Dennoch hält Bosch den Dialog mit den Bürgern für den Prozess der Entscheidungsfindung für wichtig: „Wir erleben häufig, dass politische Vertreter der Fehleinschätzung unterliegen, dass sie die vorherrschende Meinung kennen“, argumentiert sie. „Das liegt auch an der Verbreitung sozialer Medien mit ihren Echokammern.“ Das Umfeld der Amtsträger spiegele aber nicht automatisch die schweigende Mehrheit wider. Im Gegenteil, sagt sie: „Mittlerweile finden viele Debatten nicht mehr in der Presse statt.“
Zuletzt hatte es vor einem Bürgerentscheid über einen Gewerbepark in Aichelberg im Landkreis Göppingen heftige Debatten gegeben – am Ende lehnten die Bürger das Gewerbegebiet ab. Eine dialogische Bürgerbeteiligung hatte es nicht gegeben, bedauert Bosch: „Bei solchen Entscheidungen läuft es immer auf einen Zielkonflikt hinaus: Flächenverbrauch gegenüber Investitionen in den Klimaschutz“, sagt sie. „Dieser Zielkonflikt lässt sich in einem Bürgerentscheid nicht mehr auflösen.“
Die Beteiligung im Dialog bringt ihrer Erfahrung nach eine Versachlichung und eine Befriedung der Debatte, sie räumt aber ein: Am Ende hätte auch eine Ablehnung stehen können: „Dialogische Bürgerbeteiligung ermöglicht aber nicht jede Ansiedlung und jedes Gewerbegebiet.“
Um Kommunen und Behörden beim Dialog mit den Bürgern noch besser zu unterstützen, hat das Land im vergangenen Jahr eine Servicestelle eingerichtet. „Als nächstes Vorhaben wird eine Beteiligung zu einem Wohngebiet in Herrenberg betreut“, sagt Bosch. Nach einer aufgeheizten Debatte hatte der Herrenberger Bürgermeister Thomas Sprißler die Entscheidung über das neue Wohngebiet kurzerhand von der Tagesordnung genommen und einen Bürgerdialog angekündigt.
Die dialogische Bürgerbeteiligung sei nicht nur wenig bekannt, sondern werde auch immer noch missverstanden. „Sie wird gleichgesetzt mit einem Bürgerentscheid. Das ist aber nicht dasselbe“, erklärt Bosch. „Dialogische Bürgerbeteiligung ist dazu da, in die schweigende Mehrheit hinein zu hören. Früher war Bürgerbeteiligung ein Instrument, Minderheiten zu hören. Das hat sich geändert.“
Die grün-schwarze Landesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen, die dialogische Bürgerbeteiligung noch auszubauen. „Dabei geht es darum, dass die dialogische Bürgerbeteiligung vor Bürgerentscheiden stehen kann“, sagt Bosch. „Außerdem soll eine Stichfrage bei Bürgerentscheiden eingeführt werden, so dass über alternative Vorschläge abgestimmt werden kann.“ Sie sei aktuell im Gespräch mit den Fraktionen über eine Verfassungsänderung.
Formen der Bürgerbeteiligung
Dialog
Bei der dialogischen Bürgerbeteiligung werden zufällig ausgewählte Bürger verschiedener Milieus an einen Tisch geholt, um sich über ein kritisches Thema auszutauschen. Auf diese Weise sollen Meinungen abseits der organisierten Interessensverbände gehört werden. Das Votum des Bürgerforums hat keinen bindenden Charakter, sondern dient dem Austausch von Argumenten.
Entscheid
Ein Bürgerentscheid auf kommunaler Ebene ist in der Verfassung geregelt. Er kann durch den Beschluss eines Gemeinderats oder auf Antrag der Bürger über ein Bürgerbegehren initiiert werden. Die wahlberechtigten Bürger stimmen über eine Frage mit Ja oder Nein ab. Die Mehrheit muss mindestens 20 Prozent aller Stimmberechtigten betragen. Wird das Quorum nicht erreicht, muss der Gemeinderat entscheiden.