Der Chef der Tübinger Firma CureVac hat den US-Präsidenten Anfang März schwer beeindruckt. Kurz darauf ging er, und Trump greift nach dem Unternehmen. Was geht da vor?

Automobilwirtschaft/Maschinenbau : Klaus Köster (kö)

Tübingen - Es ist der 2. März 2020, 15.20 Uhr Ortszeit in Washington D.C. Im Cabinet Room, dem Tagungsraum im Westflügel des Weißen Hauses, unmittelbar am Sekretariat des Präsidenten gelegen, kommt die Task Force, eine Art Krisenstab der US-Regierung, zusammen. Sie soll über Maßnahmen gegen das grassierende Coronavirus berichten, das zu dieser Zeit in den USA noch kaum Beachtung fand. Nach außen gab Trump den starken Mann und erklärte den Amerikanern, seine Regierung werde sie beschützen. Intern ließen sich Trump und Vizepräsident Mike Pence berichten, wie es um die Entwicklung eines Impfstoffs steht.

 

Es ist eine hochkarätige, internationale Runde, die dem US-Präsidenten in den nächsten 57 Minuten zur Verfügung stehen wird. Am Tisch sitzen unter anderem: Emma Walmsley, Chefin des britischen Pharmagiganten GlaxoSmithKline; John Shiver, Chef des französischen Sanofi-Konzerns, und Lenny Schleifer, Gründer und Chef der New Yorker Biotechnologieunternehmens Regeneron. Auch ein deutsches Unternehmen ist vertreten: der Tübinger Impfstoffspezialist CureVac. Für ihn sitzt der Amerikaner Daniel Menichella in der Runde, der das Unternehmen seit eineinhalb Jahren führte.

Hochkarätige Runde

Schnell zeigt sich, dass Trump weniger an Beratung interessiert ist als an einem regelrechten Wettlauf der Pharma-Manager, wer am schnellsten mit einem Präparat auf den Markt kommt. Glaxo-Chefin Walmsley, die als erste zu Wort kommt, geht betont vorsichtig vor. Wenn ein Unternehmen einen vielversprechenden Impfstoff habe, werde man dieser Firma ein Medikament zur Verfügung stellen, das dessen Wirkung verstärkt. Das sei „unglaublich wichtig“ und man versuche, daran zügig zu arbeiten. „Danke“, sagt Trump laut einem Protokoll der Sitzung, das unserer Zeitung vorliegt. „Schön. Vielen Dank.“

Als zweiter Firmenchef ist Menichella an der Reihe. Er geht wesentlich forscher zu Werke. CureVac, erklärte der Vorstandschef, der am Standort Boston sitzt, arbeite an hoch wirksamen Impfstoffen und Krebsmedikamenten. Bei beiden würden sogenannte mRNA-Moleküle in den Köper gespritzt, die die Körperzellen anleiteten, selbst bestimmte Proteine zu produzieren. Sie gäben dem Körper Informationen, mit denen er den Viren eine eigene „Immunantwort“ gebe.

Reicht ein Millionstel Gramm?

Menichellas Beitrag strotzt vor Selbstbewusstsein, zum Wohlgefallen des Präsidenten. Besonders stark, so Menichella, sei man darin, Impfstoffe zu entwickeln, die mit besonders niedriger Dosis auskommen. Derzeit befinde man sich in der klinischen Erprobung eines Tollwut-Impfstoffs, von dem man nur ein Mikrogramm, also ein Tausendstel Milligramm, benötige, was eine „sehr, sehr winzige Dosis“ sei. Dadurch, so seine Botschaft, reiche eine bestimmte Impfstoffmenge für sehr viele Menschen.

Andere Hersteller und auch der Chef des US-Instituts für Impfstoffe hören sich vorsichtiger an. Regeneron-Chef Schleifer sagt, Impfstoffe müssten auch in Phase zwei und drei getestet werden, weil sie dazu neigten, die Dinge schlechter zu machen. „Sie wollen das doch sicher nicht eilig einer Million Menschen verabreichen, und am Ende geht es 900 000 von ihnen schlechter.“ „Gute Idee“, antwortet der US-Präsident.

Auch US-Gesundheitsminister Alex Azar ist skeptisch. „Wenn Sie im Juni in Phase eins eintreten, haben Sie noch keinen Impfstoff, richtig?“, geht er Menichella an. „Das stimmt“, sagt der CureVac-Chef, worauf Trump nachhakt: „Wann ist er nach Ihrer Einschätzung denn einsatzbereit?“ Auch darauf hat Menichella eine Antwort parat: „Wenn wir annehmen, dass das Medikament gut verträglich und wirksam ist, geht es darum, wie wir mit der Gesundheitsbehörde zusammenarbeiten, um es auf der Überholspur durch Phase zwei und drei zu bringen.“ Das Tempo liegt in Trumps Hand, lässt Menichella durchblicken. Trump gefällt das. „So schnell“ sagt er. „So schnell wie möglich. Absolut“, antwortet Menichella.

Was hat Trump mit der Firma vor?

Trump sagt zum CureVac-Chef, er wisse dessen Beitrag zu schätzen. Das war womöglich noch stark untertrieben. Denn am Sonntag wurde das politische Berlin durch die Nachricht aufgeschreckt, wonach Trump versuche, Wissenschaftler des Tübinger Unternehmens mit hohen Geldsummen nach Amerika zu locken oder sich das Produkt exklusiv für die Amerikaner zu sichern. Das berichtete die „Welt am Sonntag“.

Erst vier Tage zuvor hatte das Unternehmen völlig überraschend vermeldet, dass Menichella nach nur eineinhalb Jahren das Unternehmen wieder verlässt und sein Vorgänger, Unternehmensgründer Ingmar Hoerr, mit sofortiger Wirkung wieder die Führung übernimmt. Wie sehr sich die Ereignisse hinter den Kulissen überschlagen haben müssen, zeigt sich auch daran, dass Menichalla noch wenige Tage zuvor ein ausführliches Video-Interview mit unserer Zeitung vereinbart hatte, das am gleichen Tag stattfinden sollte, an dem er dann ausgeschieden ist. Kurz vorher wurde es ohne Begründung abgesagt.

Hängt das Aus für Menichella womöglich mit Trumps Vorstoß zusammen? Menichella hatte bei Trump auch durchblicken lassen, dass das Unternehmen mit zusätzlichem Geld schneller vorankommen werde. Hat Trump daraus den Schluss gezogen, er müsse den Chef abwerben, damit dieser die Mitarbeiter für viel Geld in die USA holt? Hatte er CureVac womöglich ein Übernahmeangebot unterbreitet und auf Granit gebissen? Oder hatte man in Tübingen den Eindruck, Menichella habe sich dem US-Präsidenten angebiedert und ihn vor die Tür gesetzt?

Karin Maag, gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion im Bundestag aus Stuttgart, hält es für unvorstellbar, dass CureVac sich auf einen Exklusiv-Handel mit Trump einlässt. Das Unternehmen habe „sehr hohe ethische Maßstäbe“ und pflege seit jeher die multinationale Zusammenarbeit, sagte sie unserer Zeitung.

Hopp will nicht nur Amerikaner schützen

Das sieht auch dessen Haupteigentümer und Geldgeber so, der von Fußballfans zur Unperson erklärte Dietmar Hopp. Ihm gehören 80 Prozent an CureVac. „Wenn es uns hoffentlich bald gelingt, einen wirksamen Impfstoff gegen das Coronavirus zu entwickeln, soll dieser Menschen nicht nur regional, sondern solidarisch auf der ganzen Welt erreichen, schützen und helfen können“, erklärte er. Es gehe ihm auch um Arbeitsplätze in Deutschland.

Auch die Politik ist in Aufruhr. Das Bundesforschungsministerium wies eindringlich darauf hin, dass die Bundesregierung die Förderung der CureVac-Forschung zuletzt stark ausgeweitet habe. Zu den großen Förderern gehört die internationale Impfstoffinitiative Cepi, die auch von Deutschland unterstützt wird und CureVac vor einem Jahr einen Auftrag über 30 Millionen Euro zur weiteren Entwicklung von mRNA-Impfstoffen erteilt hatte – also lange bevor das heutige Virus ausgebrochen war. Dieser Entwicklung verdankt CureVac nun seine herausragende Stellung bei der Corona-Forschung. Denn das Unternehmen arbeitet an einer Art Plattform, die es erlauben soll, bestehende Impfstoffe mit vergleichsweise geringen Änderungen an neue Erreger anzupassen. Damit würde man nicht nur Geld sparen, sondern auch die Ressource, die im Kampf gegen Corona weltweit am allerknappsten ist: Zeit.

All das herzugeben, damit Trump sich auf Kosten des Rests der Welt als Retter der Amerikaner profilieren kann, machen Eigentümer und Politik offenbar nicht mit.

US-Regierung will die Wogen glätten

Die US-Regierung versuchte, die Wogen zu glätten. Der Bericht sei „vollkommen übertrieben“, sagte ein Beamter. Man werde „weiter mit jeder Firma sprechen, die vielleicht helfen kann. Und jede Lösung würde mit der Welt geteilt.“ Die Reaktionen aus der Politik und vom CureVac-Eigentümer deuten aber darauf hin, dass die Meldung einen realen Hintergrund hat.

Auch ohne Übernahmen kann Trump versuchen, wichtige Mitarbeiter mit viel Geld abzuwerben – und auch mit einem Versprechen: dass sie in den USA bewundert werden, während Deutschland die Biotechnologie voller Argwohn verfolgt. Da hätte er dann noch nicht einmal unrecht.