Bundeswehr in Baden-Württemberg Wo Soldaten im Land die Freiheit verteidigen

Nach ihrer Rückkehr aus Litauen entladen Soldaten des Hardheimer Panzerbataillons 363 in Tauberbischofsheim ihre Leopard 2. Foto: Bundeswehr/Karsten Dyba

Verteidigungsminister Boris Pistorius fordert, dass Deutschland rasch kriegstüchtig wird. Baden-Württembergs einziges Panzerbataillon in Hardheim ist schon mittendrin – mit 500 Soldaten und 18 Leopard 2. Aber was denken die Menschen vor Ort?

Bürgermeister Stefan Grimm empfängt in seinem Dienstzimmer im Hardheimer Schloss im Neckar-Odenwald-Kreis, in dem vor vielen hundert Jahren auch schon Verwandte des für den schwäbischen Gruß („Leck mich am A...“) berühmte Götz von Berlichingen residiert haben. An einer Wand steht ein Tischchen mit Fotos und Wappen von den beiden Bundeswehreinheiten, die in seiner Gemeinde im fränkischen Odenwald im Nordosten Baden-Württembergs beheimatet sind: das Panzerbataillon 363 und eine Stabs- und Führungsunterstützungskompanie der Division Schnelle Kräfte (SOCC).

 

„Wir sind mit Soldaten groß geworden“

Die Frage nach dem Verhältnis zwischen den Bürgern seiner 7000-Einwohner-Gemeinde und dem Militär findet der freundliche Vollbartträger von den Freien Wählern „komisch“. „Seit den 60er Jahren war die Bundeswehr hier. Wir sind mit den Soldaten, Fahrzeugen und Hubschraubern groß geworden“ , erzählt der 46-jährige gelernte IT-Berater und ehemalige Soldat. Als wichtiger Arbeitgeber sei das Image der Armee in der strukturschwachen ländlichen Gegend – im Volksmund „badisch Sibirien – stets positiv gewesen. „Deshalb war die Entscheidung 2011, die Kaserne zu schließen auch so ein Riesenschock“, erzählt Grimm.

2019 wird das Panzerbataillon 363 – hier das Stabsgebäude – in Hardheim neu aufgestellt Foto: Johannes Hoffmann

Heute ist alles anders. Und das hat mit dem verheerenden russischen Angriffskrieg in der Ukraine zu tun. Das erst 2006 im nahen Külsheim aufgelöste Panzerbataillon 363 erlebte seine Wiederauferstehung und zog ab 2019 in die Carl-Schurz-Kaserne auf einer Anhöhe über Hardheim. Die Gemeinde hofft auf Investitionen in dreistelliger Millionen-Höhe. Die neue alte Kampfeinheit mit rund 500 Soldatinnen und Soldaten und ihren 18 Leopard-2-Panzern (Sollstärke: 44) ist das einzige Panzerbataillon in Baden-Württemberg und hat gerade in Litauen den ersten Auslandseinsatz hinter sich gebracht.

Wer sich in Hardheim umhört, stößt auf viel Zuspruch für die Streitkräfte und ihren Wiedereinstieg in die Landes- und Bündnisverteidigung. Aber auch auf viel Skepsis, ob das gelingt. „Gut, dass die Bundeswehr hier ist“, sagt der Ruheständler Klaus Ahrens am Ortseingang von Hardheim. „Man weiß nicht, was Putin noch vorhat. Deshalb müsse Deutschland seinen Beitrag zur Verteidigung seiner Verbündeten leisten. „Die Gefahr, dass sich der Krieg ausweitet, ist so groß wie seit Jahrzehnten nicht mehr“, meint er mit Blick auf die prekäre Lage in der Ukraine.

Bundeswehr lange vernachlässigt

Wie die meisten Befragten findet Martina Bödigheim: „Dass man die Bundeswehr so lange vernachlässigt hat, war blauäugig.“ Das räche sich jetzt. Nun müsse man alles wieder aufbauen. „Abschreckung ist richtig“, zeigt sich ein anderer Rentner überzeugt, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Aber ob die auch funktioniert, da ist sich die Bäckereiverkäuferin Cordula Dörr nicht sicher: „Stand heute ist die Bundeswehr viel zu schwach.“

Nur beim innenpolitischen Taurus-Gezerre herrscht unter den Hardheimern Uneinigkeit: „Es ist richtig, dass Kanzler Scholz die Marschflugkörper nicht an die Ukraine liefert. Das ist ein viel zu heißes Eisen“, meint einer, der eine Eskalation befürchtet. Ein anderer aber meint, die Scholzsche Zögerlichkeit „lädt Putin geradezu ein“.

Per Eisenbahn sind die Leopard 2 des Hardheimer Panzerbataillons aus Litauen zurückgekehrt. Foto: Bundeswehr/Karsten Dyba

Oberstleutnant Andreas Kirchner ist der Kommandeur des Panzerbataillons 363 in Hardheim. Und von vergangenem Juli bis Ende Januar war er mit zwei Kompanien, knapp 300 Männer und Frauen, in Litauen und führte dort einen multinationalen Gefechtsverband mit 1600 Soldaten aus sechs Ländern. Der 43-Jährige Hesse – breite Schultern, gewinnendes Lächeln und Händedruck fest wie ein Schraubstock – hat schon Einsätze im Kosovo und in Afghanistan absolviert.

Doch die sechs Monate in Litauen waren anders. „Die Menschen dort sind uns dankbar für unseren Beitrag zu ihrer Sicherheit“, sagt er. „Es hat mich schwer beeindruckt, mit welcher Ernsthaftigkeit die Litauer ihre Landesverteidigung organisieren.“ Sein Auftrag dort: die Ostflanke der Nato sichern und Russland abschrecken. Das hat er, voll integriert in eine litauische Brigade, mit Gefechtssimulation und einer großen Übung geschafft. „Alle sind wieder heil zuhause“, sagt er. Seine Erleichterung ist ihm anzumerken.

Ein Landstrich rund um das Städtchen Suwalki am nordöstlichen Zipfel Polens an der Grenze zu Litauen bildet die einzige Landverbindung zwischen den baltischen Staaten und den übrigen Nato-Verbündeten und wird zugleich eingerahmt von Russlands Verbündeten Belarus im Osten und der russischen Exklave Kaliningrad im Westen. Wollte Putin austesten, wie robust und schnell das westliche Bündnis wirklich ist, die sogenannte Suwalki-Lücke wäre ideal dafür.

Brigade Litauen – ein ehrgeiziges Projekt

Und nur etwas mehr als zwei Autostunden entfernt davon waren die Bundeswehr-Soldaten aus Hardheim gerade. In den Augen von Experten ist ihr Einsatz ein klares Bekenntnis zur Verteidigung von Nato-Territorium. „Die verstärkte Vornepräsenz ist wichtig zur Verteidigung des Bündnisgebiets in Litauen“, meint Joachim Krause, Ex-Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel. Im Ernstfall würde sie nicht ausreichen und müsste rasch verstärkt werden, so der Experte. Deshalb will Deutschland zur Sicherung der Nato-Ostflanke bis Ende 2027 zum ersten Mal eine komplette Kampfbrigade im Ausland stationieren – in Litauen. Kostenpunkt: Fünf bis sieben Milliarden Euro. „Die Pläne sind sehr ehrgeizig. Und es ist immer wieder gefragt worden, ob Deutschland das auch wirklich schaffen kann“, so Krause. „Ich hoffe, dass es klappt“, meint er.

Auf einer Anhöhe bei Hardheim: die Carl-Schurz-Kaserne des Panzerbataillons 363 Foto: Johannes Hoffmann

Die Hardheimer Panzereinheit soll nicht Teil der Brigade Litauen werden. Die Oberstabsgefreite Daniela S. könnte sich trotzdem gut vorstellen, mit Mann und drei Kindern für ein paar Jahre nach Litauen zu ziehen. Und das, obwohl ihr erster Auslandaufenthalt für sie hart war. Die lange Trennung von der Familie fiel ihr anfangs sehr schwer.

Kritik von Friedensaktivisten

Kritik am deutschen militärischen Engagement in Litauen ist in Hardheim nicht zu finden. Dafür bei Friedensaktivisten aus Tübingen. „Ich würde mir wünschen, es würde ähnlich viel Engagement in die Suche nach diplomatischen Lösungen und Wegen zur Deeskalation gesteckt wie in die flächendeckende Aufrüstung der Nato-Ostflanke“, sagt Jürgen Wagner, geschäftsführender Vorstand der Informationsstelle Militarisierung (Imi). Völlig ungeklärt sei, woher die Milliarden für die Brigade Litauen kommen. Gleichzeitig würden Sozialkürzungen gefordert. Da sei jede Balance „aus den Fugen geraten“, so Wagner weiter.

Derlei Gedankengänge kann Bürgermeister Grimm nicht nachvollziehen: „Wir sollten mit allem, was wir haben, hinter der Ukraine stehen“, meint er. Er hält auch eine Ausweitung des Krieges für möglich. „Deshalb müssen wir uns auf alles vorbereiten.“ Anders seien Freiheit, Regeln und Recht nicht zu verteidigen. Nun ist ihm aber erst einmal wichtig, dass die Hardheimer Soldaten beim feierlichen Rückkehrer-Appell vor seinem Rathaus den Dank, die Wertschätzung und die Verbundenheit mit ihrem Standort erfahren, den sie in seinen Augen verdienen. Das ganze Bataillon wird antreten, ein Heeresmusikkorps spielt auf. Sogar Deutschlands ranghöchster Soldat, der Generalinspekteur Carsten Breuer, reist eigens in das kleine Hardheim, wo er vor Jahren auch einmal Kommandeur war. Auf dem Schlossplatz könnte es eng werden.

Weitere Themen