Ein ganzes Jahrhundert hat Alfred Pich aus Leonberg schon erlebt. Mit einem Text über seine Erlebnisse während des Zweiten Weltkrieges hat er jetzt beim Schreibwettbewerb des Kreisseniorenrates gewonnen.

„Ich habe immer einen Zettel und einen Kuli auf meinen Nachtschränkchen liegen, falls mir nachts etwas einfällt, dann mach ich mir gleich Notizen“, erzählt Alfred Pich, der vor einigen Wochen seinen 100. Geburtstag feiern konnte. Er hat immer schon gern geschrieben und im großen Verwandten- und Bekanntenkreis Geschichten und Gedichte zum Besten gegeben.

 

Von seiner schriftstellerischen Leidenschaft zeugen nicht nur eine gedruckte Familienchronik und seine Lebenserinnerungen in Buchform, zahlreiche Gedichte, von denen auch die Zeitung schon welche veröffentlicht hat, sondern ebenfalls die regelmäßige Teilnahme am Schreibwettbewerb des Kreisseniorenrats.

Im Krieg ging es nur ums Überleben

Seit 17 Jahren nimmt Alfred Pich an dieser Veranstaltung, inzwischen als ältester Einsender von Texten, teil. In diesem Jahr lautete das Thema „Was Freiheit für mich bedeutet.“ Der Leonberger beschreibt darin in bewegenden Worten seine Erlebnisse in der Jugend und im Krieg an der Front in Russland, dessen Schrecken er nur durch einen glücklichen Zufall entronnen ist. Für diesen Beitrag erhielt Alfred Pich den Preis der Leonberger Kreiszeitung.

Auch in den Texten der vergangenen Jahre thematisierte er häufig seine Jugend- und Kriegserfahrungen, etwa 2011, als der Wettbewerb unter dem Motto stand „Was mich nicht loslässt“. Darin beschreibt er, wie er in englischer Kriegsgefangenschaft, von Hunger geplagt, mithilfe eines im Krieg gefundenen Eherings frisches Brot eintauschen konnte. In einem Text von 2016 unter dem Motto „Was wirklich zählt“ reiht er die in seinem Leben wichtigen Kapitel auf: „Überleben, Arbeit und eine neue Bleibe zu finden, eheliche Gemeinschaft und möglichst noch ein Weilchen gesund zu bleiben“.

Als Kradmelder an der Ostfront

1922 im damaligen Liebthal am südlichen Rand des Riesengebirges als ältestes von fünf Kindern geboren, musste der Jugendliche direkt nach Beendigung der Realschule mit der Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann im Geschäft eines Onkels beginnen. „Am Freitag war die Schule zu Ende, am Montag fing die Lehre an“, erinnert er sich. Als der junge Mann schließlich während des Krieges an die Front nach Russland beordert wurde, kamen ihm seine Erfahrungen als Motorradfahrer zugute – er wurde bis Kriegsende als Kradmelder beim Regimentsstab eingesetzt.

In den Jahren nach der Kriegsgefangenschaft – eine Rückkehr in die angestammte Heimat im Sudetenland war nicht mehr möglich – versuchte Alfred Pich, sich mit verschiedenen Jobs ein neues Leben aufzubauen. „Damals musste man jede Stelle annehmen“, erinnert er sich. „Ich war verheiratet und hatte zwei Kinder, ich habe mich laufend beworben.“ 1959 fand der Kaufmann schließlich in Stuttgart eine geeignete Stelle im Außendienst.

Das aktuelle Geschehen in der Stadt und der Welt

Die Familie zog 1960 in eine Mietwohnung in neugebauten Häusern im Leonberger Stadtteil Ramtel. 1970 erwarb das Ehepaar eine Wohnung in Leonberg, in der Alfred Pich bis heute lebt und sich sehr wohl fühlt, wie er sagt. Seine Frau ist 2006 nach langer Krankheit gestorben, er habe sie bis zum Schluss gepflegt. „Wir sind viel gereist und gewandert“, blickt er auf das gemeinsame Leben zurück.

Bis vor einem Jahr konnte der agile Senior noch von seiner Wohnung zum Marktplatz laufen. Inzwischen machen die Beine nicht mehr ganz so gut mit. Heute wird er zum Mittagessen regelmäßig in die Sozialstation Haus Sonnenschein gefahren. Dort gibt es nicht nur leckeres Essen, denn eigentlich kann er noch selbst gut kochen, erzählt er. Es gibt auch Unterhaltung und gute Gespräche. „Ich treffe dort regelmäßig zwei Herren, mit denen ich mich über das aktuelle Geschehen hier in der Stadt und in der Welt austausche“, so Alfred Pich, der „seit 50 Jahren jeden Tag ausführlich die Leonberger Kreiszeitung“ liest.

Sonntags geht es dann zum Essen zu seiner Tochter. Auf die Frage, was denn für ihn wirklich zählt im Leben, um noch einmal das Motto eines Schreibwettbewerbs aufzugreifen, sagt er: „Was für mich wirklich zählt in allen Lebenslagen ist der persönliche Kontakt, das verbindende oder klärende Gespräch und die Tolerierung anderer Meinungen.“

Der persönliche Kontakt zählt

Als besonders einschneidendes Erlebnis hat er die Erfahrungen im Krieg erlebt. „Wer den Krieg an der Front überlebt hat, kann nur von Glück sprechen, vor allem, weil er so sinnlos war.“ Umso mehr ist er jetzt vom Angriffskrieg gegen die Ukraine betroffen. „Ich hätte nie geglaubt, dass ich so etwas noch einmal erleben muss, zumal ich selbst im Krieg in der Gegend um Charkiw war. Es geht einfach nur um Machtstreben.“

Schreibwettbewerb

Thema
 Bereits zum 33. Mal hat der Kreisseniorenrat Böblingen seinen Schreibwettbewerb ausgerichtet. Das Motto in diesem Jahr lautete „Was Freiheit für mich bedeutet“. Mitmachen dürfen seit einigen Jahr nicht nur Senioren sondern auch Menschen jüngeren Alters. So ist die jüngste teilnehmende Person gerade mal zehn alt gewesen.

2023
 Passend zum 50-jährigen Jubiläum des Landkreises wurde das Thema für 2023 gewählt: „50 Jahre Landkreis Böblingen – mein Erlebnis“ heißt es nächstes Jahr.