Die FDP-Ikone baut Christian Lindner auf 254 Seiten als Hoffnungsträger auf. Das Buch wurde aber geplant, als Genscher Parteichef Rösler schon abgeschrieben hatte.

Berlin - Hans-Dietrich Genscher hat mit Christian Lindner über eine schöne, neue liberale Welt geplaudert und das Ergebnis von einem Journalisten zusammenfassen lassen. Was da auf 254 Seiten gedruckt steht, ist nicht dumm, aber auch nicht so überraschend, dass man sich damit Abende versüßen könnte. Genscher redet viel über Außenpolitik, ohne zu versäumen, sich selbst ausreichend zu würdigen. Lindner formuliert seine bekannten Thesen über ein neu austariertes Verhältnis von Individuum, Staat und Marktmacht. Interessanter als das Buch ist, dass beide nicht mehr dafür werben wollen.

 

Das Gespräch erinnert an das Buch „Zug um Zug“ von Altkanzler Helmut Schmidt und Peer Steinbrück. Es war für den Abgeordneten Steinbrück eine wichtige Wegmarke auf der Strecke zur Kanzlerkandidatur. Schmidt sagte damals: „Er kann es!“ Jetzt ist die FDP-Variante dieses Ritterschlags auf dem Markt. Lindner sagt am Ende des Buches: „Unsere Partei sollte Brücken bauen, statt Gräben zu festigen.“ Worauf Genscher erwidert: „Ja, schlagen Sie Brücken Herr Lindner, Sie können das.“

Apropos Brückenschlag: Beide kokettieren mit ihren hervorragenden Gesprächskontakten in die Sozialdemokratie. Lindner macht kein Geheimnis daraus: „Ich habe in der SPD genauso viele Gesprächspartner wie in der Union“. Und Genscher wirbt dafür, der SPD nicht schon vor der Bundestagswahl die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Merkel? Schön und gut. Aber „man muss ja bedenken, welche Handlungsmöglichkeiten dann noch verbleiben, wenn das angestrebte Modell nicht erreichbar ist“. Also, sagt Genscher: „nicht alles ausschließen“.

Stets auf der Seite der Sieger

Letzteres sagt viel aus über den alten Genscher und wenig über eine neue FDP. Der 86-Jährige lässt sich stets auf der Seite der Sieger blicken. Weshalb ja auch der eigentlich interessante Aspekt der offiziellen Buchvorstellung war, dass sie gar nicht statt fand. Die beiden verzichteten auf eine gemeinsame Präsentation des Buchs, das geplant wurde, als Genscher im Hintergrund noch an ganz anderen Allianzen schmiedete. Ende vergangenen Jahres war das, zu einem Zeitpunkt, als Genscher im Hintergrund noch emsig den Sturz von Parteichef Philipp Rösler betrieb. Noch auf dem Dreikönigstreffen in Stuttgart stand Genscher Seite an Seite mit seinem Favoriten auf den Chefposten: Rainer Brüderle. Zu diesem Zeitpunkt bastelte Genscher, der noch immer über großen Einfluss in der FDP verfügt, an folgender Konstruktion: Brüderle, 67, sollte nach der verloren geglaubten Niedersachsen-Wahl Ende Januar der Mann des Übergangs werden, Garant für den Wiedereinzug in den Bundestag, womöglich Architekt einer zweiten schwarz-gelben Amtszeit. Lindner, 34, sollte zum Hoffnungsträger aufgebaut werden, zum Versprechen auf eine politisch anregende Zukunft, in der Lindner die FDP aus der Umklammerung der Union löst und eine sozialliberale Perspektive eröffnet.

Fähnchen im Wind

Aber dann drehte sich der Wind in Niedersachsen – und mit ihm Genschers Fähnchen. Noch vor der Wahl trat er überraschend mit Rösler auf. Nachdem Rösler den Machtkampf mit 9,9 Prozent der niedersächsischen Stimmen im Rücken endgültig für sich entschieden hatte, klatschte Genscher bei Röslers Wiederwahl zum Parteichef, als sei dieser sein Zögling.

Das Buch mit Lindner entstand also in einer Zeit, in der sich die Geschäftsgrundlage änderte. Weder Genscher noch Lindner legen deshalb jetzt Wert darauf, dass es strategisch gedeutet wird. Also kein gemeinsamer Auftritt vor vielen fragenden Journalisten. Lindner will in Nordrhein-Westfalen weiter in Deckung bleiben. Und Genscher wird Rösler als Parteichef so lange gut finden, wie dieser Wahlen gewinnt.

Hans-Dietrich Genscher, Christian Lindner: Brückenschläge. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg. 254 Seiten, 19,99 Euro.