Seit mehr als vierzig Jahren schreibt Paul Maar Kinderbücher. Ihm ist es wichtig, nicht immer nur auf sein berühmtes Sams angesprochen zu werden. Er kann nämlich noch viel mehr. Annette Schwesig ist ihm begegnet.

Reise: Annette Schwesig (apf)

Stuttgart - Jedes Jahr im Sommer zieht sich Paul Maar für mehrere Monate zum Schreiben zurück. Dann verlässt er sein gemütliches und gastfreundliches Heim in Bamberg und fährt hinaus aufs Land. Dort darf ihn dann außer seiner Frau niemand besuchen, und selbst ihre Anwesenheit ist auf drei Tage pro Woche befristet. Paul Maar nennt das Ferienhaus seine „Schreibwerkstatt“. Es gibt dort keinen Fernseher, keine sonstigen Ablenkungen. „Ich stehe jeden Tag in der Früh auf, so dass ich spätestens um halb zehn am Schreibtisch bin, und sitze da dann auch die ganze Zeit“, erzählt der 75-Jährige. „Was soll ich auch sonst tun? Und so komme ich nach und nach in eine tiefe Konzentration und in ein konsequentes Schreiben hinein.“

 

Der vielfach ausgezeichnete Kinder- und Jugendbuchautor nennt dieses asketische Arbeiten selbst schmunzelnd „etwas Thomas-Mann-haft“. Der Vergleich ist hoch gegriffen, doch mit voller Absicht gewählt. Paul Maar ist Schriftsteller, doch dass er für Kinder und Jugendliche schreibt, macht aus ihm keinen Schriftsteller zweiter Klasse, auch wenn ihn manche zu seinem Verdruss als solchen ansehen. „Ich gehe innerlich nicht in die Hocke, weil ich für Kinder schreibe. Ich sehe Kinderliteratur als Literatur an“, sagt Maar.

Paul Maar geht sehr ernsthaft ans Werk

Das ist für einen Kinderbuchautor ungewöhnlich selbstbewusst. Sonst sind diese in der Regel bemüht, sich selbst möglichst klein zu machen und alles Auratische in Auftritt und Selbstaussage zu vermeiden. Vor allem Autorinnen – und nicht die schlechtesten – erzählen gern, dass sie am Küchentisch arbeiten, während die eigenen Kinder dabei um sie herumkrabbeln. Sich und die Arbeit ja nicht zu wichtig nehmen – es ist ja nur für Kinder!

Nichts könnte Paul Maar fremder sein. Und vermutlich ist genau diese Ernsthaftigkeit, mit der er ans Werk geht, die Erklärung für seinen seit Jahrzehnten anhaltenden Erfolg. Maar ist der meistgespielte deutsche Autor der Gegenwart und wird deshalb gerne immer wieder aufgefordert, doch endlich für Erwachsene zu schreiben. „Als ob dies etwas Besseres wäre. Ich glaube vielmehr, dass nicht jeder Autor automatisch gute Kinderliteratur schreiben kann.“

Fantasy oder All-Age-Literatur gehört für ihn nicht unbedingt dazu, jedenfalls mag er sie nicht. „Die Verlagsprospekte kann man mittlerweile kaum mehr voneinander unterscheiden: alles ist dunkel, überall sind Totenköpfe, Ritter und Drachen drauf. Ich mache einen großen Unterschied zwischen Fantasy-Literatur und fantastischer Literatur. Fantasy-Literatur ist für mich nur die Flucht aus der Realität. Ich glaube aber, für Kinder ist es wichtig, noch einen Bezug zur Realität zu haben.“

Manchmal hat er es satt, nach dem Sams gefragt zu werden

Der Klassiker dieser Art Literatur ist selbstredend das „Sams“. Der Alltag der Hauptfigur Herr Taschenbier ist, bevor das Sams in sein Leben tritt, erwartbar bis trist. Durch das wundersame Wesen Sams wird das Leben des schüchternen Herr Taschenbier verzaubert und verschönert. Ein typisches Stilmittel Maars ist es, den Einbruch des Poetischen oder Wunderbaren in die Realität durch Reime anzuzeigen. Dadurch werden die kleinen Leser quasi an die Hand genommen und aus der Realität in das Reich des Schönen entführt – und am Ende genauso sanft wieder zurückgeleitet. Man kann das Pädagogik nennen, man kann das aber auch einfach Schöne Literatur nennen. Was machen erfolgreiche Schriftsteller mit ihren erwachsenen Lesern denn anderes? Man geht anders aus dem Buch heraus, als man hineingegangen ist, man ist leichter als zuvor, aber nicht betäubt. Das schaffen die mittlerweile sieben „Sams“- Bücher, das schaffen aber auch alle die anderen Werke. „Ich habe rund 50 Bücher geschrieben, manchmal hab ich es schon satt, immer nur nach dem ,Sams’ gefragt zu werden, “ sagt Maar. Sein Lachen dabei ist sehr eigen: es ist leise, glucksend und scheint ganz nach innen zu gehen und dort langsam zu versickern.

Maar ist im Lauf seines langen Lebens – seit vergangenen Donnerstag sind es 75 Jahre – den Weg durch alle Genres und Gattungen gegangen: er hat Romane, Gedichte, Theaterstücke geschrieben. Zuvor hat er in Stuttgart an der Staatlichen Akademie der Künste studiert, danach als Kunsterzieher unter anderem an einem Gymnasium in Stuttgart-Feuerbach gearbeitet. Nach wenigen Jahren als Oberstudienrat hat er diese sichere Position an den Nagel gehängt und ist freier Autor geworden. Das Malen und Zeichnen hat er deshalb jedoch nicht aufgegeben. Viele seiner Bücher hat er selbst illustriert. Immer schon hat er auch mit der Musik geliebäugelt, in den letzten Jahren vermehrt. Er hat eine Kinderoper geschrieben, ein Musical und vor zwei Jahren die CD „Das fliegende Kamel“, ein Hörbuch mit Musik, veröffentlicht. Unlängst wurde mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks „Paulas Reisen“ aufgeführt. „Jetzt fehlt eigentlich nur, dass ich noch zu tanzen anfange“, sagt er und schüttelt mit einem schelmischen Grinsen seine grauen Locken.

Neue Pläne behält Paul Maar erst einmal für sich

Natürlich hat er Pläne und Ideen für neue Werke. Darüber redet er aber nicht gerne. Nicht nur in der Öffentlichkeit nicht, auch seiner Familie erzählt er ungern von unfertigen Geschichten. „Die sind dann in der Welt und ich hab nicht mehr die Möglichkeit, sie noch zu verändern. Auch hab ich Angst, dass in diesem Stadium Kritik meine Schreibeuphorie zerstören könnte, erläutert Maar. „Während des Schreibens bin ich empfindlich wie eine Mimose. Danach bin ich sehr erpicht auf Kritik. Auch auf harte.“ Die Kritik, auch harte, kommt von Sohn Michael. Michael Maar ist ebenfalls Autor, vor allem aber einer der originellsten Literaturwissenschaftler und besten Essayisten überhaupt im deutschsprachigen Raum. „Früher war es so, dass Michael gefragt wurde, ob er der Sohn von Paul Maar ist. Mittlerweile ist es so, dass ich gefragt werde, ob ich was mit Michael Maar zu tun habe“, erzählt Paul Maar. und man hat nicht den Eindruck, als ob ihn das kratze. Da ist sie dann doch kurz, die Bescheidenheit des typischen Kinderbuchautors.

Paul Maar und Stuttgart

Eine schwäbische Hausmeisterin ist das Vorbild der unfreundlichen Frau Rotkohl aus den „Sams“-Geschichten: Paul Maar und seine Frau Nele haben, als ihre Kinder noch klein waren, in Stuttgart in einem fünfstöckigen Haus gewohnt. Die Hausmeisterin hat immer geschimpft, wenn die Kinder im Hof spielten.

Am Sonntag, 6. Januar, ist Paul Maar an der Württembergischen LandesbühneEsslingen zu Gast und liest aus dem dritten Band „Wiedersehen mit Herrn Bello“. Die Lesung beginnt um 11 Uhr im Schauspielhaus. Auch mit dem „Fliegenden Kamel“ wird Maar Anfang 2013 nach Stuttgart kommen.