Die Beratungsstelle Kompass in Stuttgart übersetzt Mitteilungen in verständliches Deutsch und hilft beim Antragstellen. Kürzlich haben die zwei Sozialpädagoginnen ihre Beratungsarbeit selbst zum Event gemacht und zur „langen Nacht der Formulare“ eingeladen.

Lokales: Sybille Neth (sne)

Stuttgart - Es gibt Karottensuppe und im Hintergrund läuft dezent Reggaemusik. Das Café der diakonischen Beratungsstelle Kompass liegt genau am Hospitalplatz und von ihm profitiert auch Kompass, denn seither lässt es sich auch gemütlich im Außenbereich sitzen. Frau R. und ihre Teenager-Tochter habe jedoch an einem der Tischchen innen im Café Platz genommen und ein Schreiben der Stadt ausgepackt. Ratlosigkeit herrscht bei den Flüchtlingsfrauen aus Afghanistan. Die Tochter spricht zwar sehr gut Deutsch, den Amtsjargon der Mitteilung aber versteht auch sie nicht. Frau R. traut sich nicht, ihr bisschen Deutsch anzuwenden und verlässt sich ganz auf die Tochter.

 

Den beiden wird geholfen: Judith Giesel übersetzt das Schreiben in eine verständliche Form und sagt den Frauen, was sie weiter unternehmen müssen. Die Sozialpädagogin und ihre Kollegin Oksana Müller arbeiten in der Beratungsstelle mit Café, in dem es hin und wieder Veranstaltungsreihen gibt. Deshalb steht ein Klavier an der Wand. Für Konzerte, die die Klienten selbst geben, erzählt Giesel. Im Herbst wird es eine Ausstellung geben mit Bildern einer Frau, die bei Kompass auch schon Hilfe holte, als sie nicht mehr weiter wusste. „Wir entdecken immer wieder Begabungen. Für die Leute ist es wichtig, dass sie der Gesellschaft so etwas zurück geben können“, findet Giesel, die traditionell im November eine Filmreihe gegen die Herbst-Depression organisiert.

Lange Nacht der Formulare

Durch die Veranstaltungen wird Kompass über den Cafébetrieb hinaus zum Treffpunkt – nicht nur für die Ratsuchenden. Der Betrieb wird zuverlässig von Ehrenamtlichen gemanagt. „Aber die Gäste dürfen sich auch gern etwas mitbringen“, sagt Giesel

Kürzlich haben die zwei Sozialpädagoginnen ihre tägliche Beratungsarbeit selbst zum Event gemacht und zur „langen Nacht der Formulare“ eingeladen, denn vor dererlei Formalitäten schrecken viele ihrer Klienten zurück. Von der verlängerten Öffnungszeit bis 22 Uhr an diesem Abend hatte nur eine Handvoll Ratsuchende Gebrauch gemacht. Das mag daran liegen, dass Giesel und Müller auch sonst flexibel sind und schon mal außerhalb der offiziellen Beratungszeiten für ihre Klienten da sind, wenn dies aus Termingründen nicht anders machbar ist.

Ein Richtung in schwierigen Zeiten

So wie für Frau Z, die mit ihren Problemen zur Langen Nacht kam, weil sie tagsüber arbeitet. Mit Ende Zwanzig hat sie noch einmal eine neue Ausbildung als Erzieherin begonnen – „endlich das, was mir Freude macht“, sagt sie. Als Jugendliche hatte sie nur geschaut, dass sie überhaupt eine Lehrstelle bekam, damit sie schnell von zuhause ausziehen konnte.

Jetzt hat sie das Alter für alle öffentlichen Förderungen überschritten. „Mir würden noch 80 Euro im Monat von meinem Azubi-Gehalt zum Leben bleiben“, rechnet sie vor. Von ihrem kirchlichen Arbeitgeber wurde sie an Kompass verwiesen und dort erfuhr sie, dass sie die Bonuscard, einen Einkaufsausweis für den Tafelladen und Wohngeld beantragen kann. „Von diesen Möglichkeiten wusste ich nichts“, sagt sie. Zusammen mit Judith Giesel hat sie die lange Nacht genutzt, um die nötigen Anträge zu stellen. Das Café mit Beratungsstelle wird von der evangelischen Kirche finanziert. Die Sozialarbeiterinnen vermitteln Mutter-Kind-Kuren, machen Lebensberatung oder wissen, wie im Fall von Frau Z., welche öffentlichen Zuschüsse für einen in Not geratenen Klienten in Frage kommen können. „Den Namen Kompass haben wir gewählt, weil wir in schwieriger Lage eine Richtung geben wollen“, sagt Giesel und fügt lachend hinzu: „Man kann bei uns aber auch Kaffee trinken, ohne dass man Probleme hat.“