Beth Dittos Lebensgeschichte ist lesenswert. Am Montag ist sie als Autobiografie erschienen. Aber auf 200 Seiten kommt vieles zu kurz. Zum Beispiel jene sechs Jahre, in denen das Landei aus Arkansas mit ihrer Band Gossip zum Popstar und zur Stilikone wurde.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Ich möchte die Welt mit diesem irren Leben, das ich führe, ein bisschen verändern“, schreibt Beth Ditto auf der vorletzten Seite ihrer am Montag erschienenen Autobiografie „Heavy Cross“. In den darauffolgenden Sätzen ermutigt die 31-Jährige ihre Leser in direkter Ansprache, das auch zu versuchen: „Außer der Welt müsst ihr nichts verändern. Also fangt damit an.“ Angesichts ihrer Lebensgeschichte nimmt man der bekennenden Feministin diesen Appell ab. Leider kommt er hier etwas blutleer daher. Was vor allem daran liegt, wie „Heavy Cross“ seine Schwerpunkte setzt.

 

Der mit Hilfe von Michelle Tea verfasste Band nennt sich zwar Autobiografie, beschäftigt sich aber überwiegend mit der Kindheit und Highschool-Zeit der Sängerin der Band Gossip. Ditto beschreibt das Kaff Judsonia im US-Staat Arkansas, wo sie aufwuchs, in ungeschminkter Härte. Sie erzählt vom Sexismus, von Misshandlungen, früh heiratenden Frauen und einer Welt, die nur Machos als wohlgeordnet bezeichnen würden: „Welche Drittklässlerin hatte Sex mit einem erwachsenen Mann, und hinterher war alles in Ordnung?“ Was anderswo ein Gerichtsverfahren zur Folge gehabt hätte, blieb im Fall Ditto unter der Decke. Sie redete einfach nicht mehr darüber, nachdem ihre Lehrerin ihr nicht hatte helfen können.

Wir reden über die Prä-Internet-Ära

In solch einer Umgebung aufzuwachsen, in schwierigen Familienverhältnissen wie bei Beth Ditto zumal, prägt einen Menschen. Die Sängerin beschreibt, wie sie, anders als alle anderen, kein Baby bekommen hat, obwohl sie es zwischendurch einmal wollte. Stattdessen – wir reden über die Prä-Internet-Ära – entdeckte sie ihre eigene (Bi-)Sexualität, wollte statt im Kirchenchor in einer Band singen und las in den per Post gelieferten Fanzines von Punk, Grunge, Feminismus und der all das verschmelzenden Riot-Grrrl-Bewegung.

Dass Frauen selbstbewusst auftreten könnten, selbst wenn sie wie Ditto den klassischen Schönheitsidealen nicht entsprachen, faszinierte den Teenager. Also nichts wie hin nach Olympia im Staat Washington, wo das Riot-Grrrl erfunden wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt lernt der Leser die Wurzeln von Beth Dittos „Dagegen“-Haltung kennen, die auf ganz eigene Art den Geist von Punk und Do-it-yourself atmet.

Warum nicht mehr zur Riot-Grrrl-Szene in Olympia?

Leider lässt in der Folge der Detailreichtum in Dittos Erzählung deutlich nach. Warum erfährt man nicht mehr als nur ein paar Sätze über die Riot-Grrrl-Szene in Olympia? Warum liest man nicht, wie Ditto und ihre 1999 gegründete Band Gossip erst rotzigen Bluesrock machten und dann, indem sie dem Ganzen eine Portion Dance und Disco einhauchten, die Popmusik ein gutes Stück weiterbrachten?

Die teilweise schlampige Übersetzung tut ihr Übriges: das Bemühen um deutsche Begriffe in allen Ehren, aber wenn eine Band ins Studio geht, spricht keiner von „Sitzungen“, sondern jeder von „Sessions“. Auf der anderen Seite muss der nicht in der Queer-Szene bewanderte Leser sich erst erschließen, dass mit „Butch“ und „Femme“ die Rollenverteilungen in lesbischen Beziehungen gemeint sind. Eine Chronologie von Dittos Leben und Karriere wäre angesichts der nicht ganz sauber geordneten Textes hilfreich gewesen.

Zwölf Buchseiten für sechs Jahre

Wie man es von der aus einer Schnapslaune heraus geborenen Garagenband zum Label der bekannten Electropunk-Feministinnen Chicks on Speed sowie zur Vorband der Riot-Grrrl-Band Sleater-Kinney bringt, schreibt Ditto nicht. Nur: „Gossip waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“ Dabei könnte ein bisschen mehr Detailreichtum gerade hier all den jungen Frauen, die wie einst Ditto ihr wahres Inneres nach außen kehren und die Welt ein bisschen verändern wollen, sehr helfen.

Auch zu den weiteren, wahrhaft fantastischen Karriereschritten von Gossip gibt die Sängerin nur einen kursorischen Überblick. Ihre Band hat mit „Standing in the Way of Control“ einen Welthit aufgenommen, das Musikmagazin „NME“ hat Ditto um ein Nacktfoto fürs Cover gebeten, irgendwann ist sie auf ihrer ersten Fashion Week mit Karl Lagerfeld zusammengetroffen, und dann hat man eben auch noch mit dem Starproduzenten Rick Rubin das Album „Music for Men“ aufgenommen. Auf wenigen Seiten wird all das erzählt.

Jugendjahre eines Landeis

Diese Geschichte ist freilich schon vor der Veröffentlichung von Dittos Autobiografie weitaus bekannter als die Jugendzeit der Sängerin. Es lohnt insofern, sich die ersten Lebensjahre der Beth Ditto einmal aus Sicht des einstigen Landeis aus Arkansas erzählen zu lassen. Auf den alten Fotos im Buch sieht man Ditto ihre provinzielle Herkunft deutlich an: Sie trägt Blue Jeans zum schwarzen Tank Top oder zeigt sich mit Kurzhaarfrisur im Highschool-Jahrbuch – Ditto ist da noch lange nicht die Stilikone in wallenden Kleidern, als die sie sich heute inszeniert.

Wie die Sängerin das ganze Geschäft wahrnimmt und damit spielt, hätte mindestens genauso interessiert wie Backstage-Anekdoten, die der übergewichtige und gern grell geschminkte Rocklautsprecher gewiss en masse erzählen könnte.

Zwölf Buchseiten für sechs Jahre

„Meine Vorstellung von einer erfolgreichen Band sah damals so aus, dass man auf Tour ging, seine Rechnungen bezahlte und kein Minus machte“, schreibt Ditto auf Seite 189. Spätestens 2006 änderte sich das, als „Standing in the Way of Control“ die Indie-Discos überrollte. Für die sechs Jahre, die seither ins Land gezogen sind, bleiben im Buch leider nur noch zwölf Seiten. Insofern ist das Buch „Heavy Cross“ weniger, als auf dem Einband versprochen wird. Es ist weniger die „knallharte Lebensgeschichte einer außergewöhnlichen Frau“ als vielmehr ein Spotlight auf deren Jugendjahre.

Fakten zu Beth Dittos Buch und Band

Beth Ditto ist als Sängerin der US-Band Gossip bekannt geworden. Die 31-Jährige gründete die Band 1999 gemeinsam mit ihren Jugendfreunden Nathan Howdeshell und Kathy Mendonca. Nach mehreren Veröffentlichungen machte das Album „Standing in the Way of Control“ die Band – nun mit der neuen Schlagzeugerin Hannah Blilie – einem weltweiten Publikum bekannt. 2012 ist das dritte Album von Gossip erschienen und erreichte in Deutschland Platz zwei der Charts. Zwischendurch war Beth Ditto auch solo unterwegs – wie mit Gossip vor allem in Europa. In ihrer Heimat USA ist die Band nur mäßig erfolgreich.

„Heavy Cross“ heißt die gestern bei Heyne Hardcore erschienene Autobiografie Dittos (201 Seiten, 16,99 Euro). Der Veröffentlichungstermin wurde mehrfach verschoben.