In Nordamerika sind wohl Bücher gefälscht worden. Nun will der neue US-Eigner Thor Industries erheblich weniger für den oberschwäbischen Reisemobil-Hersteller bezahlen.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Bad Waldsee/Elkhart - Aus dem oberschwäbischen Bad Waldsee an die Weltspitze, das war eine der großen Wirtschaftsnachrichten vom vergangenen Herbst. Hymer, der europäische Marktführer für Reisemobile, wurde freundlich von Thor Industries übernommen, dem marktbeherrschenden Caravanproduzenten in den USA. Der vereinbarte Kaufpreis betrug 2,1 Milliarden Euro. Den Großteil des Geldes sollten laut Vertrag die bisherigen Hymer-Gesellschafter in bar erhalten – für die Familie des 2013 verstorbenen Unternehmensgründers Erwin Hymer, bestehend aus der Witwe Gerda Hymer sowie den Kindern Christian und Carolin, ein wunderbares Geschäft. Sie hatten nie Ambitionen gezeigt, selbst ins Management einzutreten. Christian Hymer beschränkt sich auf einen Posten als Aufsichtsrat. Nun sollte die Familie nicht nur viel Geld, sondern auch eine Aktienbeteiligung an Thor erhalten, die im vergangenen September einen Wert von rund 200 Millionen Euro besaß.

 

Doch ganz so dürfte es nicht kommen. Ende 2018 sollte den ursprünglichen Plänen zufolge die Verschmelzung der beiden Konzerne abgeschlossen sein. Ein mutmaßlicher Betrugsfall, der in Nordamerika spielt, erschüttert nun das Vertrauen von Mitarbeitern und Anlegern. In einer Investorenmitteilung informierte Thor Industries, es werde ein „Update“ der Übernahme geben mit dem Ziel, „die nordamerikanischen Aktivitäten von EHG“ (Erwin Hymer Group) vom Erwerb auszuschließen. Es werde „Anpassungen des Kaufpreises“ geben. Damit sollen auch die Verbindlichkeiten im Zusammenhang mit den Bankkrediten sinken, mit denen der Kauf finanziert wurde.

„Unregelmäßigkeiten im Berichtswesen“

Am Montag wurde der Hymer-Chef Martin Brandt deutlicher. „Erste Untersuchungen haben Unregelmäßigkeiten im Berichtswesen des Unternehmens ergeben“, teilte er mit. Das Unternehmen habe eine umfassende Untersuchung durch externe Wirtschaftsprüfer eingeleitet. Aufgrund bisheriger Ergebnisse seien „mehrere Manager“ in Nordamerika suspendiert worden. „Aufgrund der laufenden Untersuchungen verhandeln Thor Industries und die Gesellschafter der Erwin Hymer Group über den Abschluss des Kaufs der Erwin Hymer Group ohne das Nordamerikageschäft“, so Brandt. „Auf Details der laufenden Untersuchung wird das Unternehmen nicht weiter eingehen.“

Das Nordamerikageschäft ist nicht nur irgendeines von Hymer, es ist wachsender Absatzmarkt und Ideenlabor zugleich. Dort lässt Brandt seit langem Prototypen fahren, die seinem Traum vom elektrischen Reisemobil, genannt E-Home, nahekommen. Ein Reisemobil ohne großen Benzinmotor vor dem Fahrer erschaffe völlig neue Gestaltungsmöglichkeiten für den Innenraum, schwärmten Ingenieure zum Beispiel schon 2017 auf der Stuttgarter Tourimusmesse CMT. So etwas fache auch die Fantasie potenzieller Käufer an. Ende August 2018 jubelten die Bad Waldseer auf dem Caravan Salon Düsseldorf über einen neuen Absatzrekord für das Geschäftsjahr 2017/2018. In der Bilanz standen 61 700 verkaufte Fahrzeuge – 6700 mehr als im Vorjahr. Der Umsatz war im Vergleich zum Vorjahr von 2,1 Milliarden auf 2,5 Milliarden Euro gestiegen. Die glänzenden Zahlen gehörten zur Bewertungsgrundlage für den kurz darauf folgenden Verkauf an den Hersteller Thor Industries, der seinen Sitz in der Kleinstadt Elkhart (Indiana) hat.

Externe Prüfer sitzen über den Büchern

Doch damit stimmt offensichtlich etwas nicht. Das amerikanische Wirtschaftsmagazin „RV Daily Report“ wie auch kanadische Medien berichteten mit Berufung auf nicht näher benannte Informanten, die Absatzzahlen in den USA seien geschönt worden. Aufgefallen sei das zuerst Vertragshändlern in Nordamerika, die sich über ein Missverhältnis von angeblich verkauften Hymer-Fahrzeugen und eigenen Bestellungen beim Konzern gewundert hätten. Hymer-Manager in Nordamerika hätten außerdem Familienmitgliedern Gehälter gezahlt, die nur zum Schein angestellt gewesen seien. Bei den freigestellten Managern handle es sich um den Vorstandschef, den Finanz- sowie den für das Tagesgeschäft zuständigen Vorstand (COO).

Ein Hymer-Unternehmenssprecher wollte auf Nachfrage am Dienstag keinen der Medienberichte bestätigen. „Das Management ist suspendiert worden“, wiederholte er in Bezug auf die Unternehmenssparte Nordamerika lediglich. Die Untersuchungen liefen noch. „Alles, was berichtet wird, sind reine Annahmen“, sagte er. Mutmaßungen, wonach jetzt der gesamte Handel scheitern könnte, wies der Sprecher zurück. Hymer sei „eine hochstabile Organisation“.

Auf kartellrechtliche Genehmigungen habe die neue Entwicklung keinen Einfluss, betonte Thor Industries in seiner Investorenmitteilung. Der Kauf solle nunmehr bis Ende des dritten Quartals, also bis zum 30. April, abgeschlossen werden. Um wie viel der Preis gedrückt werden soll, dazu gibt es keine Prognose. Nach Angabe von Hymer liegen rund zehn Prozent der Geschäftsanteile der EHG in Nordamerika. Die Oberschwaben setzten in Nordamerika zuletzt rund 300 Millionen Euro um – ein Hinweis zumindest, in welchen Dimensionen jetzt neu verhandelt wird.