Die ehemalige Metalltuchfabrik in Reutlingen könnte zu einem spannenden Kunstzentrum werden. Derzeit nutzt die Stadt das Potenzial der imposanten Immobilie aber nicht.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Reutlingen - Man könnte Rollschuhe anschnallen und über die riesigen Flächen jagen. Wo findet man schon solche gigantischen, lichtdurchfluteten Räume? In Reutlingen. Die ehemalige Metalltuchfabrik in der Eberhardstraße 14 ist ein imposantes Gebäude. Jeweils tausend Quadratmeter haben die einzelnen Stockwerke, dazu große Fensterfronten und eine schöne Atmosphäre. Nun hat Holger Kube Ventura, der zuletzt die Kunsthalle Tübingen leitete, die Reutlinger Kunstinstitutionen neu sortiert. Er ist seit kurzem für die Sammlung Konkrete Kunst zuständig, die Reutlingen im vergangenen Jahr von der Stiftung für Konkrete Kunst und aus dem Privatbesitz von Manfred Wandel geschenkt bekommen hat. Kube Ventura wird fortan Wechselausstellungen zur Konkreten Kunst anbieten, doch er hat mehr vor mit dem Gebäude: Er würde aus der ehemaligen Fabrik der Familie Wandel gern ein Kunstzentrum machen. Einen Namen gibt es auch schon: „Wandel-Hallen“.

 

Schon jetzt wird auf den mehr als 4000 Quadratmetern in der Eberhardstraße Kunst ausgestellt: Die Stiftung für Konkrete Kunst und der Kunstverein nutzen je eine Etage, die beiden anderen werden von der Stadt bespielt. Für dieses Konstrukt gibt es einen neuen Namen: Kunstmuseum Reutlingen. Dazu gehören das Spendhaus sowie „Galerie“ und „Konkret“, die in den Wandel-Hallen untergebracht sind.

Derzeit ist das Gebäude nicht sehr einladend

Von einem attraktiven und offenen Kunstort ist die Fabrik derzeit allerdings noch weit entfernt. Besucher müssen am Eingang klingeln, um ins Gebäude zu gelangen. Wohl deshalb kommt wenig Publikum. Die Aufsichten sind einem auf den Fersen oder auch dankbar für ein wenig Abwechslung.

So imposant die Räume auch sind, sie sind nicht einfach zu bespielen. Im Untergeschoss wird derzeit in der Galerie der Stadt eine Einzelausstellung von Dieter Mammel gezeigt, der Fotomotive von Menschen und Gesichtern mit Tusche auf die Leinwand überträgt und dabei Effekte erzielt, als seien es Schatten oder traumähnliche Visionen. In der riesigen Etage kann aber nicht ohne weiteres ein intimer Dialog mit den Arbeiten entstehen, vielmehr hat man sie alle auf Anhieb erfasst, was dem Rundgang die Spannung nimmt.

Holger Kube Ventura hat die Arbeiten zur Konkreten Kunst spannend inszeniert, hinter Trennwänden lauert Überraschendes – etwa die 190 senkrecht stehenden Betonplatten, die Hartmut Böhm zu einem Bodenmuster arrangiert hat. Doch die beste Präsentation nutzt wenig, solange dem Haus das Leben fehlt. Deshalb will Kube Ventura die Stadt, der die Immobilie gehört, überzeugen, im nächsten Doppelhaushalt eine Aufwertung des Gebäudes zu beschließen. „Man braucht nicht viel Geld in die Hand zu nehmen, um einen großen Leuchtturm zu haben“, sagt er. Ein Café müsste eingerichtet, ein Leitsystem entwickelt und der Ausstellungsbetrieb ausgebaut werden. Kube Ventura hat ein Entwicklungskonzept erarbeitet, das die Reutlinger Kunsteinrichtungen auch überregional attraktiv machen könnte. „Ich sehe viel Potenzial in dem Zentrum“, sagt der Ausstellungsmacher, „jetzt muss sich zeigen, wie sich der Gemeinderat entscheidet.“

Das sind die Reutlinger Ausstellungsorte

Die Stiftung wurde 1987 von den Brüdern Manfred und Albrecht Wandel gegründet und ist seit 1989 im historischen Fabrikgebäude untergebracht. Über die Jahre baute die Stiftung eine hochkarätige Sammlung konkreter Kunst auf, die die Stadt im vergangenen Jahr übernommen hat. Die Stiftung ist aber weiterhin tätig, derzeit zeigt sie die Ausstellung „Les toiles“ von François Morellet.

Der 1953 gegründete Verein macht Ausstellungen zur zeitgenössischen Kunst. Alle zwei Jahre findet eine die große Überblicksausstellung zur Kunst aus Reutlingen statt, außerdem arbeitet der Kunstverein mit Absolventinnen und Absolventen der Hochschule Reutlingen zusammen sowie mit Schulen.

Die Galerie ist eine Dépendance des Kunstmuseums Reutlingen. Ihr Ausstellungsprogramm widmet sich der zeitgenössischen Kunst. Im Untergeschoss des ehemaligen Fabrikgebäudes werden unter anderen die Stipendiatinnen und Stipendiaten der HAP Grieshaber Stiftung vorgestellt. Außerdem findet hier die Mitgliederausstellung des Verbands Bildender Künstler und Künstlerinnen Württemberg statt.

In der Dépendance des Kunstmuseums Reutlingen wird die Sammlung für Konkrete Kunst gezeigt, die im vergangenen Jahr an die Stadt übergegangen ist. Bis zum 27. Januar wird unter dem Titel „Arbeiten aus System“ Konkrete Kunst von 1954 bis 2011 gezeigt.

Es befindet sich zwar nicht in den Wandelhallen, aber das Spendhaus ist wie die Galerie und die Abteilung Konkret Teil des neuen Konstrukts Kunstmuseum Reutlingen. In dem historischen Spendhaus liegt der Schwerpunkt auf dem künstlerischen Hochdruck im 20. und 21. Jahrhundert. In den unteren Etagen des historischen Gebäudes werden große Sonderausstellungen mit eigenen Beständen und Leihgaben gezeigt – bis zum 7. Oktober steht „Spuren und Funde. Winand Victor zum 100.  Geburtstag“ auf dem Programm. In den oberen Etagen wird die eigene Sammlung unter immer wieder anderen Aspekten beleuchtet. Im Gewölbekeller kann noch mit der Handdruckpresse von HAP Grieshaber gedruckt werden, außerdem findet hier eine Reihe museumspädagogischer Veranstaltungen statt.