Herr Raue, zum 1. Januar 2025 ist eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags möglich. Wie viel mehr Geld wünschen Sie sich?
Wir wünschen uns an dieser Stelle überhaupt nichts, sondern wir haben der KEF…
…der „Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten“, einem Gremium aus unabhängigen Sachverständigen…
…unsere Berechnungen angemeldet: Welche technischen Entwicklungen müssen wir künftig finanzieren, wie entwickeln sich vermutlich die Löhne und Gehälter unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, was müssen wir in die Erhaltung unserer Funkhäuser in Köln und Berlin, die übrigens beide demnächst unter Denkmalschutz stehen werden, stecken, wie können wir in die notwendige digitale Zukunft investieren, wie können wir unsere im Staatsvertrag festgelegten Programmaufträge erfüllen und, und, und.
Aber was bedeutet das in konkreten Zahlen? Wird der Rundfunkbeitrag von jetzt 18,36 Euro pro Monat auf über 20 Euro steigen?
Das alles wird von der KEF traditionell sehr streng überprüft, ebenso die entsprechenden Anmeldungen von ARD und ZDF. Und schließlich wird das Gremium einen Vorschlag vorlegen, den dann die Bundesländer zu beraten haben. Was Deutschlandradio betrifft, reden wir übrigens im Zweifel immer nur über wenige Cent Erhöhung. Derzeit gehen von den monatlichen 18,36 Euro eines Haushaltes ganze 54 Cent an unseren Sender.
Hielten Sie persönlich denn einen Rundfunkbeitrag von monatlich über 20 Euro für politisch durchsetzbar?
Bei der Debatte um den Rundfunkbeitrag geht es im Kern doch gar nicht um ein oder zwei Euro mehr. Diese Cent-Klauberei lenkt nur ab von der eigentlichen Frage: Ist uns der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit seinen gesellschaftlichen Aufgaben eine auskömmliche Finanzierung wert? Rechtfertigt die Qualität unserer Programme die Beiträge der Bürgerinnen und Bürger? Und da habe ich bei unserem Haus ein sehr gutes Gefühl.
Hat es Sie nicht beunruhigt, dass im Sommer fast die Hälfte der Ministerpräsidenten eine Erhöhung des Rundfunkbeitrages schon mal präventiv ausgeschlossen haben?
Ja, das hat mich offen gestanden irritiert, denn die KEF hatte zu diesem Zeitpunkt mit ihrer Prüfarbeit ja gerade erst begonnen. Aber Ministerpräsidenten sind eben Politiker und werden zu bestimmten strittigen Themen befragt. Mir scheint allerdings, die Debatte hat sich seitdem beruhigt.
Die Kritik am Rundfunkbeitrag leitet sich häufig von dem Gefühl vieler Menschen ab, dass bestimmte Themen, Meinungen und Erfahrungen bei den Öffentlich-Rechtlichen missachtet werden und im Programm unterrepräsentiert sind. Diskutieren Sie solche Kritik im Sender? Sind die Programme tatsächlich zu links-grün?
Diese Reflexion über die tägliche Arbeit hat eine lange Tradition in unseren Programmen und wird jederzeit gepflegt. Aber offen gestanden halte ich dieses Links-Rechts-Schema für überholt. Das zeigen beispielsweise die unterschiedlichen Haltungen zum Krieg zwischen Russland und der Ukraine, die nicht eindeutig links oder rechts einzuordnen sind.
Was ist dann aus Ihrer Sicht das Problem?
Ich glaube, es geht vielfach um eine Identitätsdiskussion. Wir haben in unseren Redaktionen inzwischen viele jüngere Kolleginnen und Kollegen, denen die Frage wichtig ist, welches Wissen und welche eigenen Erfahrungen ein Journalist mitbringen muss, um beispielsweise über Migrationsthemen zu berichten oder über Genderfragen zu diskutieren. Und durch unsere Standorte in Köln und Berlin und durch unsere Stellenprofile sind unsere Redaktionen nun mal stark großstädtisch und akademisch geprägt. Über diesen Punkt diskutieren wir intensiv: Wie bringen wir auch andere Perspektiven, differenziertere Sichtweisen in unsere journalistische Arbeit ein?
Diesen Vorwurf eingeengter Sichtweisen macht sich ja die AfD mit ihrer Kampagne gegen die Öffentlich-Rechtlichen zunutze. Wie gehen Sie gerade auch nach den jüngsten Wahlerfolgen mit der AfD in ihren Programmen um?
Wir beschäftigen uns mit der AfD wie mit allen anderen Parteien. Wir laden ihre Vertreter zu Interviews und Diskussionen ein, wenn dies vom Thema her geboten ist. Aber wir laden die AfD-Vertreter nicht zu jeder Frage als Gegenpol ein. Die Partei hat, auch wenn sie selbst das anders sieht, kein Monopol auf Opposition.
Kommt bei Ihnen zu diesem Thema starker Unmut aus der Hörerschaft an?
Ja, in beide Richtungen: Es gibt Unmut, wenn wir im Zeitfunk einen AfD-Vertreter interviewen. Und es gibt Unmut, wenn wir ihn nicht interviewen.
Noch ein Aufregerthema für viele Menschen: Wird in Ihren Sendungen gegendert? Gibt es eine Hausrichtlinie?
Die Praxis ist je nach Programm, Format und Zielgruppe unterschiedlich; wir überlassen den Redaktionen die Entscheidung darüber. Es gibt keine Hausrichtlinie – mit einer Ausnahme: In den Nachrichten wird nicht gegendert, dafür ist die Zeit zu knapp. Im Übrigen gibt es inzwischen viele Wissenschaftler, Künstler, Politiker, inzwischen auch Wirtschaftsvertreter, die als Gesprächspartner in Interviews und Diskussion von sich aus gendern, weil es inzwischen zu ihrem Alltag gehört.
Eigentlich sind Ihre drei Informations-, Kultur- und Bildungsprogramme genau das, was man sich unter öffentlich-rechtlich finanziertem Radio vorstellt. Trotzdem könnten Sie bei den anstehenden medienpolitischen Reformen der Bundesländer unter die Räder kommen und beispielsweise als Rundfunksparte beim ZDF in Mainz oder ARD aktuell in Hamburg landen.
Die Bundesländer haben uns im Medienstaatsvertrag den Auftrag erteilt, ein nationales Informations-, ein nationales Kultur- und ein nationales Jugendprogramm zu senden; dies alles in Ergänzung zu den regionalisierten Angeboten der Landesrundfunkanstalten der ARD. Ich habe den Eindruck, diese Verteilung der Aufgaben hat sich bewährt.
Nehmen Sie eigentlich hinter den Kulissen gerade Einfluss auf die Koalitionsverhandlungen in Luxemburg?
Bitte?
Nach den jüngsten Parlamentswahlen verhandeln Christdemokraten und Liberale über eine Koalition – damit fiele für Ihre Zeitfunk-Redaktion in Köln bald einer der meist beschäftigten Interviewpartner weg: der sozialdemokratische Außenminister Jean Asselborn!
(lacht) Ja, tatsächlich, das ging mir zwischendurch auch schon mal durch den Sinn. Mit seinem Erfahrungsschatz, vor allem aber mit der Gabe seiner klaren Sprache, die gleichwohl niemals trivial oder abgenutzt wirkt, ist er für unsere Zeitfunk-Redaktion häufig ein guter Interviewpartner.
Also, haben Sie schon mit dem Großherzog telefoniert?
Ganz sicher nicht. Intendanten sollten sich nur in Sachen einmischen, die sie auch etwas angehen.
Der Intendant und der Sender
Chef
Stefan Raue, Jahrgang 1958, hat nach einem geisteswissenschaftlichen Studium ein Zeitungsvolontariat absolviert. Nach journalistischen Stationen beim WDR, Rias-TV, bei der Deutschen Welle und beim ZDF wurde er 2011 Chefredakteur beim MDR und 2017 zum Intendanten des Deutschlandradios gewählt. Bei der ersten Wahl erhielt er nur eine knappe Mehrheit im Verwaltungsrat des Senders; seine Wiederwahl 2022 erfolgte einstimmig.
Sender
Deutschlandradio ist eine eigenständige Rundfunkanstalt mit Sitz in Köln und Berlin. Es produziert ausschließlich Hörfunk. Im Gegensatz zu den regionalen Angeboten der ARD-Landesrundfunkanstalten sind die drei Programme Deutschlandfunk, Deutschlandfunk Kultur und Deutschlandfunk Nova nationale Angebote.