Zwei Minister sind zurückgetreten, doch die britische Premierministerin Theresa May hat ihre Regierung vorerst wieder stabilisert. Der Kampf um die richtige Strategie beim Brexit beginnt aber erst, kommentiert der London-Korrespondent Peter Nonnenmacher.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

London - Das Vereinigte Königreich drohe zu einer „Kolonie“ zu verkommen, der „Brexit-Traum“ liege „im Sterben“, denn er werde systematisch „erstickt“: Mit diesen Worten hat der britische Außenminister Boris Johnson jetzt seinen Rücktritt aus Theresa Mays Regierung begründet.   Für Johnson ist die Premierministerin schlicht zu weit gegangen, als sie das Kabinett auf eine „weiche Landung“ beim Brexit einschwor. Gegen einen solchen Kurs will der Chef-Brexiteer nun außerhalb des Kabinetts Front machen. Zum einen, weil er kalkuliert, dass er den Kampf um einen harten Brexit im Kabinett verloren hat. Zum anderen aber, weil er sich für den Fall eines Regierungssturzes in den nächsten Wochen die Rolle des allseits sichtbaren Rebellenführers erhalten muss.

 

  Zeit genug hat sich Johnson mit seinem Entschluss ja gelassen. Am Freitag in Chequers prostete er May noch munter zu. Als aber Brexit-Minister David Davis nach zwei Tagen reiflicher Überlegung den Bettel hinwarf, und die Brexit-Hardliner der Partei den Garanten ihres Kurses abtreten sahen, fühlte sich auch Johnson gezwungen, auszusteigen. Prompt gilt er den Wettbüros wieder als Favorit für Mays Nachfolge. Viele seiner Landsleute haben allerdings kaum mehr Respekt vor ihm.  

Weitere Abgänge bleiben May vorerst erspart

Regierungschefin May, von den beiden Rücktritten und der Aufregung zu Wochenbeginn gehörig erschüttert, müht sich unterdessen, ihre Regierung wieder zu stabilisieren. Weitere Abgänge blieben ihr fürs Erste erspart. Auch die Brexiteer-Garde der Fraktion hält sich vorläufig zurück. Aber an der Parteibasis der Torys brodelt es. Der Aufstand ist nur vertagt.   Denn für viele, die noch immer dem Traum einer radikalen Trennung von Europa anhängen, ist Mays neuer Plan, der auf Kompromisse mit der EU zielt, kein „echter Brexit“ mehr.

Tatsächlich beginnt sich, was seit Monaten zu erwarten war, der Weg der Realisten und der Träumer beim Brexit zu scheiden. Unter dem Druck wirtschaftlicher Realitäten und angesichts der knappen Frist bis zum Austritt stellen sich May und der Großteil ihrer Minister auf weitere Kompromisse mit Brüssel ein. Was das Parlament betrifft, hat sich schon seit einiger Zeit abgezeichnet, dass ein harter Brexit nicht durchzubringen wäre. Das wissen alle Abgeordneten. Das weiß auch May. Der Plan, den sie von ihrem Kabinett hat absegnen lassen, lässt viele Fragen offen. Brexiteers vom Schlage Johnsons boykottieren ihn, aber auch die Opposition verwirft ihn. „Unpraktikabel“ hat ihn Labour genannt. Regelungen für das Finanzwesen, von dem London abhängt, fehlen bislang. Die „irische Frage“ ist (noch) nicht gelöst.

So oder so bleibt Mays Lage prekär

Bei der EU werden Mays Vorstellungen in wichtigen Teilen auf Ablehnung stoßen. Allein schon freier Güterverkehr ohne Personenfreizügigkeit wird für Brüssel nicht akzeptabel sein.   Im Grunde bleiben May, selbst wenn ihr die EU entgegen kommt, nur zwei Alternativen. Entweder sie baut die Brexit-Erwartungen im eigenen Land noch weiter ab. Das könnte mehr sein, als ihre Partei verkraftet. Oder sie riskiert, einen Brexit-Vertrag ins Parlament zu bringen, den die Parlamentarier niederstimmen. Darauf lauern sowohl Labour-Politiker, die sich Neuwahlen versprechen, als auch Brexit-Hardliner, die noch immer hoffen, dass dann im Chaos gar kein Deal mit der EU zustande käme.

So oder so bleibt Mays Lage prekär.   Ungewiss bleibt aber auch der Ausgang des Brexit-Dramas – bei allem neuen Realismus, der sich jetzt abzeichnet in Downing Street. Brexit-Gegner bauen immer mehr darauf, dass es noch zu einem Kollaps des gesamten Projekts und zu einem zweiten Referendum kommt. Bezeichnend ist, dass Boris Johnson den großen „Brexit-Traum“ durch Mays Manöver sterben sieht. Wenn nicht eintrifft, was er seinen Landsleuten einmal vorträumte, will er wenigstens nicht schuld daran sein.