Über die Form der Bürgerbeteiligung in den Sitzungen der Bezirksbeiräte gehen die Meinungen auseinander. Eine Idee aus Stuttgart-Ost macht Schule.

S-Ost - Bürgerbeteiligung ist angesagt, spätestens die Stuttgart 21-Schlichtung hat es möglich gemacht. Auch in den Innenstadtbezirken gibt es kaum noch ein größeres Projekt, bei dem interessierte Bürger nicht mitsprechen können. Beim Olgäle-Areal in Stuttgart-West ist es schon lange so, beim geplanten Rosensteinviertel in Stuttgart-Nord hat der S 21-geplagte Oberbürgermeister Wolfgang Schuster die Bürgerbeteiligung selbst in die Hand genommen. Beim Mineralbad Berg in Stuttgart-Ost haben die Stammgäste und der Verein Berger Bürger solch einen Beteiligungsprozess hartnäckig angeregt, Bezirksvorsteher Martin Körner hat – gemeinsam mit dem Stadtplanungsamt – ein Konzept dafür entworfen, dessen Umsetzung mit einem Aussprache- und Informationsabend am Montag gestartet wird. Im Vergleich zu solchen dynamischen Prozessen kommt ein anderes, älteres Mittel der Bürgerbeteiligung vergleichsweise behäbig daher: der erste Tagesordnungspunkt „5 Minuten für Bürgerinnen und Bürger“ in den Sitzungen der Bezirksbeiräte. Über dessen Sinn gehen die Meinungen auseinander.

 

Der für die Stadtbezirke zuständige Verwaltungsbürgermeister Werner Wölfle hält wenig bis nichts von der „Fünf-Minuten-Terrine“, wie der Punkt in manchen Verwaltungskreisen abfällig bezeichnet wird. Das wirke so, als ob man die Bürger danach nicht mehr brauche, sagt Wölfle. Deswegen unterstützt er andere Beteiligungsformen. Die vom Bezirksvorsteher von Stuttgart-Ost Martin Körner eingeführte Form, Bürger ganz gezielt zu bestimmten Tagesordnungspunkten per Postkarte einzuladen, hat Wölfle inzwischen allen Bezirksvorstehern ans Herz gelegt.

Im Norden fehlt ein Sitzungssaal

Die Ost-Einwohner selbst nutzen den Fünf-Minuten-Tagesordnungspunkt allerdings trotzdem vergleichsweise rege. Immer meldet sich jemand zu Wort, egal ob die Berger Bürger, die Bad-Berg-Stammgäste, Kleingartenbesitzer von der Anlage an der Landhausstraße zwischen den beiden Teilen des Klingenbachparks oder zuletzt ein Vater, der Anregungen zur Verbesserung der Spielplätze vortrug.

In Stuttgart-Nord haben sich die fünf Minuten für die Bürger bei der jüngsten Sitzung auf fast eine Stunde gedehnt. Um zu verhindern, dass am Kräherwald ein Heim für psychisch Kranke gebaut wird, füllten 50 Nachbarn die Zuhörerreihen. Formal gibt es im Norden keine fünf Minuten für die Bürger, und die Gemeindeordnung verbietet sogar Zuhörern zu sprechen. Allerdings kann der Bezirksbeirat dieses Verbot aufheben. Das tat er in jener Sitzung, und „das hat er immer getan“, sagt die Bezirksvorsteherin Andrea Krueger. Sofern Betroffene ihre Meinung sagen wollen, werden sie gehört, was auch in den meisten anderen Stuttgarter Stadtbezirken so praktiziert wird. Im Norden hat noch niemand darüber nachgedacht, fünf Bürgersprechminuten zum Tagesordnungspunkt zu erheben. „Ich hatte bisher das Gefühl, dass kein besonderes Interesse besteht“, sagt Krueger, „und von den Beiräten ist keiner auf mich zugekommen“. Wenn keine typischen Reizthemen besprochen werden, bleiben die Zuschauerstühle leer. So wäre es wohl auch beim jüngsten Treffen gewesen. Krueger hatte allerdings jene Nachbarn eigens eingeladen. Ein Grund für das geringe Interesse mag sein, dass dem Norden ein Sitzungssaal fehlt. Der Bezirksbeirat tagt im Rathaus.

Die Süd-Bürger melden sich

In Stuttgart-West hat Bezirksvorsteher Reinhard Möhrle in den vergangenen Monaten Buch geführt – und im Schnitt bei jeder Sitzung eine Wortmeldung registriert. Auch Möhrle will künftig beispielsweise von Bauprojekten betroffene Bürger gezielt einladen. Das dürfte dann auch im Westen zu deutlich mehr Andrang auf den Zuhörerplätzen führen.

Im Süden nutzen die Bürger nicht nur die fünf Minuten. Sie dürfen sich auch während der Sitzung einbringen – allerdings erst, nachdem die Bezirksbeiräte das Wort hatten. Daher ist dieser Tagesordnungspunkt für den Bezirksvorsteher Rupert Kellermann mehr eine Geste, um die Bürger zu ermutigen, sich zu Wort zu melden: „Die Südbürger sind aber eh sehr mutig: Sie rufen mich zu Hause an, sprechen mich auf der Straße an, kommen in die Sprechstunde, schreiben mich an und haben mit dem Sitzungsort im Generationenhaus Heslach einen kurzen Weg in die Sitzungen.“