Mord und Totschlag gibt es, seit es Menschen gibt. Doch wann datiert der erste „echte“ Krieg in Europa? Forscher haben ein steinzeitliches Massengrab mit mehr als 330 Toten in Nordspanien neu untersucht. Das Ergebnis: Hier führten verfeindete Gruppen einen monatelangen Krieg gegeneinander.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Wann kam der Krieg in die Welt? Wann war das erste Gemetzel in der Geschichte des Homo sapiens – des weisen Menschen –, in dem sich Menschen gegenseitig abschlachteten, meuchelten, mordeten?

 

Mord und Totschlag gibt es schon seit es Menschen gibt. Davon zeugen fossile Relikte gewaltsam getöteter Neandertaler oder die Gletschermumie „Ötzi“. Doch das waren Kämpfe zwischen Individuen und noch keine echten Kriege – also länger anhaltende und organisierte Konflikte in größerem Maßstab.

„Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“

Wenn es zutrifft, was der preußische Militärtheoretiker Carl von Clausewitz in seinem 1832 posthum erschienenen Hauptwerk „Vom Kriege“ schrieb, dass „Krieg eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ ist, dann muss es schon in den frühen Gruppen Regelungen gegeben haben, die verbindliche und auf Gewalt und Macht beruhende Entscheidungen beschlossen.

8000 v. Chr.: Das Massaker vom Turkana-See

Die weltweit ältesten Spuren eines kriegerischen Dramas fanden Archäologen am Westufer des Turkana-Sees im heutigen Kenia und Tansania, einer Wiege der menschlichen Evolution.

27 Männer, Frauen und Kinder starben hier vor rund 10 000 Jahren. Die Spuren des Massakers gelten als älteste Indizien für eine Gewalttat, die auf einen Kampf zwischen zwei Gruppen einander fremder Menschen hinweisen. Die prähistorische Bluttat ist zugleich der erste sichere Beleg für die äußerst gewalttätige Vergangenheit des Homo sapiens. Und sie beweist, dass schon die frühen Jäger-und-Sammler-Kulturen Konflikte ausfochten, welche die Kriterien eines Krieges erfüllen.

Was macht Konflikte zum Krieg?

Plastikfiguren, die steinzeitliche Jäger darstellen. Foto: Imago/YaY Images

Der Schweizer Ethnologe Jürg Helbling definiert Krieg als „geplante und organisierte bewaffnete Auseinandersetzung zwischen autonomen Gruppen“. Damit sind auch Konflikte aus jenen Zeiten impliziert, als es noch keine organisierten Staaten gab. Also schon in der Jungsteinzeit, lange bevor dort komplexe, hierarchische Gesellschaften entstanden.

Der Grund, warum ausgerechnet vor rund 10 000 Jahren die ersten Werkzeuge zum Töten verwendet wurden, liegt nahe: Vor rund 11 000 Jahren veränderte die Neolithische Revolution zunächst in Afrika und im Nahen Osten die Gesellschaft grundlegend.

Rund drei Jahrtausende später erreichte diese Veränderung der Jäger- und Sammlergesellschaft auch Mitteleuropa. Die Menschen wurden sesshaft und betrieben auf dem Land Ackerbau und Viehhaltung. Sie begannen, Vorräte und Besitz anzuhäufen. Dinge, auf die Konkurrenten neidvoll ein Auge warfen.

1250 v. Chr.: Die Schlacht im Tollensetal

Im Tollensetal verlief in der Bronzezeit eine wichtige Handelsroute. Foto: Imago/Pop-Eye

Als erste nachgewiesene Schlacht in Europa gilt das Gemetzel im Tal des Flusses Tollense um das Jahr 1250 v. Chr. nahe dem Ort Altentreptow in Mecklenburg-Vorpommern. Dort fanden Spatenforscher insgesamt 12 000 Knochen von 144 Menschen. In Schädeln klafften Löcher wohl von Keulen, in einem der Köpfe steckte noch eine Pfeilspitze.

Die Tollense war in der frühen Bronzezeit eine wichtige Handelsroute. Den Angreifern ging es um ihre Kontrolle oder sie griffen Händler an, raubten sie aus und töteten sie anschließend. Möglicherweise waren bis zu 2000 Männer an dem Konflikt beteiligt.

3300 v. Chr: Der Krieg von Rioja-Alavesa

Steinzeitliches Grab bei Laguardia. Foto: Imago/Cavan Images

Doch bereits 2000 Jahre vor Tollense kam der Krieg nach Europa. Es war ein Steinzeitkrieg, nicht kurze Scharmützel zwischen kleineren Gruppen, sondern über Monate, vielleicht sogar Jahre andauernde gewalttätige Auseinandersetzungen.

Dies belegen Analysen eines steinzeitlichen Massengrabs in Spanien, in dem mindestens 338 Tote liegen. Die meisten von ihnen weisen Spuren schwerer Verletzungen auf, wie die Archäologin Teresa Fernández-Crespo von der Universität Valladolid und ihr Team im aktuellen Fachmagazin „Scientific Reports“ berichten.

Im Jahr 1985 hatte ein Baggerfahrer bei Bauarbeiten die Begräbnisstätte von San Juan ante Portam Latinam, rund 32 Kilometer nordwestlich der Kleinstadt Laguardia in der baskischen Provinz Rioja-Alavesa, geöffnet. Radiokarbondatierungen ergaben, dass die Toten zwischen 3380 und 3000 v. Chr. hier beerdigt worden waren.

Der erste Krieg auf europäischem Boden

Lage der Skelette und Schädel im Massengrab von Rioja Alavesa. Foto: © Fernández-Crespo et al./ Scientific Reports, CC-by /4.0

An der Rückwand eines Felsunterstandes fanden Archäologen 1985 eine große Zahl menschlicher Knochen und Schädel vergraben. „Mindestens 338 Personen, davon rund 70 Prozent männlich, waren dort zufällig durcheinandergeworfen und teils in atypischen Positionen begraben“, berichten die Forscher.

Radiokarbondatierungen ergaben, dass die Toten aus der Zeit zwischen 3380 und 3000 v. Chr. stammten. In dem Massengrab lagen dutzende komplette und rund 200 unvollständige Skelette, zusammen mit tausenden losen Knochen. Neben den menschlichen Überresten gruben Archäologen zahlreiche Waffen wie Steinäxte und steinerne Speerspitzen aus. Ursprünglich galten die Toten als Opfer eines einzelnen Massakers, doch eine neue Analyse kommt zu einem ganz anderen Schluss.

„Gängiger Ansicht nach verfügten die frühen agrarischen Gesellschaften noch nicht über die nötigen ökonomischen und logistischen Fähigkeiten für einen anhaltenden großskaligen Konflikt“, erklären Teresa Fernández-Crespo und ihre Kollegen.

Die bisher aufgefundenen Massengräber aus der Steinzeit enthalten maximal 30 bis 40 Tote. Ihren größtenteils unverheilten zufolge sind diese meist im Rahmen eines Überfalls gestorben. „Art und Ausmaß der Kriegsführung in der europäischen Jungsteinzeit blieben daher unklar“, schreiben die Archäologen.

Die Einkerbung und Risse in den Knochenfragmenten deuten auf stumpfe Gewalt hin. Foto: © Fernández-Crespo et al./ Scientific Reports, CC-by /4.0
Die einzelnen Schädelverletzungen werden auf diesen 3D-Bildern sichtbar. Foto: © Fernández-Crespo et al./ Scientific Reports, CC-by /4.0
Schädelverletzungen bei den Toten. Foto: © Fernández-Crespo et al./ Scientific Reports, CC-by 4./0

Eingeschlagene Schädel, gesplitterte Knochen

Rekonstruierte steinzeitliche Äxte. Foto: Imago/Panthermedia

Doch woran waren die jungsteinzeitlichen Menschen gestorben? Die Schädel und Knochen wiesen zahlreiche schwere Verletzungen auf wie eingedrückte oder gebrochene Schädel sowie Kerben in Knochen. Bei den Skeletten wurden 52 Pfeilspitzen aus Feuerstein, 64 Steinklingen und zwei Steinäxten gefunden – Waffen, die von extremer Gewalt zeugen. „Doch die Art der Gewalt und ihr Ausmaß blieben umstritten“, erklärt Teresa Fernández-Cresp.

Ihr Team untersuchte die Relikte erneut und diesmal gründlicher als bei der ersten Sichtung im Jahr 1985 – unter besonderer Berücksichtigung der Position und Art der Schädelfrakturen. Dabei konnten die Archäologen insgesamt 107 Kopfverletzungen feststellen.

„Die meisten dieser Läsionen – nämlich 96 – waren Dellen oder Brüche, die auf stumpfe Gewalteinwirkung zurückgehen, wie sie durch Schläge mit Steinkeulen, Äxten, Holz- und Knochenkeulen oder geschleuderte Steine entstehen.“ Und fast alle Schädelwunden lagen zudem auf der Vorder- oder Oberseite des Kopfes.

„Echter“ Krieg: Männer mordeten Männer

Krieger aus der Steinzeit versorgen ihre Wunden (kolorierte Zeichnung). Foto: Imago/Gemini Collection

Eine weitere Überraschung war, dass 59 der 107 Schädelwunden Anzeichen verheilter Knochen aufwiesen. „Die relativ hohe Zahl von geheilten Verletzungen deutet auf frühere gewaltsame Konflikte hin, die nicht tödlich endeten und sich über eine Zeit von Monaten oder wahrscheinlich sogar Jahren verteilten“, erklärt Fernández-Crespo.

Hinzu kommt: 70 Prozent der Toten waren männlich und nur 30 Prozent Frauen und Kinder. „97,6 Prozent der unverheilten und 81,7 Prozent der verheilten Verletzungen wurden bei den männlichen Toten gefunden“, berichten die Archäologen. Das unterscheide dieses Massengrab von vielen anderen aus dieser Zeit und spreche gegen ein Massaker beispielsweise einer kompletten Siedlung. All dies deutet darauf hin, dass überwiegend Männer an Kämpfen beteiligt waren.

Frühestes Zeugnis systematischen Mordens in Europa

Das Massengrab von Rioja Alavesa ist damit das früheste historische Zeugnis, dass es schon vor mehr als 5000 Jahren monate- oder gar jahrelange organisierte und systematische Kriege mit wiederholten Kämpfen zwischen größeren Gruppen gab. Steinzeitliche Vorläufer der Schlachten und Feldzüge während eines Krieges, die seit der Antike ausgetragen werden.

„Die potenzielle Dauer von mindestens Monaten bis Jahren, die Zahl der direkten Opfer, die männlich dominierte Demografie und die in der Rioja-Alavesa-Region identifizierten möglichen sozialen und ökonomischen Folgen deuten darauf hin, dass dieser gewaltsame Konflikt weitreichendere Folgen hatte als zuvor für diese Zeit bekannt“, resümieren die Wissenschaftler.