Tübingen könnte zügig Wohnungen für 2000 Menschen schaffen – wenn die Eigentümer von Baugrundstücken diese endlich bebauen oder verkaufen würden, sagt OB Boris Palmer.

Tübingen - Viele Grundstückseigentümer in Tübingen werden in den nächsten Wochen Post von Boris Palmer erhalten. Der Oberbürgermeister der 87 500-Einwohner-Stadt sucht händeringend Bauland – und er weiß auch, wo es zu finden ist. Denn bereits zu Beginn seiner Amtszeit 2008 war Palmer mit dem Problem Wohnungsmangel konfrontiert. Deshalb ließ er seinerzeit alle Baulücken erfassen und bat die Eigentümer, zu bauen oder die Grundstücke zu verkaufen. Etwa ein Viertel der Lücken seien inzwischen geschlossen, sagt Palmer, neue seien dazugekommen.

 

Kleiner geworden ist die Wohnungsnot in der Studentenstadt allerdings nicht – obwohl die Zahl der neuen Wohnungen von 350 auf 700 pro Jahr angewachsen ist. Denn seit 2008 ist die Zahl der Einwohner um rund 11 000 gestiegen. Deshalb macht Palmer nun erneut Druck: „Wir haben allein in Tübingen sofort 500 baureife Grundstücke, auf denen 1000 Wohneinheiten realisiert werden könnten“, sagt er. Das sei Wohnraum für mindestens 2000 Personen. Diese Wohnungen ließen sich weit schneller errichten als die für etwa 1500 geplanten in den sieben Teilorten.

Notfalls Baugebote

Um innerstädtische Bauflächen zu gewinnen, weist Palmer in seinem Brief auf eine Möglichkeit hin, die kürzlich auch Landeswirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) zum Ärger vieler Parteifreunde ins Spiel gebracht hat: Nach dem Bundesbaugesetzbuch können Kommunen ein Baugebot anordnen. Damit können sie Eigentümer zwingen, ausgewiesenes Bauland zu bebauen. Kommen diese der Aufforderung nicht nach und verkaufen sie ihr Land auch nicht, könnten sie enteignet werden. Das will Palmer möglichst vermeiden.

„Mir ist bewusst, dass die Ankündigung eines Baugebots für Sie als Grundstückseigentümer ein tiefer Einschnitt in die Verfügungsfreiheit über Ihren Besitz darstellt“, heißt es in dem Briefentwurf, der unserer Zeitung vorliegt. „Nach Artikel 14 unseres Grundgesetzes unterliegt das Eigentum jedoch einer Sozialbindung.“ Die Angeschriebenen sollen der Stadt verbindlich mitteilen, ob sie vorhaben, in den nächsten vier Jahren zu bauen und spätestens in zwei Jahren einen Antrag stellen wollen. „Einer relativ kleinen Zahl von Grundstückseigentümern, die es sich leisten können, auf Jahrzehnte ein Grundstück unbebaut vorzuhalten, steht eine weitaus größere Zahl von Familien gegenüber, die aktuell dringend ein Grundstück suchen und nicht finden“, so Palmer. Ein solcher Widerspruch führe zu Spannungen in der Gesellschaft. Es sei zwar verständlich, dass Baugrundstücke für Kinder oder Enkel vorgehalten würden. Aber nach mehreren Jahrzehnten sei das nicht mehr angemessen. Für die Grundstücke will die Stadt den aktuellen Verkehrswert bezahlen.

Stadt sichert Erstkaufsrecht zu

Um Eigentümern die Verkaufsentscheidung zu erleichtern, macht er ihnen ein Gegenangebot: Sie sollen in den nächsten 25 Jahre ein Erstzugriffsrecht auf städtische Grundstücke erhalten, die verkauft werden, falls sie für Angehörige bauen wollen.

Mit seinem Vorstoß geht Palmer deutlich weiter als andere Bürgermeister und Oberbürgermeister. Der Gemeindetag hat kürzlich die Überlegungen im Wirtschaftsministerium abgelehnt. „Der Schutz der Eigentümer hat überragende Bedeutung“, erklärte Gemeindetagspräsident Roger Kehle. Er plädierte dafür, neue Modelle zu erproben - etwa, dass Grundstücke befristet bereitgestellt werden. Dort könnten zum Beispiel Holzhäuser errichtet werden, die sich nach einiger Zeit ¬wieder entfernen ließen. Städtetagsdezernentin Susanne Nusser sagte, erst einmal müsse der Bund seine Aufgaben machen und Änderungen bei der Grundsteuer vornehmen. Durch eine stärkere Besteuerung unbebauter Grundstücke könnten Eigentümer zum Verkauf motiviert werden.

Auch Palmer fordert eine Änderung des Baurechts. Die Zugriffsmöglichkeit der Kommunen müssten vereinfacht werden, um schnelle Verfahren zu ermöglichen und Rechtsklarheit für alle Betroffenen zu schaffen. „Wenn ein klar definiertes Baurecht besteht, dann kann die Gemeinde eine Baupflicht durchsetzen, wenn es in dieser Gemeinde einen amtlich anerkannten Mangel an Wohnraum gibt. Weitere Kriterien und Ansätze für Rechtsstreitigkeiten sind falsch.“

Nicht zum ersten Mal prescht Palmer beim Thema Wohnungen vor. Anfang 2016 machte der Grünen-Politiker Druck, leere Wohnungen an die Stadt zu vermieten, damit diese Flüchtlinge unterbringen konnten. Etwa 100 Wohnungen seien auf diesem Weg gewonnen worden, sagt Palmer.