Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will im Mai 2013 Strategien vorlegen, mit denen sich die älter werdende Gesellschaft in Deutschland behaupten kann. Bis dahin tagen Arbeitsgruppen.

Berlin - Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist bekannt dafür, Dinge auch mal laufen zu lassen, wenn diese in Ihren Augen nicht bedeutend genug sind, um persönlich eingreifen zu müssen. Bei den Herausforderungen, die eine älter werdende Gesellschaft mit sich bringt, ist das anders. Die Suche nach Antworten auf die Fragen, die sich aus der Koppelung von längerer Lebenserwartung und Geburtenrückgang ergeben, hat sie zur Chefsache erklärt.

 

Die Zahlen geben ihr Recht. Bis 2060, so die Prognosen, wird Deutschland 17 Millionen Einwohner verlieren. Jeder Dritte wird dann 65 Jahre oder älter sein. Die Zahl der Schüler wird sich in den nächsten 30 bis 40 Jahren halbieren. Die Fragen, die sich daraus ergeben, liegen auf der Hand: Wie muss die Arbeitswelt gestaltet werden, wie das Rentensystem? Wie kann das Gesundheitssystem die steigende Zahl an Pflegebedürftigen verkraften? Was passiert mit Dörfern auf dem Land, mit den Schulen dort, der ärztlichen Versorgung, dem Nahverkehr, wenn dort nur noch wenige Menschen dort leben?

Grüne beklagen Tatenlosigkeit

Auf dem Demografiegipfel der Bundesregierung in Berlin startete Merkel den Versuch, die verschiedenen Ebenen der Gesellschaft, die mit dem Phänomen des demografischen Wandels konfrontiert sind, ins Gespräch zu bringen. Reichlich spät, meint die Opposition. Das Problem ist nicht erst seit gestern bekannt, monierte Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne). Strategien seien längst bekannt, müssten aber umgesetzt werden.

Die Bundesregierung setzt ungeachtet der Kritik auf Arbeitsgruppen, bestückt mit Vertretern von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialverbänden. Sechs Handlungsfelder hat Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) ausgemacht, in denen der Gesellschaft in den kommenden Jahren und Jahrzehnten ein hohes Maß an Veränderungsbereitschaft zugemutet werden müsse. Sie betreffen die Situation der Familien, die Arbeitswelt, die Lebensqualität in ländlichen und städtischen Räumen, Fragen des lebenslangen Lernens und Herausforderungen, die sich für die staatliche Verwaltung ergeben.

Merkel wirft ein Auge drauf

Im Mai sollen die Arbeitsgruppen Ergebnisse vorlegen. Merkel versprach, auf deren Arbeit „ein Auge zu werfen“, was sicher auch ein Fingerzeig war, sich tunlichst nicht unbeobachtet zu fühlen. Keiner solle, so das Signal Merkels, die Zeit in den Arbeitsgruppen als Plauderei ansehen. Im Mai werde sie persönlich ihre Schlüsse ziehen, kündigte sie an. Was dann vorgelegt werde, müsse „mehr sein als die Summe aller einzelnen Anstrengungen“, sagte sie.

Die Kanzlerin rief dazu auf, die gesellschaftliche Entwicklung nicht ausschließlich als Risiko zu begreifen und zog Parallelen zu frühen Debatten über die Globalisierung. Auch da seien überwiegend die Risiken zur Kenntnis genommen „und die Chancen nicht beachtet“ worden. So sei es auch jetzt beim demografischen Wandel. Aber ähnlich wie die Globalisierung sei die Demografie kein Phänomen, dass wie eine Naturkatastrophe über die Menschen hereinbreche, sondern eine Entwicklung die gestaltbar sei.

Harte Bewährungsprobe für den Föderalismus

Von der Bewältigung der Fragen hänge letztlich die Zukunft Europas ab, sagte Merkel. Das aktuelle Handeln entscheide darüber, ob in wenigen Jahrzehnten Historiker in Europa vergangenen goldenen Zeiten hinterherspürten oder ob der Kontinent weiter „einen vorderen Platz im weltwirtschaftlichen Gefüge“ einnehmen könne. Sie sei zuversichtlich, dass der im System der sozialen Marktwirtschaft angelegte Interessensausgleich zwischen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und solidarischem Ausgleich auch diese Schwierigkeiten bewältigen werde: „Egal wie die Herausforderungen waren, die Soziale Marktwortschaft hat sich bewährt“. Deutschland müsse sich die Eigenheit bewahren, gemeinsam Probleme zu lösen.

Merkel machte deutlich, dass der Föderalismus hier vor seiner wohl härtesten Bewährungsprobe stehe. Wenn die Menschen ihre Lebenszeit künftig völlig neu einteilen müssten, dann erwarteten sie zurecht, dass sie sich „nicht ganztägig mit Zuständigkeiten beschäftigen müssen“. Lösungen müssten deshalb „immer aus dem Blickwinkel des einzelnen Bürgers gedacht“ werden, sagte die Bundeskanzlerin.