Abgeordneten, die von der Fraktionslinie abweichen, soll keineswegs der Mund verboten werden, sagt der CDU-Politiker Thomas Strobl im Interview mit der StZ.

Berlin - Die Fraktionen entscheiden, wer in Debatten für sie reden darf. Thomas Strobl ist Vorsitzender des Geschäftsordnungsausschusses; er kann die Kritik am Vorhaben nicht verstehen.
Herr Strobl, warum wollen Sie kritischen Abgeordnetenkollegen das Rederecht beschneiden?
Das Gegenteil ist der Fall. Wir wollen in der Geschäftsordnung des Bundestags unzweifelhaft und unstreitig festlegen, dass Abgeordnete, die eine andere Auffassung vertreten als ihre eigenen Fraktionsfreunde, in Zukunft auch während einer Debatte das sagen können, was ihnen ihr Gewissen gebietet. Das ist bisher so nicht geregelt. Es gab unterschiedliche Interpretationen und Auffassungen, deswegen wollen wir dieses Rederecht nun auch in der Geschäftsordnung klar verankern.

Es geht also nicht um einen Maulkorb?
Nein, um Gottes willen. Jeder Abgeordnete soll zu Wort kommen können, vor allem dann, wenn dies nicht der Mehrheitsmeinung seiner Fraktion entspricht. Nichts anderes wollen wir nun festschreiben.

Warum wollen die Fraktionen mit aller Macht ihre Oberhoheit über die Rednerlisten verteidigen?
Prinzipiell besprechen die Fraktionen gemeinsam mit dem Präsidenten den Ablauf einer Parlamentssitzung. Aber um es noch einmal klar zu sagen: Wenn sich jemand beim Präsidenten zu Wort meldet, der eine andere Auffassung vortragen möchte als die der Mehrheit seiner eigenen Fraktion, dann entscheidet über dessen Wortmeldung allein der Präsident. Nur bei ihm liegt es, ob dieser Abgeordnete das Wort erhält und wie lange er sprechen darf. Der Präsident soll dies völlig unabhängig entscheiden. Er bedarf hierzu ausdrücklich nicht der Zustimmung der Fraktionen oder deren parlamentarischer Geschäftsführer. Über dem Präsidenten wölbt sich einzig und allein der blaue Himmel, allenfalls noch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Warum dann die Aufregung?
Viele, die berichtet, kommentiert und darüber geredet haben, haben sich leider nicht die Mühe gemacht, den Text der beabsichtigten Änderungen zu lesen. Dazu besteht jetzt reichlich Gelegenheit.

Bundestagspräsident Norbert Lammert hat doch bisher schon gelegentlich Abgeordneten Rederecht eingeräumt, auch wenn das den jeweiligen Fraktionen nicht gepasst hat. Warum muss das jetzt in der Geschäftsordnung festgeschrieben werden?
Er hat bisweilen so entschieden und dann gab es Streit. Alles war höchst umstritten. Deshalb hat der Ältestenrat den Geschäftsordnungsausschuss um Klärung gebeten.

Handelt es sich also um eine Lex Lammert?
Nein, das würde ich nicht so sehen. Es ist ein völlig normaler Vorgang, dass die Geschäftsordnung weiter entwickelt wird, wenn neue Fragen auftauchen.

Manche Abgeordnete drohen bereits mit Verfassungsbeschwerden . . .
Ich vermute, der Großteil der Kollegen hat die ins Auge gefassten Änderungen noch gar nicht gelesen. Dazu wird in der nächsten Sitzungswoche ausgiebig Gelegenheit bestehen. Karlsruhe wird sich damit sicher nicht beschäftigen müssen.

Wünschen Sie sich mehr Ruhe im Parlament oder mehr strittige Debatten?
Ich wünsche mir lebendige und interessante Debatten – vor allem über Themen, welche die Menschen interessieren. Es ist nicht allein damit getan, dass wir sagen, es sollten jetzt möglichst viele zu Wort kommen. Stunden- oder gar tagelange Debatten haben in der Praxis doch auch etwas Ermüdendes. Es kommt nicht so sehr auf die Quantität, sondern vor allem auf die Qualität bei Debatten an.
Die Fragen stellte Armin Käfer.