Pforzheimer Box-Legende hat Demenz René Wellers letzte Runde

„René ist das Gegenteil von dem, was er mal war“, sagt Maria Weller über ihren Ehemann. Foto: Sichtlichmensch/Andreas Reiner

Aus unserem Plus-Archiv: Der Pforzheimer René Weller war ein Boxchampion, ein Großmaul und ein Playboy. Nun leidet der 68-Jährige an Demenz und ist auf die Hilfe seiner Frau Maria angewiesen. Wie geht das Paar damit um?

Reportage: Frank Buchmeier (buc)

Pforzheim - Abends, wenn sie allein ist, lebt Maria Weller in der Vergangenheit. Sie blättert in den Fotoalben, sieht sich mit ihrem prominenten Ehemann in einer weißen Stretchlimousine durch Dubai gleiten oder aufgebrezelt bei der Stars & Fashion Night in einer Stuttgarter Bar. Sie gibt bei Youtube „René Weller“ ein und blickt auf seine große Boxerkarriere: 55 Profikämpfe, 52 Siege, davon 24 durch K. o. Weller spielte mit seinen Gegnern, umtänzelte sie, wich mit katzenhafter Eleganz ihren Schlägen aus und schickte sie mit einer Geraden zu Boden.

 

Maria Weller geht ins Schlafzimmer und sieht den einstigen Champion dort liegen. Er ist wach, starrt an die Decke und schweigt. Das ist die Gegenwart.

Vor sieben Jahren fällt Maria Weller zum ersten Mal auf, dass mit ihrem Mann etwas nicht stimmt: Er vergisst Termine oder auch mal, wo er sein Auto geparkt hat. Seine Frau bringt ihn zu Walter Wagner, der früher als Ringarzt bei vielen Profiboxkämpfen im Einsatz war und den Patienten Weller seit Jahrzehnten kennt. Eine Gehirn-CT ergibt: Mischdemenz, genetisch bedingt, vermutlich beschleunigt durch die Kopftreffer, die der Kampfsportler Weller erlitten hat. Die Krankheit ist irreversibel und fortschreitend, allmählich sterben die Nervenzellen ab.

Wie ein kleiner Junge

„Zunächst habe ich das verdrängt“, erzählt Maria Weller. „Ich hatte noch keine Vorstellung davon, was diese Diagnose für uns bedeutet.“ Die 68-Jährige sitzt in der Küche im Pforzheimer Ortsteil Dillweißenstein neben ihrem gleich alten Mann, der sich wie ein Kleinkind benimmt. René Weller zupft an seiner Platzdecke herum, kippt sein Wasserglas um oder sagt: „Banane!“ Seine Ehefrau nimmt eine Frucht aus dem Korb, schält sie und reicht sie ihm in mundgerechten Stückchen. „René lebt in seiner eigenen Welt“, sagt Maria Weller und streicht ihm Haarschuppen vom schwarzen Shirt.

Seine Oberarme sind nicht mehr ganz so muskulös, die Haare dünner – aber ansonsten sieht er fast noch so aus wie früher, als der „schöne René“ die Sporthallen der Republik füllte. Der „Spiegel“ nannte ihn einmal „die föhnfrisierte, Oberlippenbart tragende Pforzheimer Antwort auf Muhammad Ali“. Weller kultivierte sein Playboy-Image, diktierte den Reportern Sätze wie diesen: „Die emanzipierte Frau hat bei mir im Haus nichts zu suchen, so eine könnte nie meine Lebensgefährtin sein.“

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René Weller und Maria, die damals noch Dörk heißt, lernen sich Ende der siebziger Jahre in einer Disco in Hannover kennen. Er: bordeauxfarbener Lederanzug, daumendicke Goldkette um den Hals, Rolex am Handgelenk. Sie: T-Shirt, Jeans, Turnschuhe. „Was bist du denn für eine Süße?“

Große Enttäuschung

Sie erliegt seinem provokanten Selbstbewusstsein – und erfährt bald, dass sie nur eine von vielen Gespielinnen ist und der gelernte Heizungsmonteur Weller in seiner Heimatstadt Pforzheim mit seiner Dauerfreundin und seinen beiden Kindern in einem schicken Einfamilienhaus lebt. „Ich empfand das als erniedrigend und wollte mit René nichts mehr zu tun haben.“

28 Jahre später steht er wieder vor ihrer Haustür in Hannover. Mittlerweile ist sie zum zweiten Mal geschieden und er wegen Drogenhandels und Hehlerei vorbestraft. Viereinhalb Jahre saß René Weller im Knast. Er hat in dieser Zeit nicht nur Gedichte geschrieben, sondern offenbar auch oft an seine Romanze mit Maria gedacht. „Er hatte sich verändert, war nicht mehr der Macho von früher, auch wenn er nach außen noch immer so tat, als wenn er einer wäre.“

Sie wird die neue Frau an seiner Seite, folgt ihm nach Pforzheim und managt sein Berufs- und Privatleben. Mistet seine Junggesellenbude und seinen Freundeskreis aus. Verkauft sein Ferienhaus auf Gran Canaria. Handelt mit dem Finanzamt einen Vergleich wegen seiner Steuerschulden aus. Verschafft ihm lukrative Fernsehauftritte: René Weller bei „Big Brother“, René Weller beim „Perfekten Promi-Dinner“, René Weller bei Frank Plasberg und Johannes B. Kerner. Der Ex-Boxer und Ex-Knacki kann wieder gut von seinem Namen leben. Zu verdanken hat er dieses Comeback seiner Partnerin Maria, die er am 21. November 2013 heiratet.

Ihr Leben hat sich verändert

Äußerlich entspricht die gelernte Friseurin dem Klischee einer Frau, die ihrem berühmten Gatten gern als attraktives Anhängsel dient. Maria Weller ist blond, sie schminkt sich grell, lässt sich liften und die Lippen aufspritzen. Und wenn ihr René in großer Runde von seinen legendären Kämpfen, der gemeinsamen Promo-Tour mit Muhammad Ali oder seiner Affäre mit einer Miss World schwadroniert, hält sie den Mund. Fürs Sprücheklopfen ist er zuständig.

Jetzt sitzt er in der Küche, starrt auf den Flachbildschirm an der Wand, auf dem tonlos irgendeine Dokusoap flimmert. Herr Weller, wie geht es Ihnen? „Gut, ich trainiere jeden Tag.“ Seine Frau schüttelt den Kopf: Die Zeiten, in denen René morgens die 72 Kilo liegend auf der Hantelbank drückte, seien vorbei: „Er leidet unter Gleichgewichtsstörungen. Ich bin froh, wenn er unfallfrei die Treppe runterkommt.“

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Seine Corvette und die Harley hat sie längst verkauft und seinen Führerschein versteckt. Die Wohnungstür bleibt abgeschlossen, seit er mehrmals das Haus verlassen und sich in der Stadt verirrt hat, in der er von Geburt an lebt. Glücklicherweise kennt fast jeder Pforzheimer den Mitbürger René Weller, so dass er nie lange vermisst blieb. „Aber natürlich könnte ihm trotzdem etwas zustoßen“, sagt Maria Weller. Unweit ihrer Wohnung fließt die Nagold: Was wäre, wenn er in den Fluss fallen würde?

„Bild“ berichtet über seine Krankheit

Mit der Zeit führt sein Gedächtnisverlust dazu, dass er in Gesellschaft immer wieder die gleichen Storys erzählt oder auch allerlei Merkwürdigkeiten, die er in seinem Kopf zusammengedichtet hat. Maria Weller ist das unangenehm. Redet ihr Mann wirr daher, versucht sie ihn zu übertönen. Auf Außenstehende wirkt das so, als hätte sich der einstige Pascha von ihr zum Pantoffelhelden degradieren lassen.

Jahrelang spricht Maria Weller nur mit ihren engsten Freundinnen über die Krankheit ihres Mannes. Einladungen zu Veranstaltungen nimmt sie weiterhin an, auch weil sie meint, dass ihm die Abwechslung guttut.

Im November 2019 wird der Stargast René Weller bei der Kissinger Boxnacht interviewt. Er antwortet nicht auf die Fragen und schafft es nur mithilfe seiner Frau, den Ring wieder zu verlassen. Dieser Auftritt, es sollte sein letzter in der Öffentlichkeit sein, spricht sich in der Boxszene herum. Einige Monate später ruft ein Sportredakteur der „Bild“-Zeitung bei Maria Weller an. In Hannover war sie selbst viele Jahre als Reporterin für ein Gesellschaftsmagazin tätig – sie weiß, dass es klüger ist, mit den Boulevard-Medien zu kooperieren, als mit ihnen zu streiten. „Bild“ meldet exklusiv: „Sportlegende René Weller (67) ist dement“.

Corona verschärft ihre Lage

Bis zum Frühjahr 2020, sagt Maria Weller, sei sie mit der Situation klargekommen. Dann kam Corona, und Renés Zustand verschlechterte sich rapide. Vielleicht, glaubt sie, habe es daran gelegen, dass ihn seine Freunde nicht mehr besuchen durften: „Sein Gehirn bekam nicht mehr genügend Reize.“

In dieser Phase schminkt sich Maria Weller nicht mehr und läuft nur noch in Jogginghosen herum. Sie erträgt es nicht, wie ihr Mann, der doch stets vor Kraft geradezu strotzte, nur noch mit Mühe eine Sprudelflasche öffnen kann. Er nimmt sie nicht mehr in seine starken Arme, auch ihre Malteser-Hündin Bella ignoriert er. Aber vor allem: Dem einstigen Dampfplauderer René ist kaum noch ein Wort zu entlocken. Und wo ist sein strahlendes Lachen hin?

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Manchmal weint Maria Weller die ganze Nacht durch. Eine Freundin rüttelt sie auf: „Du hilfst weder dir noch René, wenn du dich so gehen lässt!“ Seither, sagt Maria Weller, „versuche ich, wieder glücklich zu sein“. Das gelingt ihr mal mehr und mal weniger.

Alltag einer pflegenden Ehefrau

Die Pflegekasse bezahlt eine ambulante Hilfskraft, die sie im Haushalt einsetzt. Um ihren Mann kümmert sie sich selbst. Morgens setzt sie ihn unter die Dusche, dafür hat sie einen hübschen Hocker aus Sandstein gekauft. Sie rasiert ihn und hilft beim Anziehen. Sie nimmt ihn zum Einkaufen mit und entschuldigt sich beim Personal, wenn er wieder einmal etwas aus dem Regal genascht hat. Mittags kocht sie, immer frisch, viel Gemüse und Fisch. Einmal wöchentlich bringt sie ihn zur Pediküre: „René sieht noch immer gut aus. Dafür sorge ich.“

Der Kontakt zu seiner Familie ist abgerissen, als spät Angeheiratete wurde sie eh nie richtig akzeptiert. Für alle Fälle – es könnte ja auch ihr jederzeit etwas zustoßen – hat sie einem Anwalt eine Generalvollmacht erteilt. In ein Pflegeheim, sagt Maria Weller, möchte sie ihren Mann niemals geben: „Ich weiß, dass er sich dort nicht wohlfühlen würde.“ Aber ein Umzug nach Hannover, wo sie noch immer einen großen Freundeskreis hat, sei durchaus denkbar. Die Pforzheimer Mietwohnung liegt im zweiten Stock, Bad und Klo sind eng. „Sollte René körperlich noch weiter abbauen, geht das hier nicht mehr.“

Auf Ebay verscherbelt sie die Preziosen seiner sportlichen Karriere. Original René-Weller-Boxhandschuh, 44 Jahre alt, signiert – 1170 Euro. Der Wanderpokal für den „besten Boxer des Jahres“, den Weller 1979 behalten durfte, weil er ihn dreimal hintereinander gewonnen hatte – 2160 Euro. Ein Ölgemälde aus dem Jahr 1987, das den „schönen René“ mit Schnauzbart und Bauschaumfrisur zeigt – 2700 Euro. Ums Geld gehe es ihr nicht, sagt Maria Weller: „Ich habe rechtzeitig vorgesorgt.“ Aber was soll sie mit dem ganzen Kruscht, der in Kartons unterm Dach lagert?

Wieviel bekommt er noch mit?

Seinen letzten Showkampf bestreitet René Weller am 22. September 2012 in Berlin. Noch immer trägt er enggeschnittene Glanzhosen am austrainierten Leib, ist flink auf den Beinen und zeigt ausgezeichnete Reflexe. Mit dem Boxen hört er an diesem Tag nicht auf, weil er nicht mehr boxen kann, sondern weil ihn Maria darum gebeten hat. Sie sorgt sich um seine Gesundheit.

Wer hätte gedacht, dass bei ihm keine zwei Jahre später Demenz diagnostiziert wird? Seine unheilbare Krankheit schlich sich in das Leben von Maria Weller und liegt nun schwer über ihrem Alltag. „René ist das Gegenteil von dem, was er mal war“, sagt sie.

Meistens wirkt er völlig entrückt, selten wird er auch mal wütend. Maria Weller weiß, dass solche Wesensänderungen symptomatisch sind. Sie hält zu ihrem Ehemann – auch in schlechten Zeiten: „Wir hatten wunderschöne gemeinsame Jahre.“

Schwer zu sagen, was er von dem stundenlangen Gespräch am Küchentisch mitbekommt. Vermutlich nicht viel. Aber manchmal, wenn man die Erinnerungen in ihm weckt, kann René Weller noch immer ein selbstverliebtes Großmaul sein. Wer ist der beste deutsche Boxer aller Zeiten? „Ich!“

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