Ladendiebstahl, Schwarzfahren, bei Rot über die Ampel gehen – derlei „Small Crimes“ kommen in Dave Zeltsermans gleichnamigem Roman nicht vor. Im Gegenteil: das Buch ist richtig harter Stoff. Hart und gut.

Lokales: Hans Jörg Wangner (hwe)

Stuttgart - Der Bulle als Bösewicht – dieses Motiv ist nicht neu. Das Dasein als Gesetzeshüter bietet längst keine Gewähr mehr dafür, dass der Beamte eine weiße Weste hat. Erst jüngst hat der Erfolgssschriftsteller Don Winslow so eine Figur in „Corruption“ vorgestellt. Geriet dieses Sittengemälde bei aller handwerklichen Brillanz und gesellschaftlichen Relevanz doch unterm Strich allzu glatt und erwartbar, so haut Dave Zeltserman mit „Small Crimes“ ganz andere Pflöcke ein.

 

So geradlinig wie facettenreich

Das liegt zum einen daran, dass Zeltserman im Gegensatz zu seinem deutlich berühmteren Kollegen jegliche Eitelkeit abgeht. Und es liegt auch daran, dass er die Geschichte seines gefallenen Cops Joe Denton so geradlinig wie facettenreich erzählt.

Nach nur sieben Jahren wird Denton aus dem Knast entlassen – zu seinem Glück hat er sein Verbrechen im recht liberalen Ostküstenstaat Vermont verübt, anderswo in der USA wäre es ihm wohl viel übler ergangen. Denn Denton hatte versucht, einen integren Staatsanwalt zu ermorden, der ihm auf die Schliche gekommen war.

Bibellesung für den Mafioso

Der Strafverfolger überlebte mit grotesk verunstaltetem Gesicht – jetzt sinnt er darauf, wie er seinen Widersacher wieder ins Gefängnis bringen kann, diesmal für sehr viel länger und in einen sehr viel übleren Knast. Dafür setzt er sich ins Krankenzimmer eines alten Mafioso, liest dem Mann aus der Bibel vor und hofft, dass der ihm in einer Anwandlung von letzter Reue Denton auf dem Sterbebett ans Messer liefert.

Doch nicht nur für Denton wäre das eine höchst fatale Angelegenheit. Auch seine früheren Kollegen müssen mit dem Schlimmsten rechnen. Denn anders als der Titel „Small Crimes“ vermuten ließe, haben sie kapitale Verbrechen auf dem Kerbholz: Korruption, schwere Körperverletzung, Mord, solche Sachen halt. Um zu halten, was zu halten ist, soll Joe Denton auch einen Mord begehen. Er hat die Wahl: den Mafioso oder den Staatsanwalt.

Wie schon in „Killer“ und „Paria“ zieht Zeltserman seine Geschichte mit gelassener Sicherheit durch. „Die Guten“ sind in seinem weit gespannten, doch keineswegs geschwätzigen 340-Seiten-Roman recht rar, dafür präsentiert er ein Personaltableau von bemerkenswert niedrigen moralischen Interessen. Fast jeder will noch ein wenig übler sein als der andere – auch wenn die eine oder andere Figur durchaus nachvollziehbaren Grund dafür hat, zum Beispiel Denton ans Leder zu wollen. In Kontrast dazu setzt Zeltserman die Familie des Protagonisten, dessens gramgebeugten Eltern und dessen Exfrau mit den beiden Töchtern, die mit dem Ex-Bullen nicht mehr das geringste zu tun haben will.

So sind denn am Ende fast alle Gefangene ihrer Biografien. Wer da noch an ein glückliches Ende glaubt, ist selber schuld. Immerhin, er hat die Wahl: Schaut er sich diese kleinen Verbrechen auf Netflix an – oder gönnt er sich das Buch, wozu die Analog-Fraktion des Killer-&-Co-Teams wärmstens rät.

Dave Zeltserman: Small Crimes. Aus dem Amerikanischen von Michael Grimm und Angelika Müller, Pulp Master, 340 Seiten, 14,80 Euro, E-Book 9,99 Euro.