Der Streik der Lokführer hat Deutschland in dieser Woche ausgebremst. Doch auch mit der Automatisierung wird es den streikfreudigen Berufsstand nach Meinung von Experten noch lange geben.
Die Bahn kommt – mal wieder nicht. Erst in dieser Woche gab es einen Lokführerstreik, der Millionen Menschen in Deutschland betraf. Gewerkschaftsführer Claus Weselsky und seine GDL legten Deutschland lahm.
Wäre es nicht besser, auf Lokführer zu verzichten? So könnte man nicht nur Kosten sparen. Ein Computer ist nie krank, nimmt nie Urlaub – und streikt nicht. Längst gibt es Züge, die ohne Fahrer auskommen: Die Nürnberger U-Bahn fährt schon seit 2008 autonom. Auch Straßenbahnen sind fahrerlos im Einsatz, ebenso der Zug zwischen den Terminals am Flughafen Frankfurt.
Der Sprung ist gewaltig
Könnte die Automatisierung Bahnkunden künftig vor streikenden Lokführern bewahren? „Da muss ich Sie enttäuschen“, sagt Dirk Flege vom Interessenverband Allianz pro Schiene. „Lokführer wird es auch in zehn Jahren noch geben – und mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit auch weit darüber hinaus.“ Der Sprung von einem „geschlossenen System“ wie einer U-Bahn zu einem „offenen“ wie einer Regionalbahnstrecke oder gar einer ICE-Strecke ist gewaltig. Neben den höheren Geschwindigkeiten gibt es auch ein größeres Risiko für Unfälle. Auf eine Schiene unter freiem Himmel kann sich ein Mensch oder ein Wildschwein verirren oder ein Baum stürzen. Probleme, die es im U-Bahntunnel so nicht gibt.
Dennoch wird auch überirdisch der Computer immer wichtiger. „Durch mehr Vernetzung und Assistenzsysteme kann man bis zu 30 Prozent Energie sparen und rund 30 Prozent mehr Züge auf einer Schiene fahren lassen“, sagt Flege. Auch bei der Pünktlichkeit verspricht er sich Fortschritte.
In Hamburg werden schon automatisierte S-Bahnen im Regelbetrieb erprobt. Hier sitzt allerdings noch ein Lokführer an der Spitze des Zuges. Doch es wird an Bahnen gearbeitet, die sich ohne Menschen im Führerstand bewegen. So sollen Züge künftig die Fahrten aus dem Depot bis zur Bereitstellung automatisch bewältigen können. Zughersteller Siemens Mobility plant 2026 einen solchen Zug vorzustellen. Das würde zumindest Arbeitsstunden bei den Lokführern einsparen.
Künftig eher mehr Lokführer notwendig
Der Fachkräftemangel könnte sich durch die Automatisierung der Züge allerdings noch verstärken, sagt Holger Last. Er leitet das Entwicklungsprogramm für automatisierte Schienenfahrzeuge bei Siemens Mobility. „Ich glaube, dass wir in Zukunft eher noch mehr Lokführer benötigen. Das automatisierte Fahren ermöglicht es, mehr Züge auf den bestehenden Strecken einzusetzen. Für diese Züge wird man Fahrzeugführer einstellen müssen“, sagt er.
Beim Vergleich zwischen selbstfahrenden Autos und selbstfahrenden Zügen lacht Last etwas gequält. „Ja, das vollautomatisierte Fahren auf der Schiene ist einfacher als das auf der Straße“, sagt er. Erst in dieser Woche fuhr Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) bei seiner USA-Reise in einem fahrerlosen Auto des Unternehmens Waymo. Den Vorsprung des Autos beim automatisierten Fahren erklärt man sich in der Branche recht simpel. Waymo ist eine Tochterfirma des Tech-Riesen Google und verfügt über ein Forschungsbudget, dass viele in der Schienenbranche neidisch werden lässt.
Entwicklerchef Last sagt mit Blick auf die Entwicklung bei Zügen dennoch: „Deutschland ist beim Thema automatisiertes Fahren gut aufgestellt, auch mit Förderprojekten und der Zusammenarbeit zwischen Industrie und Universitäten.“
Die GDL bleibt entspannt
Bei der streikfreudigen GDL sieht man der Automatisierung im Übrigen entspannt entgegen. „Man kann im komplexen System Bahn eine U-Bahn vollautomatisch fahren oder einen Skytrain am Flughafen, aber ganz sicher keinen ICE“, sagte Gewerkschaftschef Weselsky dieser Redaktion. Bei der Gewerkschaft rechnet man allerdings durchaus damit, dass sich der Beruf verändern wird. Vielleicht sitzen Lokführer künftig nicht im Zug, sondern in einem Leitstand und steuern aus der Ferne. Dennoch ist sich Weselsky sicher: „Vollautomatische Züge ohne Lokführer wird es auf lange Sicht nicht geben.“
Fahren ohne Fahrer
Grade
Beim automatisierten Fahren bei Zügen spricht man von unterschiedlichen Graden der Automatisierung. Stufe null ist das herkömmliche Fahren auf Sicht. Bei Stufe eins gibt es Assistenzsysteme, die punktuell oder kontinuierlich eingesetzt werden können.
Stufe drei
Bei Stufe drei gibt es keinen Lokführer mehr, sondern lediglich einen Zugbegleiter, der für die Türsteuerung verantwortlich ist und über einen Hilfsführerstand den Zug bei Bedarf steuern kann. Bei Stufe vier ist kein Personal mehr im Zug. Alle Abläufe erfolgen automatisch, die Leitstelle kann allerdings aus der Ferne in den Betrieb eingreifen.