An Martin Luthers Stadtkirche in Wittenberg prangt ein antisemitisches Spottbild. Diese „Judensau“ darf laut Gerichtsurteil stehen bleiben. Auch in Baden-Württemberg gibt es solche Spottbilder. Was damit tun?

Stuttgart - Die „Judensau“ darf bleiben – zumindest vorerst: Im Rechtsstreit um eine 450 Jahre alte Schmähplastik an der Fassade der Stadtkirche in Wittenberg (Sachsen-Anhalt) ist die Entscheidung gefallen. Das Oberlandesgericht Naumdorf hat die Skulptur nicht als Beleidigung gewertet. Damit darf das Abbild einer Sau, der ein Rabbiner in den After schaut, an Ort und Stelle bleiben.

 

Das Urteil sieht der Antisemitismus-Beauftragte des Landes, Michael Blume, allerdings kritisch. Wie sein bundesweit für das Thema zuständiger Kollege Felix Klein plädiert er dafür, die Plastik von der Kirchenfassade entfernen zu lassen und sie stattdessen in einem Museum mit Kommentierung auszustellen. „In diesem speziellen Fall handelt es sich nicht um irgendeine ‚Judensau’“, erklärt Blume.

Das Relief in Wittenberg nehme vielmehr direkten Bezug auf Martin Luthers antijüdische Schrift „Vom Schem Hamphoras und vom Geschlecht Christi“. Der Begriff „Schem Hamphoras“ steht dabei für den im Judentum unaussprechlichen heiligen Namen Gottes. „Luthers Text liest sich wie ein Kommentar zu einem Youtube-Kommentar: Es ist eine Aneinanderreihung antisemitischer Beschimpfungen“, sagt Blume. Die Skulptur in Wittenberg könne daher nicht als Teil des kirchlichen Ensembles stehen bleiben.

Die „Judensau“ von Bad Wimpfen

Allerdings sind historische antisemitische Darstellungen im kirchlichen Kontext keine Seltenheit. Allein im deutschsprachigen Raum finden sich rund 30 antijüdisch geprägte Plastiken an oder in christlichen Bauwerken. Sogar in Baden-Württemberg: An der Außenfassade der Ritterstiftskirche in Bad Wimpfen ist eine hockende Sau zu sehen, an deren Zitzen ein Mann hängt, der unverkennbar als Rabbiner dargestellt ist. Dieses Spottbild stammt aus dem 13. Jahrhundert. Verwaltet wird die Kirche vom Bistum Mainz. Dort beschäftigt man sich bereits seit einigen Jahren mit den antisemitischen Motiven der Bad Wimpfer „Judensau“.

In den 80er-Jahren wurde die Sandstein-Skulptur sogar erneuert – das Original liegt seit 1995 im Stadtmuseum von Bad Wimpfen. In der Kritik stand sie allerdings damals noch nicht. Erst der Aktionskünstler Wolfram Kastner hat vor einigen Jahren auf die „Judensau“ an der Ritterstiftskirche aufmerksam gemacht. 2013 reagierte das Bistum: Bei der Kirche wurde eine Informationstafel angebracht. Sie ordnet die Schmähplastik ausführlich in ihren historischen Kontext ein.

Historische Überbleibsel nicht einfach auslöschen

Diese Vorgehen lobt Michael Blume ausdrücklich. „Wenn man ein solches Thema vor Ort lösen kann, ist das meist der richtige Weg.“ Antisemitische Plastiken generell aus dem Umfeld der Kirchen entfernen zu lassen, sieht er kritisch. „Man kann nicht so tun, als hätte es das nie gegeben und die historischen Überbleibsel auslöschen“, so Blume. Gedenken funktioniere nur, wenn es konkret werde.

Auch der jüdische Historiker und Publizist Michael Wolffsohn setzt sich für einen offenen Umgang mit der historischen Vergangenheit ein. „Was geschehen ist, ist geschehen, es kann nicht ungeschehen gemacht werden“, sagt er am Mittwoch dem Deutschlandfunk. Man müsse sich damit inhaltlich auseinandersetzen: „Darauf kommt es an.“ Auch im Falle der Stadtkirche Wittenberg ist das letzte Wort übrigens noch nicht gesprochen: Die Kläger haben die Möglichkeit, vor dem Bundesgerichtshof in Revision zu gehen.