Nach 33 Jahren als Chefregisseurin der Kunstschule geht Hildegard Plattner in Rente. Am Samstag feierte sie Abschied mit ihrer „55-Sommer“-Truppe. Auch der Tatort-Autor Felix Huby war dabei.

Böblingen - Das große Finale nähert sich dem Ende. Am Samstag feierte Hildegard Plattner mit ihrer 150-Personen-Truppe des diesjährigen Sommertheaters „55 Sommer“ ein Abschiedsfest in Mauren. Auf dem Hofgut, auf dem sie mehrere Open-Air-Spektakel inszeniert hat und das zu ihrer zweiten Heimat geworden ist. Am heutigen Montag sagen die Mitarbeiter der Stadtverwaltung Adieu. Und am Mittwoch folgt der letzte Akt im Gemeinderat. Bis Freitag probt Plattner mit ihren Gruppen im städtischen Feierraum. Dann fällt der letzte Vorhang für die Grande Dame der Böblinger Theaterszene.

 

33 Jahre lang hat „Hi“ – wie ihre Schauspieler und Kollegen die Leiterin der Theaterabteilung der Böblinger Kunstschule liebevoll nennen – die Szene geprägt. Aus kleinsten Anfängen mit Kursen an der Volkshochschule hat die Theaterpädagogin eine Institution geschaffen, die weit über die Stadt und den Kreis hinaus einen Namen hat. Tausende Kinder, Jugendliche und Erwachsene haben bei ihr erste Bühnenerfahrungen gesammelt, manche jahrelang als Schüler ihrer Theatergruppen, andere einmalig als Mitwirkende großer Spektakel wie der Bauernoper und des Zeitparks zum Stadtjubiläum 2003.

Zwölf ehemalige Schüler sind Profis

So mancher ihrer Schützlinge entdeckte dabei seine Profession. „Zwölf meiner Schüler sind heute Profis“, sagt Plattner stolz. Judith Pinnow, geborene Halverscheid, bekannt als Fernsehmoderatorin. Oder Katharina Breier, die am Karlsruher Staatstheater spielt und ihre Schauspielausbildung am renommierten Reinhardt-Seminar in Wien absolviert hat.

Dieses Ziel hatte einst auch Plattner vor Augen. Bei der Aufnahmeprüfung schaffte sie es auf Anhieb in die Endrunde, doch dann schied sie aus. Die gebürtige Kärntnerin nahm es als Wink des Schicksals und folgte ihrer großen Liebe nach Schwaben. Sie studierte an der Pädagogischen Hochschule Reutlingen und bildete sich nebenbei zur Theaterpädagogin fort. „Etwas anderes als Theater kam für mich nie in Frage“, sagt Plattner. Diese Leidenschaft wurde im Elternhaus geweckt: auf einem Forstgut in Kärnten mitten im Wald, wo Plattner als Jüngste von vier Schwestern aufwuchs.

Die einzigen Vergnügungen fernab der Stadt waren die Weihnachtsspiele, die ihre Mutter mit den eigenen und Bauernkindern der Umgebung aufführte. Später inszenierten die Schwestern Sommertheater im Salon des Guts. „Bei einer Szene musste ein Jäger mit einer gerade erlegten Ente durchs Fenster“, erzählt Plattner. „Uns hat nicht abgehalten, dass der Theatersalon im dritten Stock lag. Meine Schwester kletterte als Jäger auf einer Leiter das Haus hoch und sprang durchs Fenster ins Zimmer – mit Ente im Arm.“

Diese Authentizität hat Plattners Aufführungen stets ausgezeichnet. Damit eckte die Künstlerin des Öfteren an – bei der Stadtverwaltung mit ihrer Bürokratie und bei Kommunalpolitikern, die nicht immer Verständnis für die Ideen der Theaterbesessenen hatten.

Im Rollstuhl Proben dirigiert

Einen Skandal gab es 2009, als Plattner ein Stück über Kinder in Gefängnissen in den Katakomben der Böblinger Friedhofskapelle aufführen wollte. Die kalten Mauern und die bedrückende Atmosphäre schienen der Regisseurin perfekt, um bei Schauspielern und Zuschauern das Gefühl des Eingesperrtseins zu erzeugen. Die Stadtverwaltung gab ihre Zustimmung, die Proben begannen. Kurz vor der Premiere stoppten ängstliche Stadträte das Projekt. Theater auf dem Friedhof erschien ihnen als Sakrileg. Die Aufführung – kurzfristig verlegt in den Feierraum – wurde trotzdem ein Erfolg. Der Applaus des Publikums war Plattner stets sicher. Angst vor einem Flop habe sie nie gehabt, sagt sie. Weder beim großen Jubiläumstheater mit Tausenden Akteuren noch bei dem Felix-Huby-Stück „55 Sommer“. „Alles ist eine Frage der Organisation.“

Organisationstalent, Disziplin und ein ungeheuer Fleiß zeichnen die Künstlerin aus. Auch ihre kaputte Hüfte konnte sie nicht von dem Abschiedsprojekt abhalten. Im Rollstuhl dirigierte sie die Proben. Erst wenn der letzte Vorhang gefallen ist, lässt sie die Hüfte operieren. Doch das Theater wird „Hi“ auch im Ruhestand nicht loslassen. Einige Projekte seien schon geplant, sagt sie: „Theater ist mein Leben.“