Das frühe WM-Ausscheiden der deutschen Mannschaft ist am Bundestrainer festzumachen. Ein Kommentar von Peter Stolterfoht.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Stuttgart - Zum ersten Mal in der 88-jährigen Geschichte der Fußball-Weltmeisterschaft ist eine deutsche Mannschaft in der Vorrunde ausgeschieden. Damit hat der Trainer Joachim Löw die DFB-Auswahl nicht nur zum Titel 2014 geführt, sondern verantwortet nach dem 0:2 gegen Südkorea jetzt auch gleichzeitig einen nicht für möglich gehaltenen Negativ-Rekord. Löws Verdienste für den deutschen Fußball sind unbestritten. Er hat die Nationalmannschaft in den Jahren vor dem Desaster nicht nur zu einem Halbfinal-Dauergast bei großen Turnieren gemacht, sondern sie auch fußballerisch auf ein ganz neues Niveau gehoben. Deshalb hatte ihm der Verbandspräsident Reinhard Grindel auch schon vorab für den nun eingetretenen Fall der Fälle eine Jobgarantie gegeben. Joachim Löw hat sich in seiner zwölf Jahre währenden Amtszeit als oberster Fußballlehrer der Nation eine Stellung erarbeitet, die er allein durch den selbstbestimmten Rücktritt verlieren kann.

 

Der Bundestrainer sollte diesen Schritt aber ernsthaft in Erwägung ziehen und sich fragen, ob er die Motivation aufbringen kann, eine ganz neue Mannschaft aufzubauen. Denn eines ist nach dem Debakel von Russland klar: Die Zeit der Weltmeister von 2014 ist endgültig vorbei. Aus hungrigen Spielern, die in Brasilien mit begeisterndem Fußball zum Titel gestürmt sind, wurden satte. Die vom Trainer vorgelebte „Uns kann keiner mehr was“-Attitüde hat auf die Mannschaft abgefärbt.

Alte Regeln missachtet

Die DFB-Auswahl scheiterte als vierter Titelträger der letzten fünf Weltmeisterschaften bereits in der Vorrunde. Die bekannte Gefahr wurde von Löw offenkundig unterschätzt. Er ist vielmehr in die Titelfalle getappt und hat die alte Fußballregel nicht beachtet, die besagt, dass nach einem großen Erfolg die größten Fehler gemacht werden. Er hat beim Personal und bei den Abläufen an Bewährtem festgehalten, was einerseits verständlich ist, aber auf der anderen Seite auch falsch.

Es macht außerdem den Anschein, Löw habe die Entwicklung des Spiels falsch eingeschätzt, in dem das Tempo mittlerweile die alles entscheidende Bedeutung besitzt. Ein blitzschnelles Umschaltspiel mit zwei sprintstarken Außenstürmern scheint immer mehr der Schlüssel zum Erfolg zu sein. Leroy Sané ist dafür prädestiniert, doch den wollte Joachim Löw in Russland nicht dabei haben.

Löw ist der Fußball-Welt entrückt

Nach dem Titelgewinn 2014 ist der Bundestrainer ein Stück weit der Fußball-Welt entrückt. Öffentliche Diskussionen hat er nur gelangweilt weggelächelt. Das Selbstbewusstsein des Weltmeister-Trainers tendierte zuletzt immer mehr in Richtung Selbstgefälligkeit. Seinen Plan werde er mit Sicherheit nicht umwerfen, sagte Joachim Löw nach der Auftakt-Niederlage gegen Mexiko. Neben der Sturheit kam erschwerend hinzu, dass ein Plan im deutschen Spiel nicht erkennbar war. Das war dann auch die einzige deutsche WM-Konstante. Joachim Löw ließ sich früher von anderen Fußballnationen taktisch inspirieren, vor allem von Spanien. Nach dem Titelgewinn 2014 schienen Einflüsse von außen aber kaum noch eine Rolle in seinen Überlegungen zu spielen.

Eine eingeschränkte Wahrnehmung führt dazu, Entscheidungen nur noch mit sich selbst auszumachen. Diese Entwicklung wird durch Löws körperliche Veränderung in den letzten Jahren versinnbildlicht. Mit intensivem Krafttraining hat sich der 58-Jährige einen undurchlässigen Muskelpanzer angeeignet, an dem Kritik, aber auch gut gemeinte Ratschläge gleichermaßen abzuprallen scheinen. Dieses in sich geschlossene Ein-Mann-System steht für Selbstvertrauen, es macht aber auch unflexibel. Entsprechend hat sich die deutsche Mannschaft bei dieser Weltmeisterschaft in Russland präsentiert. Erst schwerfällig, kurze Zeit kämpferisch und zum Schluss in Schockstarre.