jedoch: „Selbst mit einigem Abstand zum nachdenken hätte ich den Kollegen auch kein Patentrezept präsentieren können“, erklärt der Polizist.

Der Gesuchte ist der Polizei bereits bekannt

Hilger begleitet den Fall seit Sonntag – die Nacht auf Montag war kurz. Eine abschließende Beurteilung müssen also die internen Ermittlungen liefern. Ob R. die Beamten vielleicht zunächst bewusst in Sicherheit wiegen wollte, um dann den Überraschungsmoment zu nutzen, bleibt vorerst Spekulation. Allerdings ist der 31-Jährige nicht nur im Ort, sondern auch bei der Polizei bekannt. In der Vergangenheit sei er wegen verschiedener Delikte in Konflikt mit der Polizei geraten, berichtet Hilger, meist wegen illegalem Waffenbesitz. Er kommt aus der Region, hält sich oft in den umliegenden Wäldern auf. Einen festen Wohnsitz hat er auch laut Polizeiangaben nicht. Er habe wohl schon seit Wochen in den umliegenden Wäldern seinen Unterschlupf.

Erst am Samstag hatten Zeugen den 31-Jährigen im Bereich der „Kleinebene“ – einer Grillstelle mit Spielplatz oberhalb des Ortskerns – gesehen. Deshalb geht die Polizei davon aus, dass sich der Gesuchte in dem unwegsamen Gelände rund um Oppenau sicher bewegt und sehr gut auskennt.