Stuttgart 21, Tim K. und die Flatratebordelle: Berufungsverfahren und große Prozesse haben die Arbeit am Stuttgarter Landgericht bestimmt. Zurzeit muss es sich verstärkt mit klagenden Flugreisenden beschäftigen.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Es ist ärgerlich, wenn ein Flug ausfällt oder sich verspätet. Doch der Ärger nimmt mit dem unfreiwillig verlängerten Urlaub noch kein Ende: Immer öfter landen die Passagiere hinterher am Landgericht. Denn eine Reihe von Reisenden und Rechtsanwälten sind auf eine EU-Verordnung aufmerksam geworden: Für annullierte Flüge gibt es eine Entschädigung. Die Streifrage ist: Wann gilt ein Flug als annulliert? Gemäß einem Urteil des europäischen Gerichtshofs können dafür drei Stunden Verzögerung ausreichen.

 

Wenn Flugreisende in dieser Angelegenheit vergeblich vor Gericht ziehen, wird der Streit um die Verspätung zum Fall für das Stuttgarter Landgericht. „Zurzeit haben wir eine ganze Welle davon, und voraussichtlich im Herbst nach der Urlaubszeit wieder“, sagt der Vizepräsident des Landgerichts, Oliver Mosthaf. Dutzende Verfahren seien es schon gewesen, schätzt er, gezählt hat er sie nicht.

Dauerthema Stuttgart 21

Die zweite Welle an Berufungsverfahren widmet sich dem Stuttgarter Dauerthema Stuttgart 21. Am Donnerstag nahmen beide Parteien im Falle der Besetzung eines Baugeräts am Nordflügel ihre Berufung zurück, so sei es auch bei dem Verfahren wegen der Zerstörung von Überwachungskameras im Fluchtstollen des Wagenburgtunnels gewesen. Als vor dem Portal Bäume fielen, hatte ein Mann in der Röhre mit einer Eisenstange die Geräte zerstört.

Beide Themen häufen sich zurzeit bei den Kammern, die sich mit Berufungen befassen. Die meiste Arbeit verursachen am Landgericht aber weiterhin die sogenannten Großverfahren. Dieser Trend hatte sich bereits im Jahr 2010 abgezeichnet, sagte der Landgerichtspräsident Franz Steinle, der am Freitag die Bilanz des Landgerichts vorstellte. Ein Großverfahren ist zum Beispiel das gegen Mitglieder der Rockerbande Black Jackets, das bereits im März 2010 begann. Rund 100 Verhandlungstage bescherte der Prozess der 2. Großen Jugendkammer – plus Vor- und Nachbereitung ist die Kammer mit diesem Verfahren ausgelastet gewesen. Ein Ende des Prozesses wegen versuchten Mordes ist noch nicht in Sicht; immerhin zeichne sich ein Ende der Flut von Anträgen ab. Zuletzt habe ein Verteidiger auf gut 280 Seiten einen Befangenheitsvortrag gegen die Kammer vorgetragen. Nach zig Prozesstagen, die er zum Verlesen brauchte, wurde sein Antrag abgelehnt, berichtet der Sprecher des Landgerichts, Lars Kemmner.

Bis zu 100 Wachleute im Einsatz

Nicht nur für die Richter bedeuten die Großverfahren viel Arbeit. Auch für die Sicherheit muss gesorgt werden. An manchen Verhandlungstagen, wenn mehrere Prozesse parallel liefen, brauchte das Gericht bis zu 100 Wachleute – doch am Landgericht sind nur 48 beschäftigt. Deshalb wurden Kollegen von umliegenden Gerichten und vom Justizvollzug hinzugezogen. Auch Polizeibeamte halfen aus. Allein für den Prozessauftakt im Pussy-Club-Verfahren gegen die Betreiber eines Flatratebordells waren 16 Wachtmeister, 18 Vollzugsbeamte und acht Polizisten im Einsatz. Neben der Verhandlung gegen die Black Jackets und dem Pussy-Club-Verfahren standen noch der Prozess gegen die Ludwigsburger Goldräuber, das Verfahren gegen den Vater des Winnender Amokläufers und die Schlägerei bei der Nürtinger Musiknacht als Großverfahren an.

Der Vater von Tim K. wird ein zweites Mal vor Gericht erscheinen müssen. Der Bundesgerichtshof hat das Urteil nach einem Revisionsantrag der Verteidiger aufgehoben. Eventuell beginnt das Verfahren noch in diesem Jahr.