Bei ihrem Parteitag feiert die CDU die Kanzlerin. Was bleibt ihr auch anderes übrig? Konkurrenz ist nicht in Sicht.

Hannover - Ganz in schwarz tritt sie ans Rednerpult, in der Farbe ihrer Partei, so als wolle Angela Merkel schon mit der Wahl ihres Hosenanzugs klar stellen, welches Signal sie von diesem Parteitag erwartet: Ohne mich ist diese Partei nichts. Und keiner würde ihr da widersprechen. Deshalb müsste sie diese Rede auch gar nicht erst halten. Sie könnte es sich womöglich sogar erlauben, stattdessen aus dem örtlichen Branchenverzeichnis vorzulesen. Trotzdem würden die Delegierten später wie bestellt aufspringen und jubeln. Wen haben sie denn sonst noch, die 1001 Delegierten aus Nord, Süd, West und Ost?

 
Man muss vor dem Podium den Blick nur nach links wenden. Dann erklärt sich die fast schon provozierend zur Schau gestellte, selbstgewisse Gelassenheit, mit der sie auftritt. Das Tagungspräsidium lässt sich zu Beginn des Parteitags in zwei Gruppen aufteilen. Die einen, zu ihnen zählen die nordrhein-westfälischen Verlierer Norbert Röttgen und Karl-Josef Laumann, haben ihre besten Zeiten hinter sich. Die anderen, unter anderem Julia Klöckner und der baden-württembergische Landeschef Thomas Strobl, haben noch nicht das Format, um schon als Versprechen an die Zukunft gelten zu können. Nur Lokalmatador David McAllister, der Liebling dieses Parteitags auf dem Messegelände in Hannover, weckt mit seinen Statements in allen Landesverbänden Emotionen, die Merkel interessiert zur Kenntnis nehmen dürfte. Er hätte das Zeug zum Kronprinzen, wenn, ja wenn er die Wahl am 20. Januar gewinnt. Erst dann wird sich herausstellen, ob McAllister Ministerpräsident bleiben kann oder ob das Kapitel „Hoffnungsträger“ auch für ihn schon wieder geschlossen wird.

Merkel aber hat ihre Wahlen gewonnen. Sie ist die einzige, die derzeit dieser erfolgshungrigen Partei noch Mehrheiten verheißt. Einer Partei, die in so vielen Ländern und Großstädten – zuletzt in Karlsruhe – den Anschluss verlor. Die Delegierten wollen sich gar nicht ausmalen, wo die Partei stünde, träte Merkel plötzlich zurück. Wer sollte ihr also am Zeug flicken? Die Partei mag deshalb hier ein wenig über die Gleichstellung Homosexueller, und da ein bisschen über die Besserstellung von Müttern im Alter diskutieren. Aber letztlich wissen alle Delegierten, dass das Wort des Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder, wonach es auf die Kanzlerin ankomme, auf beklemmende Weise der Wahrheit entspricht.

Merkel muss deshalb in ihrem Rechenschaftsbericht gar nicht erst tiefsinnig werden. Sie kann es sich erlauben, eine Rede zu halten, die programmatisch kurz vor dem Wahljahr wie so oft an der Oberfläche dümpelt. Gleich zu Beginn schreibt sie den Delegierten ins Stammbuch, dass sie sich gut benehmen sollen: „Wir sind es, die das Bild dieses Parteitags prägen“, merkt sie an. Will sagen: „Nicht streiten Kinderlein, schön spielen“. Man kann nicht sagen, dass ihr parteiinterner Spitzname „Mutti“ unpassend wäre.

Mit ihrer Rede versucht sie, der verunsicherten Partei Selbstbewusstsein einzubläuen. Nicht weniger als sieben Mal wiederholt sie die – gelinde gesagt - gewagte Behauptung, ihre schwarz-gelbe Koalition sei die erfolgreichste Regierung nach der Wiedervereinigung. Arbeitslosigkeit, Wirtschaftswachstum, Haushaltskonsolidierung, Europapolitik – alles Super, alles das Verdienst der Koalition.

Und so legt sie folgerichtig auch ein Bekenntnis zum schwarz-gelben Bündnis ab, wenngleich sie dabei derart launig spricht, dass ihre Worte nur schwerlich als Treueschwur für die Ewigkeit gewertet werden können. Ihr habe der Sprecher einer Satiresendung „aus der Seele gesprochen“, als der anmerkte: „Gott hat die FDP nur geschaffen, um uns zu prüfen“. Die Delegierten danken ihr diese Pointe auf Kosten des ungeliebten Partners mit entlarvender Heiterkeit. Aber Gott, fährt sie fort, habe „uns geschaffen, um aus unseren Möglichkeiten etwas zu machen“. Und weil sie mit der FDP noch immer „die größten Gemeinsamkeiten“ feststelle, lohne es sich, für eine Fortführung der Koalition zu streiten – sozusagen in Gottes Namen. „Wer sind wir eigentlich, dass wir das zehn Monate vor der Bundestagswahl nicht für möglich halten“, ruft sie in den Saal. Wäre sie so ängstlich gewesen wie manche Skeptiker heute in den eigenen Reihen, wäre sie niemals CDU-Chefin geworden und auch die deutsche Einheit wäre nie Wirklichkeit geworden, wenn Helmut Kohl nicht an den Erfolg geglaubt hätte.

Wenn das, was sie an diesem Nachmittag vorträgt, ihre Wahlkampfstrategie werden soll, dann ist diese schnell erzählt. Man hätte ja schon vor der Rede hohe Wetten darauf abschließen können, dass sie wieder mal etwas von einem Schiff in schwerer See erzählt, das einem klaren Kompass folgt und so weiter. Es überrascht also nicht, dass sie auch in dieser Rede die Ansicht vertritt, „auf schwerer, stürmischer See“ sei die CDU jene Partei, die dass Boot „sicher steuert“ – mit ihr am Steuer. Sie hat ihre Marke längst geprägt, präsentiert sich als Krisenmanagerin, als Pragmatikerin, die am besten in der Lage ist, in der Krise auf Sicht zu fahren. Sie pflegt so ihr Image als Schafferin, die solides Handwerk abliefert statt gewagter Zukunftsarchitektur. Die anderen, das seien die miesepetrigen Linken, die den Bürgern mit Steuererhöhungen ans Portemonnaie wollten und nicht in der Lage seien, mit der Agenda 2010 eigene Erfolge angemessen zu würdigen.

Das diffuse Bild, das die Partei in inhaltlichen Fragen abgibt, preist sie als Ausdruck der Stärke. Die CDU, das sei nun mal die Partei des Schulinspektors, des Verwaltungsangestellten oder des Physikers aus Delbrück, Neubrandenburg oder Berlin. „Vielfalt, das sind wir“, ruft sie. Kein Wort verliert sie über die Probleme ihrer Partei in den Städten. Kein Wort über die Orientierungsnot manches Konservativen. Ihr SPD-Herausforderer, Kanzlerkandidat Peer Steinbrück mag Recht haben, wenn er beklagt, Merkel lasse sich selten mit einer klaren Position erwischen. Aber der Parteitag wird sie sicher nicht dazu bringen, diese Strategie zu ändern. Ihr wird es egal sein, wenn Kommentatoren dies alles als intellektuell unterfordernd abtun. Ihr Gradmesser sind ihre persönlichen Umfragewerte – die bestens sind.

Am Ende stimmen 97,94 Prozent für Merkel, es ist dies im siebten Anlauf nach zwölf Jahren an der Spitze der Partei ihr bestes Ergebnis. Die Delegierten springen auf, als das Votum bekannt wird, sie jubeln frenetisch wie nach einem fulminanten Wahlsieg. Angie-, Angie-Rufe hallen durch den Saal. Minutenlang wird es Merkel zufrieden lächelnd nicht gelingen, wegen des Lärms der Feiernden die Wahl anzunehmen. „Ich bin platt und bewegt“, sagt sie. „Jetzt geht’s ran an den Speck, wir haben noch viel vor“.

Man wusste vorher schon, dass alles so kommen muss. Und es ist eben diese Vorhersehbarkeit, diese Gesetzmäßigkeit, die diesen Parteitag der CDU so faszinierend und irritierend zugleich macht. Als sei dies alles Ergebnis eines Rechenmodells, ersonnen von Angela Merkel, der Physikerin.