Mit Wolfgang Niersbach an der Spitze ist der Deutsche Fußball-Bund derzeit handlungsunfähig. Nach den Hausdurchsuchungen sind seine Tage als Präsident gezählt. Eine Analyse zur Situation im weltgrößten Sportverband.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Frankfurt - In den diversen Gremien des Deutschen Fußball-Bundes schwebt derzeit angeblich eine Frage über allen Sitzungen. Wer spielt denn nun den Königsmörder? Eine andere könnte deshalb bereits so gut wie beantwortet sein. Nämlich die Frage nach der Zukunft von Wolfgang Niersbach. Der Präsident des weltgrößten Sportfachverbandes sei keine Lame Duck, sondern eine Dead Duck, so ein DFB-Insider gegenüber der Stuttgarter Zeitung. Keine lahme Ente also, vielmehr eine tote Ente stehe derzeit an der Spitze des Verbands.

 

Spätestens seit Dienstag, nachdem Steuerfahnder die Frankfurter DFB-Zentrale und die Privathäuser von Wolfgang Niersbach, seinem Amtsvorgänger Theo Zwanziger und vom ehemaligen Generalsekretär Horst R. Schmidt durchsucht haben, scheint bei vielen das Urteil festzustehen: Wolfgang Niersbach ist untragbar geworden und sollte abgelöst werden. Aus Frankfurt ist allerdings auch zu hören, dass Niersbach noch nicht zu einem Rücktritt bereit ist. Und deshalb hat das allgemeine Rätselraten begonnen, welche starke Stimme im deutschen Fußball ihn zum Rücktritt auffordert, oder aber wer weitere belastende Einzelheiten gegen den Präsidenten vorbringt? Oder gelingt Niersbach noch ein Befreiungsschlag? Diese Variante gilt allerdings als die unwahrscheinlichste.

Schwerwiegende Gründe, die gegen Niersbach sprechen

Es gibt im Moment zwei Gründe, die gegen Wolfgang Niersbach sprechen. Zum einen sein desaströses Krisenmanagement in eigener Sache. Die Pressekonferenz, die eigentlich erklären sollte, warum das von Franz Beckenbauer, Niersbach, Schmidt und Zwanziger geleitete deutsche WM- Organisationskomitee im Frühjahr 2005 6,7 Millionen Euro an den Fußball-Weltverband Fifa, gezahlt hatte, lieferte keine Antworten. Ans Licht kamen nur viele peinliche Erklärungsversuche, Nullaussagen und neue Fragen.

Doch noch viel schwerer wiegt, dass sich viele im aktuellen DFB-Präsidium von Niersbach falsch informiert fühlen. So behauptete der Präsident, erst seit diesem Jahr Kenntnis von der rätselhaften deutschen Zahlung zu haben. Dagegen stehen die Aussagen von Franz Beckenbauer und Horst R. Schmidt, dass alle im Organisationskomitee von Anfang über die 6,7 Millionen Euro Bescheid wussten, die womöglich eine Bestechungskasse der Fifa aufgefüllt haben.

Nicht korrekt unterrichtet fühlen sich auch die ehemaligen Aufsichtsratmitglieder des deutschen WM-OK, dem auch der damalige Bundesinnenminister Otto Schily angehörte. Und damit wird der Fall Niersbach auch zu einem Politikum. Der Politikbetrieb schaut mittlerweile immer skeptischer auf den DFB, der die Bundesregierung wiederum braucht. Schließlich will der Verband die Europameisterschaft 2024 nach Deutschland holen, was allerdings nur mit Hilfe von Steuererleichterungen zu bewerkstelligen ist. Dieses Berliner Entgegenkommen könnte es nicht geben, wenn der DFB-Präsident weiterhin Wolfgang Niersbach heißt.

Das Rennen um die Nachfolge ist eröffnet

Der Druck auf den verständlicherweise gehetzt wirkenden Verbandschef wird immer größer. Neben einem schnellen Abgang wird auch über eine sanftere Variante spekuliert. Niersbach könnte sein Amt so lange ruhen lassen, bis seine Rolle im DFB-Skandal richtig ausgeleuchtet ist. Was aber nichts daran ändert, dass die Debatte über die Nachfolge eröffnet ist.

Als Favorit gilt der Präsident von Borussia Dortmund, Reinhard Rauball, der auch Chef des Ligaverbandes DFL ist und im Profibereich höchste Wertschätzung genießt. Da im DFB aber auch die Wahrung von Amateurinteressen eine große Bedeutung hat, erscheinen andere Lösungen ebenfalls möglich. Dem für den Amateurbetrieb zuständigen DFB-Vizepräsidenten Rainer Koch werden Ambitionen auf das höchste Amt nachgesagt, genauso dem Schatzmeister Reinhard Grindel.

Es gibt aber auch Leute, die sich jetzt hinter Wolfgang Niersbach stellen – sowohl im Verband als auch in der Politik. Nicht wenige Mitarbeiter des Präsidenten sollen Niersbach fast schon bekniet haben, nicht zurückzutreten. Es heißt, dass der Umgangston im DFB unter Niersbach deutlich freundlicher und die Umgangsformen kollegialer geworden seien, seit Niersbach Theo Zwanziger abgelöst hat.

Kein Verlass auf alte Freunde

Öffentlich hat sich der Präsident des Niedersächsischen Fußballverbandes hinter den 64-Jährigen gestellt. „Wolfgang Niersbach muss DFB-Präsident bleiben. Er war im Organisationskomitee für die WM 2006 nur für Medien und Marketing zuständig. Die entscheidenden Männer waren doch stattdessen Theo Zwanziger und Horst R. Schmidt“, sagt Karl Rothmund. Ebenso hält Eberhard Gienger, sportpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Niersbachs Rücktritt im Moment nicht für nötig. „Wenn er sich nichts hat zuschulden kommen lassen, muss er auch nicht seine Ämter ruhen lassen. Es gibt Beschuldigungen, aber keine Beweise. Ich bin kein Freund von Vorverurteilungen“, sagt der ehemalige Kunstturnweltmeister.

Neue Freunde kann Wolfgang Niersbach gut gebrauchen. Weil er sich auf viele alte nicht mehr verlassen kann. Franz Beckenbauer ist so ein Fall. Der sieht keinen Grund, den Fußballkumpel aus der Affäre herauszuhalten.