Die Tausschule in Backnang gehört schon jetzt zu den besten im ganzen Land. Vielleicht schafft sie es sogar ins Finale des renommierten Deutschen Schulpreises.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Backnang - Die Neuntklässler sitzen in Kleingruppen an den Tischen. Bewerbungstraining steht auf dem Stundenplan. Es wird getuschelt und gelacht. Denn gleich müssen die Jugendlichen in die Rolle eines Bewerbers schlüpfen, ihre Lehrerin wird dann die Personalchefin mimen. Hinten im Raum sitzen Hans Anand Pant und Wolfgang Chur, machen sich Notizen, richten gelegentlich leise eine Frage an Saskia Mesgol. Die Schülerin begleitet die beiden Fachleute an diesem besonderen Tag durch das verwinkelte Gebäude der Backnanger Tausschule.

 

Hans Anand Pant gehört zur Jury des renommierten Deutschen Schulpreises, den die Bosch-Stiftung und die Heidehof-Stiftung seit 2006 jährlich vergeben. Gesucht wird die beste Schule Deutschlands. Genau 114 Schulen aus fast allen Ecken der Republik haben sich beworben. 20 sind ins „Halbfinale“ gekommen, drei davon aus Baden-Württemberg: neben der Tausschule die Mannheimer Keplerschule sowie die Werkrealschule Aichhalden im Schwarzwald. Sie alle bekommen dieser Tage Besuch von Experten wie Pant, dem Direktor des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen an der Berliner Humboldt-Universität, und Wolfgang Chur, der im Kuratorium der Bosch-Stiftung und im Stiftungsrat der Heidehof-Stiftung sitzt.

Bis Ende März sortiert die Jury noch fünf Schulen aus. Und wenn alles glatt läuft, wenn keiner der Beteiligten vorab plaudert, wird der Sieger am 3. Juni bei der Verleihung in Berlin erstmals genannt. Der Deutsche Schulpreis ist mit 250 000 Euro der höchstdotierte Schulpreis Europas. Der Gewinner erhält 100 000 Euro.

Pant macht sich wieder Notizen, fast immer trägt er dabei ein freundliches Lächeln im Gesicht. Manchmal kann er auch ernst gucken. In solchen Momenten fragt er die Schüler beispielsweise, ob der Unterricht im Alltag denn immer so oder so ähnlich ablaufe. Während sich die Neuntklässler auf ihren Auftritt als Bewerber vorbereiten, erklärt die super aufmerksame Schülerlotsin Saskia: „Das ist alles wie immer.“ Pant guckt sie an: „Das hoffen wir.“

Pant hat einen Blick dafür, ob etwas echt oder nur Show ist

Er habe einen Blick dafür, ob etwas echt oder nur Show ist, sagt er. Und erzählt vom Vorabend, als die Juroren sich zum Gespräch mit Eltern getroffen hatten. Die berichteten, dass sie ganz begeistert seien von der Grund- und Werkrealschule in der Taus. Meistens lobten die Mütter und Väter die Schulen in den höchsten Tönen, sagt Pant. Bei den Backnangern sei das aber „durchaus überzeugend“ gewesen.

Genug gesehen bei den Neunern. Pant wandert weiter von Klassenzimmer zu Klassenzimmer, fragt Schüler auf dem Gang: „Wie ist es so mit Handys im Unterricht?“ – „Ist zwar verboten, kann man aber nicht unterbinden.“ „Und wie sieht’s mit Drogen aus?“ Rauchen auf den Toiletten, das sei ein Problem. Aber harte Drogen, nein, die gebe es wohl nicht in der Tausschule, die sich als „Brennpunktschule“ bezeichnet – auch wegen des hohen Anteils von Kindern aus Zuwandererfamilien. „Im Werkrealschulbereich sind es rund zwei Drittel“, sagt der Rektor Jochen Nossek, der erst seit sechs Monaten im Amt ist. Eine Lehrerin erzählt, dass fast alle der knapp 60 Kollegen den Beschluss mittragen, die Tausschule zur Gemeinschaftsschule weiterzuentwickeln: „Schon vor fast vierzig Jahren hatte ich diesen Traum.“

Bei den Fünftklässlern steht eine „Baden-Württemberg-Rallye“ auf dem Stundenplan. Die Buben und Mädchen sitzen in Kleingruppen, zu zweit oder allein an den Tischen. Pant fragt den kleinen Alexander, weshalb er sich ausgesucht habe, das Landespuzzle ganz allein zu machen. Alexander guckt nicht wirklich glücklich und sagt nur: „Weil ich halt will.“ Nächste Frage: „Sieht es hier immer so aus?“ Luca antwortet blitzschnell mit einem lauten „Ja! Haben Sie sonst noch Fragen?“ Frau Starsinski erzählt, dass sie froh sei über die kleine Klasse mit knapp 20 Schülern und dass die Kinder als Experten gefragt seien. Sogenannte Lernpaten erklären jenen Mitschülern, die noch Nachholbedarf haben, „auf ihre Weise“ den Unterrichtsstoff.

Pant und die anderen Experten merken bald: die Tausschule ist gut vorbereitet. Es ist ja auch nicht das erste Mal, dass Besuch kommt von fremden Erwachsenen, die komische Fragen stellen. Die Backnanger Schule mit ihren rund 600 Schülern hat unter dem früheren Rektor Schielke mehrere Preise eingeheimst. Zuletzt wurde sie vor zwei Jahren Landessiegerin beim Hauptschulpreis „Starke Schule“. Es gibt hier einen Schulwald, eine Schülerfirma, Streitschlichter und vieles mehr.

Viel Zeit für jeden einzelnen Schüler

Kurzbesuch in einer Kleingruppe: Pant beobachtet sechs Kinder aus vier Klassenstufen, die noch nicht gut Deutsch sprechen. Frau Höfer hat viel Zeit für jeden ihrer Schützlinge. Für Angelos und Valentina, für Kamilla und Robert, für Xenia und Konstantina. Die Buben und Mädchen sitzen nebeneinander und blicken auf ein Bild, das einen Supermarkt von innen zeigt. Angelos sagt: „Ich sehe eine Dose.“ Sehr gut. Valentina sagt: „Ich sehe eine Waage.“

In der nächsten Kleinklasse unterrichtet Frau Stangl Kinder, die Probleme haben oder Probleme machen. Mal geht es um ADHS, mal um Gewalt im Elternhaus. Die Pädagogin arbeitet eng mit einer Schule für Erziehungshilfe, mit der Schulsozialarbeit und mit dem Jugendamt zusammen. „Und wo können Sie sich ausheulen?“, fragt Pant. „Ich habe einen guten Mann – und super Kollegen.“ Dann gebe es ja auch noch Fortbildungsveranstaltungen und Supervision.

In der Klasse 2c, sagt Pant, gehe es „lebendig, aber nicht überbordend“ zu. In Berlin sähe das ganz anders aus, „schlimm anders“. Am Spätvormittag guckt der Juror bei der Kompetenzanalyse in Klasse sieben vorbei. Vier Kinder sollen den Besuch einer vierköpfigen Familie auf einem Schulfest planen, bei dem jedes Familienmitglied auf seine Kosten kommt. „Als es losging mit der Kompetenzdiskussion, war ich eher skeptisch“, sagt Frau Maag-Treß, die seit 1980 Lehrerin ist. Sie sei bald eines Besseren belehrt worden. Sie habe immer gedacht, dass sie die Kinder, die sie seit zwei Jahren unterrichtet, in- und auswendig kenne. Doch mit Hilfe der neuen Methode des gezielten Beobachtens in Kleinstgruppen „sehe ich doch Neues“. Die Kompetenzanalyse sei an der Tausschule entwickelt worden und eine wichtige Grundlage, um Kindern den Weg ins Berufsleben zu erleichtern, sagt Frau Maag-Treß.

Besuch bei der Schulsozialarbeiterin

Pant ist begeistert – „das ist etwas ganz Besonders, das gibt es an vielen anderen Schulen nicht“. Eine Aussage, die Auskunft darüber geben könnte, ob die Backnanger Tausschule denn Chancen hat, unter die letzten 15 Schulen zu kommen, macht Pant freilich nicht. Auch die anderen Juroren halten sich da tunlichst zurück.

Nach einer internen Besprechung der Fachleute geht die Tour durch die Schule weiter. Der Geschäftsführer der Heidehof-Stiftung, Michael Brenner, trifft die Schulsozialarbeiterin Sabine Weller. Sie berichtet, dass sie voll integriert sei in den Alltag. Sie nehme teil an den Konferenzen und Ausflügen, gehe mit den Schülern zu Beratungsstellen wie Pro Familia oder ins Jugendhaus. „Was könnte besser laufen?“, fragt Brenner. Nach einer Pause sagt Frau Weller, sie wünschte sich, dass die Schule noch klarere Regelungen hätte, wie auf Gewalt zu reagieren ist – „stur und strikt wie bei Verstößen im Straßenverkehr“. Außerdem wünscht sie sich einen „Dresscode“, Hotpants und schulterlose Shirts gehörten aus ihrer Sicht auf den Index.

Im Hort dann wieder ganz ähnliche Fragen und nahezu identische Antworten: Die Zusammenarbeit mit den Lehrern sei sehr gut, die allermeisten Pädagogen seien super engagiert, sagen die Mitarbeiterinnen. Brenner sagt: „Das ist alles stimmig.“

Nach dem Schulbesuch ziehen die Gäste Zwischenbilanz, sie loben das „sehr, sehr respektvolle Miteinander“ und die „gelungene Integrationsarbeit“. Einer der Experten erzählt von einem Viertklässler, der ihm gesagt habe, dass ihm die Schule ans Herz gewachsen sei. Michael Brenner sagt: „Die Schüler können sich auf diese Schule verlassen, das ist ein hervorragendes Merkmal.“ Die Schulsprecherin Jael Mesgol meint: „Es ist echt gut hier.“ Und ein paar Kinder, die gerade als Erste aus einem Klassenzimmer gestürmt sind, würden ihrer Tausschule den Preis auf jeden Fall geben. Aber das schönste Lob verschenkt die Sechstklässlerin Rita – an ihren Rektor: „Immer wenn ich den Herrn Nossek sehe, dann ist der Tag ein guter Tag.“