Im „Tatort“ war das Darknet zuletzt ein Dauerthema. Jetzt führt ein Sachbuch auch Anfänger in die „Schattenwelt des Internets“. Der Autor hat dafür sogar selbst im Darknet Drogen bestellt.
Stuttgart - Man muss kein Computernerd sein, um vom Darknet gehört zu haben – „Tatort“ schauen reicht. Dort ging es zuletzt mehrfach um jene Online-Parallelwelt, in der die Nutzer sich anonym bewegen. Wer sich freilich vor allem aus ARD-Krimis über das Darknet informiert, lernt es als digitalen Sündenpfuhl kennen, wo Drogen, Waffen, Mordaufträge und Anleitungen zum Bombenbau gehandelt werden. Der Amokläufer vom Münchner Olympiazentrum etwa soll seine Tatwaffe über das Darknet bezogen haben.
Die Ahnungslosigkeit wäre nicht weiter schlimm, würde sie sich auf Gelegenheits-Internetnutzer beschränken. Wie Otto Hostettler in seinem Buch „Darknet“ darlegt, reicht die Überforderung aber bis in die Strafverfolgungsbehörden. Der 50-jährige Schweizer Journalist behauptet das nicht einfach; er hat in Luzern ein Aufbaustudium zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität absolviert und dafür Feldforschung betrieben.
Wer neben dem Buch aufmerksam die Zeitung liest, weiß aus der jüngeren Vergangenheit, dass es sich mit Cyberkriminalität verhält wie mit der Hydra: schlägt man ihr einen Kopf ab, wachsen zwei neue nach. Der Fall der 2013 von US-Behörden geschlossenen Darknet-Drogenplattform Silk Road habe das eindrücklich gezeigt, schreibt Hostettler: „Die Stilllegung von Silk Road hielt Konsumenten genauso wenig davon ab, online – und anonym – Drogen zu kaufen, wie seinerzeit die Stilllegung der Musiktauschbörse Napster Leute bis heute nicht daran hindert, gratis Musik herunterzuladen. Der Handel ging auf anderen anonymen Marktplätzen weiter, als sei nichts geschehen.“ Zum Beweis dokumentiert der Autor eine ganze Reihe von ihm selbst im Darknet illegal beschaffter Medikamente und Drogenpakete.
Das Bitcoin-Kapitel müsste schon überarbeitet werden
Hostettler erklärt, wie man sich ins Darknet einloggt und benennt anschaulich Unterschiede zu sowie Gemeinsamkeiten mit dem „normalen“ Internet. Wer will, kann das Buch als eine Art Reiseführer in die „Schattenwelt des Internets“ (so der Untertitel) nutzen. Ob der Digitaltourist dort mit Kriminellen zu tun hat oder eher mit Oppositionellen in repressiven Regimen, ist ihm selbst überlassen – das Darknet ist nur die technische Infrastruktur.
Otto Hostettler schreibt indes weniger über politische Freiräume, sondern berichtet von den Recherchen für seine Schweizer Abschlussarbeit zur Kriminalitätsbekämpfung. Deshalb geht es schwerpunktmäßig um Cyberkriminalität, kommen vor allem Schweizer Experten zu Wort. Das wird einem originär globalen Phänomen wie dem Darknet natürlich nicht gerecht. Und das Kapitel zu Bitcoin müsste, obwohl das Buch erst vor Kurzem herauskam, bereits neu geschrieben werden: Anfang August hat sich die Kryptowährung aufgespaltet.
Hostettler beschreibt aber ebenfalls supranationale Ansätze, um Kriminalität im Darknet zu bekämpfen. Weil er mit den vielen, in seinem Fall eben Schweizer Beispielen die Technik und Funktionsweise des Darknets insgesamt erklärt, ist dieses auch für Laien leicht verständliche Buch die derzeit aktuellste verfügbare Einführung in das Thema – und überdies lehrreicher als alle „Tatort“-Folgen zusammen.
Otto Hostettler: Darknet. Die Schattenwelt des Internets. NZZ Libro, Zürich. 208 Seiten, 29,90 Euro.