Genervte Autofahrer, Schweiß treibende Temperaturen: Müllwerker haben schwierige Arbeitsbedingungen. Wolfgang Bagin will als Leiter des Abfallwirtschaftsbetriebs den Job dennoch attraktiv machen – zum Beispiel mit kostenlosen Getränken und Sprungschulungen.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)
Böblingen - Erst wurde er beleidigt und dann fuhr der Autofahrer dem Müllwerker auch noch über den Fuß: Die Mitarbeiter des kreiseigenen Abfallwirtschaftsbetriebs haben keinen leichten Job, wie der Vorfall in Herrenberg zeigte. Laut einer Studie kommen auf diesen Berufsstand bundesweit die meisten Krankheitstage. Beim Abfallwirtschaftsbetrieb (AWB) im Kreis Böblingen steckt das junge Team die Belastungen laut Wolfgang Bagin aber noch gut weg. „Ich wünsche mir, dass die Bürger mehr Verständnis für die Müllwerker aufbringen“, sagt der Werkleiter.
Herr Bagin, haben die Müllwerker einen besonders schweren Job?
Ich denke schon. Wir haben 300 000 Abfallbehälter im Kreis – und die müssen regelmäßig entleert werden. Täglich werden 25 bis 30 Abfuhrtouren gefahren und pro Tour von einem Müllwerker 650 Behälter geleert. Wir haben einem Mitarbeiter mal einen Schrittzähler mitgegeben. Er kam bei einer Tour auf 19 100 Schritte. Man kann natürlich über die Schrittlänge streiten, aber das entspricht ungefähr 13 Kilometer. Und das ist kein Spazierenlaufen, damit ist Arbeit verbunden. Denn bei einer Tour schiebt ein Müllwerker insgesamt 19,5 Tonnen vor sich her. In Spitzenzeiten muss er sogar 35 Tonnen Abfall zum Müllauto schieben. Das ist je nach Witterung sehr anstrengend.
Gibt es derzeit hitzefrei?
Die Hitze macht den Müllwerkern zusätzlich zu schaffen. Wir versuchen, Abhilfe zu schaffen – mit Sonnencreme, Sonnenbrillen und kostenlosen Getränken. Es ist trotzdem anstrengend und Schweiß treibend. Hitzefrei gibt es aber nicht. Der Bürger will, dass sein Mülleimer rechtzeitig geleert wird. Wenn die Müllabfuhr nicht kommt, stehen bei uns die Telefone nicht mehr still.
Aber wenn das Müllauto im Weg steht, regen sich die im Auto sitzenden Bürger auf. Wie belastend sind solche Situationen?
Anders als bei den meisten Arbeitsplätzen sind die Müllwerker im fließenden Verkehr tätig. Das allein sorgt für gefährliche Situationen, weil sie unter dem Druck stehen, ihre Arbeit schnell machen zu müssen. Und dann gibt es noch, ich sage es vorsichtig, uneinsichtige Bürger und eilige Autofahrer. Ehrverletzende Beleidigungen und auch Körperverletzungen kommen durchaus vor, so ein Fall wie in Herrenberg drei- oder viermal im Jahr. Das ist habhaft. Allein verbale Beschimpfungen steckt man nicht immer so gut weg. Deshalb mein Appell: Ich wünsche mir mehr Respekt für diese Tätigkeit, die ja im Sinne der Bürger ist. Ich ziehe meinen Hut vor den Müllwerkern, die bei Wind und Wetter draußen sind.
Macht der Job deshalb krank? Laut einer Studie sind Müllwerker bundesweit im Schnitt 30,8 Tage krank geschrieben.
So eine Meldung schreckt auf. Aber im Kreis Böblingen ist es nicht so gravierend. Im Jahr 2014 hatten wir im Schnitt 13,4 Fehltage bei den Müllwerkern, sogar einen weniger als im Vorjahr. Die Langzeitkranken eingerechnet sind es 17,6 Tage. Vielleicht ist unsere Quote niedriger, weil wir eine relativ junge Mannschaft haben.
An welchen Krankheiten leiden die Müllwerker denn?
Gelenkverletzungen und Muskelzerrungen sind ein ausgesprochenes Thema. Erkältungen weniger. Die Müllwerker stärken ihr Immunsystem aber ständig, durch die Arbeit im Freien.
Wie sieht Ihre Prävention aus?
Wir hatten einen totalen Verbesserungsschub, als vor 13 Jahren die Behälter nach Euronorm 2002 eingeführt wurden. Vorher hatten die Mülleimer keine Räder und mussten getragen werden. So ein Eimer hat mindestens 20 Kilogramm gewogen. Auch die Fahrzeugtechnik hat sich verbessert. Früher musste man die Eimer in die Greiftechnik einhängen, das geht heute automatisch. Wir bieten zudem Schulungen an, wie man richtig aus dem Fahrzeug aussteigt. Wenn der Fahrer schnell herausspringt, um mit anzupacken, kann er sich schnell den Fuß verknacksen. Zusätzlich rüsten wir auf Niederflurfahrzeuge um. Das dauert allerdings: Von unseren 34 Müllfahrzeugen sind vier Niederflurwagen, drei neue kommen bald dazu.
Für Kinder ist Müllmann ein Traumjob, wie sieht es bei den Erwachsenen aus?
So lange die Kinder klein sind, fasziniert der Job. Später sagen die Eltern: Wehe, du gehst zur Müllabfuhr! Es ist aber eine anspruchsvolle und abwechslungsreiche Tätigkeit. Wir versuchen, unsere Mitarbeiter nicht nur einseitig einzusetzen. Wir haben auch eine Frau im Team, eine einzige. Sie arbeitet als Fahrerin, macht ihr Geschäft sehr gut und ist in der Männertruppe anerkannt. Ich denke, die Leute sind im wesentlichen mit ihrem Arbeitsplatz zufrieden. Er ist auch sehr sicher. Die Müllabfuhr wird man immer brauchen.
Und keiner der Erwachsenen beschwert sich über die knallbunte Arbeitskleidung?
Das ist das Kommunalorange, das sich bundesweit eingespielt hat. Es ist ein Markenzeichen und trägt meiner Meinung nach zur Identifikation bei. Ich habe noch nie gehört, dass jemand damit ein Problem hätte.