Zigaretten, Chemikalien, UV-Strahlung – und der Zufall können das Erbgut in den Zellen des Körpers schädigen. Drei Genforscher erhalten den Nobelpreis für Chemie, weil sie entschlüsselt haben, wie die Zellen die Fehler in der DNA reparieren – zumindest die meisten.

Stuttgart - Nach der Dämmerung führen sie ein Leben, das sich kaum von dem anderer Menschen unterscheidet. Sobald jedoch die Sonne aufgeht, dürfen die sogenannten Mondscheinkinder ihr Zuhause nur noch mit einem Spezialhelm verlassen, der restliche Körper ist verhüllt in dicke Kleidungsschichten. Ansonsten riskieren Menschen, die an der sogenannten Xeroderma pigmentosum (XP) leiden, ihr Leben. Betroffene mit diesem Leiden, das zu den seltenen Erkrankungen zählt, fehlt von Geburt an ein wichtiger genetischer Schutzmechanismus des Körpers: Während andere Menschen Schäden am Erbgut, die das Sonnenlicht verursacht, zumindest bis zu einem gewissen Grad reparieren können, ist die Haut der Mondscheinkinder dem Licht hilflos ausgesetzt.

 

Die UV-Strahlung zerstört Teile des Erbguts in den Hautzellen. Diese beginnen unkontrolliert zu wachsen. Die Folge sind bösartige Tumore der Haut, in den Augen, an den Lidern, auf den Lippen. Ohne konsequenten UV-Schutz entwickelt fast jedes zweite XP-Kind im Alter von zehn Jahren das erste Mal Hautkrebs. Und viele erreichen das Erwachsenenalter nicht. Diese Erkrankung ist nur ein Beispiel dafür, was passiert, wenn der angeborene Reparaturmechanismus nicht funktioniert.

Wie diese komplizierte Reparatur im Normalfall abläuft und wie vielfältig sie ist, haben drei Genforscher herausgefunden, die in diesem Jahr mit dem Nobelpreis für Chemie geehrt werden. Das Preisgeld von acht Millionen schwedischen Kronen (850 000 Euro) teilen sich Tomas Lindahl (77) aus Schweden, Paul Modrich (69) aus den USA und Aziz Sancar (69) aus der Türkei. Sie hätten mit unterschiedlichen Methoden analysiert, wie die Zelle ihre DNA repariert und so die genetische Information schützt, lobt das Nobelpreiskomitee die grundlegenden Forschungsarbeiten.

Der einzigartige Code der Genbuchstaben A, T, G, und C

Alle Lebewesen haben eines gemeinsam: die Gene. Pflanzen, Tiere, Menschen oder auch Viren und Parasiten können nur durch ihr perfekt funktionierendes Erbgut existieren. Denn Leben ist nur möglich, wenn die Abfolge der genetischen Bausteine richtig abgelesen und in Proteine übersetzt wird. Diese Proteine steuern schließlich lebenswichtige Funktionen wie etwa die Verdauung, die Atmung oder auch bei Pflanzen den Wasserhaushalt. Die Erbanlagen liegen dabei im Inneren eines jeden Zellkerns auf dem Erbgutstrang, der DNA. Im Normalzustand kommt sie als sogenannte Doppelhelix vor: Sie erinnert an eine verdrillte Strickleiter.

Auf diesem Strang ist das komplette Erbgut des Menschen als Code aus Basenpaaren gespeichert. Diese vier Genbausteine – symbolisiert durch die Buchstaben A, T, G und C – sind die Basen Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin. Deren Buchstabenabfolge ergibt einen einzigartigen Code. Dieser wird immer und immer wieder kopiert, wenn sich Zellen teilen und Lebewesen wachsen. In etlichen Milliarden Teilungen darf dabei kein Fehler auftreten – zumindest kein lebensbedrohlicher. Denn am Ende jeden Lebens ähnelt die letzte Version des Genoms beeindruckend genau der am Anfang des Lebens.

Der Schwede Tomas Lindahl hat als Pionier im Forschungsfeld der DNA-Reparatur erkannt, dass der C-Baustein im Prinzip chemisch relativ instabil ist. Theoretisch, so seine Überlegung, müsste dieses C ständig zerfallen oder durch einen anderen Buchstaben ersetzt werden. Eigentlich, so überlegte er, dürfte Leben auf dieser Erde durch die Instabilität gar nicht möglich sein. Doch dem DNA-Strang der Lebewesen kann diese Instabilität anscheinend nichts anhaben.

Der Erbgutstrang wird zerschnitten und zusammengeklebt

Lindahl postulierte einen Reparaturmechanismus für dieses empfindliche C – und fand ihn schließlich auch: Sogenannte DNA-Glycosylasen erkennen, wenn das C instabil ist oder durch einen falschen Baustein ersetzt wurde, und merzen diesen Fehler aus. Sie tauschen das richtige C wieder ein. Diese Art der DNA-Reparatur, die Lindahl erstmals 1974 beschrieb, nennt man Exzisions-Reparatur.

Auch der Vorgang, bei dem die DNA kopiert wird, kann schiefgehen. Wenn eine Vorlage nicht exakt abgeschrieben wird und sich mit einem falschen Baustein zusammentut, entsteht ebenfalls eine falsche Bauanleitung für die lebensnotwendigen Proteine. Solche Fehlpaarungen der Basen werden von dem Reparaturmechanismus der Zelle ebenfalls erkannt und berichtigt. Man nennt sie Mismatch-Reparatur. Dabei erkennen Enzyme die falsche Stelle und markieren diese. An der fehlerhaften Stelle wird der Strang geschnitten, und die richtigen Bausteine ersetzen die falsch eingebauten. Diesen Mechanismus, der sich inzwischen auch in den Biologiebüchern der Gymnasien findet, hat der Amerikaner Paul Modrich beschrieben.

Fehler im Erbgut treten meist zufällig auf. Das Erbgut kann jedoch auch durch äußere Faktoren Schaden nehmen: Chemikalien, Rauchen, Drogen, manche Medikamente und viele andere Substanzen verändern den genetischen Code. Auch die Sonne kann dem Erbgut so zusetzen, dass Hautzellen für immer geschädigt werden – und dieser Schaden an nachfolgende Zellen weitergegeben wird. Im schlimmsten Fall entsteht daraus Krebs.

Enzyme reparieren die Schäden nach dem Sonnenbad

Dass nicht jeder kleine Sonnenstrahl derart verheerend wirkt, ist der sogenannten Nukleotid-Exzisions-Reparatur zu verdanken: UV-Strahlen bewirken im DNA-Strang, dass sich bestimmte Genbuchstaben zu einer Art Klumpen vereinigen. An diesem stockt der genetische Kopiervorgang. Bestimmte Enzyme entfernen die Störung, so dass der DNA-Strang problemlos kopiert werden kann. So schützt sich die Zelle vor kleineren UV-Schäden. Diesen Mechanismus hat der dritte Nobelpreisträger, der türkischstämmige Amerikaner Aziz Sancar, entdeckt. Dem Biochemiker war aufgefallen, dass manche Menschen von der Sonne mehr malträtiert werden als andere – so schlimm wie bei den Mondscheinkindern ist es jedoch selten. Doch bei dieser Erkrankung zeigt es sich, wie lebensgefährlich es sein kann, wenn auch nur eines der Reparatursystem im Werkzeugkasten des Lebens fehlt. Auch bei vielen anderen Krebsarten funktioniert einer der drei Reparaturmechanismen nicht.

Die Arbeit dieser Forscher habe „grundlegendes Wissen über das Funktionieren lebender Zellen“ geliefert und sei beispielsweise nützlich für die Entwicklung neuer Krebstherapien und Medikamente, ist in der Begründung der Nobelpreis-Jury zu lesen. Die Entdeckungen der drei Forscher hätten enorme Konsequenzen gehabt, betonte die Chefin der Nobel-Jury, Sara Snogerup Linse. „Das Leben, wie wir es heute kennen, ist vollständig abhängig von DNA-Reparaturmechanismen.“

Die drei Chemie-Nobelpreisträger

Tomas Lindahl
Der 1938 in Stockholm geborene Schwede arbeitete nach seiner Promotion viele Jahre am Karolinska-Institut in Stockholm und legte dort auch die Grundlagen für seine nobelpreiswürdige Forschung. Nach einer längeren Tätigkeit an der Göteborger Universität ging er 1981 nach Großbritannien. Dort ist er jetzt immer noch am Francis Crick Institute tätig.

Paul Modrich
Mit Modrich ist immerhin ein geborener US-Amerikaner unter den diesjährigen Chemie-Nobelpreisträgern. 1946 in New Mexico geboren, absolvierte er seinen Doktor 1973 an der kalifornischen Stanford-Universität. Heute ist der Biochemiker am Krebsinstitut der Duke University in Durham in North Carolina, wo er immer noch an Reparaturmechanismen forscht.

Aziz Sancar
Als erster wissenschaftlicher Nobelpreisträger aus der Türkei hat Sancar eine beeindruckende Karriere hinter sich. Er wurde 1946 als Sohn von Analphabeten in Savor im Südosten des Landes geboren. Allerdings ging er nach seiner Medizinerausbildung in Istanbul nach Amerika. Heute forscht er an der Uni in Chapel Hill – die ebenfalls in North Carolina liegt.