Harald Range hat als Generalbundesanwalt die Aufgabe, den Staat vor Unbill zu schützen. Ein Amt, das seine Vorgänger verschlissen hat. In den Ermittlungen gegen die Terroristen der NSU und der NSA-Spionageaffäre spielt er die Hauptrolle.

Karlsruhe - Ich halte mein Amt durchaus für attraktiv“, sagt Generalbundesanwalt Harald Range. Sein Besucher hatte gerade das Gegenteil behauptet. Range, der momentan wegen seiner Ermittlungen in der NSA-Affäre in den Schlagzeilen ist, hält sein Amt für reizvoll, weil er im Strafverfahren etwas gestalten, für die Gesellschaft etwas bewirken könne. Was kann er denn bewirken? „Jede Straftat ist ein Eingriff in die Rechte eines anderen oder richtet sich unmittelbar gegen unsere  freiheitlich-demokratische Grundordnung. Es gilt, das Recht durchzusetzen.“

 

Das mit der Attraktivität haben andere anders gesehen. Ranges Vorgängerin war am Ende ihrer Amtszeit so verbittert, dass sie sich eine Dankesrede ihrer Ministerin verbat. Ihr Vorgänger schied enttäuscht und resigniert. Der davor wurde gefeuert, warb später als Rechtsausleger für eine nationalliberale FDP. Der Nächste bekam ein Alkoholproblem. Die Bundesanwaltschaft verfügt über eine auf ihre Art eindrucksvolle Ahnengalerie.

Wenn man den seit 2011 amtierenden Generalbundesanwalt danach fragt, ob er vor seinem Start in Karlsruhe über das Schicksal seiner Vorgänger nachgedacht habe, wird Harald Range für seine Verhältnisse richtig lebhaft: „Nein, überhaupt nicht. Die Aufgabe hat mich gereizt, auch wenn sie in meiner Lebensplanung nicht vorgesehen war.“ Und sie hat ihn gereizt „nicht nur als Ausklang eines Berufslebens“, so der 66-Jährige.

Dass in der Vergangenheit so viele Generalbundesanwälte nicht fröhlich waren, hat Ursachen in den Besonderheiten der Bundesanwaltschaft. Man kann sie als ein Relikt des Obrigkeitsstaates betrachten, der sich selbst wichtiger nimmt als seine Bürger. Die Bundesanwälte sind zuständig für „Staatsschutzdelikte“, für Spionage und Terror. Die anderen Straftaten, selbst die der Massenmörder, die während der Nazidiktatur aktiv waren, werden von den Staatsanwälten der Bundesländer verfolgt. Weil diese Taten den Staat nicht gefährden. Zwei Klassen eben. Ein früherer Generalbundesanwalt hat einmal von einer „kleinen, aber feinen Behörde“ gesprochen.

Die Bundesanwaltschaft steht in einem besonderen Spannungsverhältnis zur Politik. Der Generalbundesanwalt ist ein „politischer Beamter“, der jederzeit ohne Begründung entlassen werden kann. Und wenn es um Terrorverdacht geht, dann mögen es Politiker, ganz gleich welcher Couleur, nicht immer so rechtsstaatlich fein. Liberale, abwägende Generalbundesanwälte waren in der Vergangenheit selten, und sie hatten es nicht leicht. Über Kay Nehm, der die Fesseln ernst nahm, die ein Rechtsstaat Anklägern auferlegt, ließ die Politik – und es waren nicht die Konservativen – ausstreuen, „er müsse zum Jagen getragen werden“. Das war vernichtend.

Die Anklage gegen die NSU ist mutig

Harald Range hat im großen Münchner Terrorprozess das einzige überlebende Mitglied des rechten NSU, Beate Zschäpe als Mittäterin bei allen zehn Morden und den zwei Anschlägen angeklagt und nicht nur wegen Beihilfe. Es gibt keine Belege für eine unmittelbare Tatbeteiligung Zschäpes. Sie sei Täterin, so die Anklage, weil sie „dem Dasein der terroristischen Vereinigung den Anschein von Normalität und Legalität“ gegeben habe. Kurz zuvor hatte das Stuttgarter Landgericht in einem nicht ganz unähnlichen Fall das ebenfalls wegen Mordes angeklagte RAF-Mitglied Verena Becker lediglich wegen Beihilfe verurteilt. Die Anklage gegen Zschäpe ist also durchaus mutig. Bis jetzt spricht alles dafür, dass das Münchner Gericht den Vorwürfen Ranges folgt.

Bei den Staatsschutzverfahren tingeln die Bundesanwälte quer durch die Republik. Denn diese Fälle werden inzwischen in erster Instanz vor den Oberlandesgerichten verhandelt. Ob diese Regelung gut ist, will Range nicht beurteilen: „Es ist das Gesetz.“ Die Organisation ist, wie sie ist. „Für unsere Sitzungsvertreter ist das allerdings mit erheblichen Belastungen verbunden.“ Aber sie vermeide eine Verengung der Sichtweisen durch ständige Befassung eines einzigen Gerichts. Die Regelung lässt der Bundesanwaltschaft aber eine vergleichsweise große Freiheit, vor welchem Gericht sie ihre Fälle anklagt. Das kann die Chancen für einen Beschuldigten verändern. Range betont, dass seine Behörde nach objektiven Kriterien entscheide, wohin sie ein Verfahren gebe, „selbstverständlich nicht willkürlich“. Wichtig sei etwa, wo der Schwerpunkt der Taten liege. Die meisten NSU-Taten wurden in Bayern verübt.

Das Attentat der RAF hat bis heute Folgen

1977 wurde Generalbundesanwalt Siegfried Buback von RAF-Terroristen ermordet, vier Monate später folgte der missglückte Versuch, die Bundesanwaltschaft mit Raketen zu beschießen. Diese Wunde ist in der Behörde bis heute offen. Die Wunde schwärt wegen der Vorwürfe, die die Familie Buback der Bundesanwaltschaft macht: Sie habe nicht alles getan, um das Verbrechen aufzuklären. Range hat bei seinem Amtsantritt angekündigt, einen Siegfried-Buback-Preis ausloben zu wollen. Er verfolgt den Plan nicht weiter. Nein, mit der Familie Buback habe diese Entscheidung nichts zu tun, sagt er.

Nicht zuletzt als Folge der Anschläge bekam die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe einen Neubau. Ein Gebäude wie eine Festung. Range fühlt sich dort „sehr wohl“. Das Haus sei „architektonisch ein gelungener Entwurf“. Er werde „gut beschützt“, habe aber auch „Freiräume“ behalten. Er will den Kontakt zur Stadt halten. Er lobt das breite kulturelle Angebot in Karlsruhe, die Musikhochschule, das Staatstheater, die Museen. Im ZKM hat er gerade eine Installation von Beuys betrachtet, „eine Gedankenwelt, die uns weiterbringt“. Im überraschend kleinen Dienstzimmer hängt ein großes abstraktes Bild. In der vorangegangenen Station, im Dienstzimmer des Celler Generalstaatsanwalts, gab es stattdessen eine alte Standuhr. Range lobt beides.

Bei der Strafverfolgung von Spionen ist vieles anders als bei anderen Straftaten. Die Regierung kann hier offiziell Ermittlungen verhindern, wenn sie nicht im politischen Interesse sein sollte. Und die deutschen Geheimdienste wissen in diesem Bereich mehr, als sie sagen. Sie dürfen schweigen, auch darüber, woher sie eine Information haben – auch gegenüber der Bundesanwaltschaft. Die hat dann Probleme nachzuweisen, wer das Schweinderl ist. Das ist absurd. Aber so ist das Gesetz.

Die Auftraggeber der Spione werden nicht bestraft

Im Spionagebereich werden die Agenten vor Ort bestraft, aber – anders als bei anderen Straftaten – nicht ihre Auftraggeber. Eine geheimdienstliche Agententätigkeit müsse konkret strafrechtlich zurechenbar sein, sagt Range: „So sieht es das Gesetz vor.“ Es gebe im Strafrecht eben keine generelle Vorgesetztenverantwortlichkeit. Dass das „Opfer“ Deutschland im Ausland selbst spioniert, ist für ihn kein Problem: „Ich schütze durch die Strafverfolgung von Spionage die deutschen Interessen.“

Die Zeitungen berichten seit Monaten lang und breit über das Ausmaß der Spionage, die die USA auch in Deutschland betreiben. Die Amerikaner sagen, die Spionage diene der Terrorabwehr. Range hat nach sehr langer Vorprüfung gerade ein formelles Ermittlungsverfahren eingeleitet wegen des (mutmaßlichen) Abhörens eines Telefons der Bundeskanzlerin, wegen des millionenfachen Ausspähens der anderen Bundesbürger aber (noch) nicht.

Range erklärt, dass es im Bereich der Spionage grundsätzlich „den Primat der Außenpolitik vor der Strafverfolgung geben kann“.

Er betont aber, keine Weisung von dem ihm übergeordneten Justizminister bekommen zu haben. „Wir berichten in Berlin selbstverständlich über den Gang des Verfahrens.“ Der Minister müsse natürlich wissen, „wie ist der Stand ist“. Mehr nicht. Von Ranges Vorgängern ist bekannt, dass ihr Verhältnis zum jeweiligen Minister zerrüttet war. Der eine ist daran verzweifelt, dass er jede Pressemitteilung zur Genehmigung vorlegen musste. Siegfried Buback, der sich dagegen wehrte, hatte 1975 Karlsruher Journalisten angestoßen, doch eine „Justizpressekonferenz“ zu bilden, weil er als Gast dort mehr sagen konnte als im eigenen Haus. So geschah es. Es half aber bald nichts mehr. Die Schotten wurden rasch wieder hochgezogen.

Range verfügt über eine Gabe, die auch Angela Merkel hat. Beide können kritischen Fragen mit höflichen, schlichten Worten begegnen, die wenig besagen und so Risiken minimieren. Merkel wurde deshalb lange unterschätzt. Inzwischen kennt man dieses effektive Mittel der Macht.

Die Bundesanwaltschaft verfügt über einen Stab hochqualifizierter, selbstbewusster Mitarbeiter. Range erklärt, er führe, indem er Verantwortung delegiere. „Ich schaue, dass die große Richtung stimmt.“ Im Übrigen verlasse er sich auf die Experten. Es werde viel diskutiert. „Ich führe im Dialog. Dass ich am Ende entscheide, das ist im rechtlichen Aufbau der Behörde angelegt.“ Die „Süddeutsche Zeitung“ hatte berichtet, dass die Fachabteilung kein Ermittlungsverfahren wegen Merkels Telefon wollte. Die Chancen für erfolgreiche Ermittlungen seien begrenzt. Daraufhin gab es öffentliche Empörung. Und ein Ermittlungsverfahren.

Er hat die „badische Art“ schätzen gelernt

Auf die Frage, ob ihn das Amt verändert habe, sagt Range, er habe „die badische Art der Verfahrenserledigung gelernt“, die aber zum selben Ergebnis führe. Eine eher gelassene Form der Erledigung. Range, in Göttingen geboren und aufgewachsen, hat von 1966 bis 1971 Rechtswissenschaften studiert. Weshalb Jura? Vielleicht weil er als zweites von drei Kindern in der Mitte ausgleichen musste, sagt er. Er wollte „dem Recht dienen“. Die Revolte von 1968 erlebte er in Bonn, als „Aufbruchsstimmung“. Als es aber mit der Gewalt begann, wusste er, „jetzt geht es in die falsche Richtung“.

Range war drei Jahre lang Richter, wurde 1978 Staatsanwalt. Und er blieb – anders als viele anderen – Staatsanwalt, unterbrochen von zehn Jahren Tätigkeit im niedersächsischen Justizministerium. Ihn fasziniert die „Jagd nach Gerechtigkeit und Wahrheit“. Dabei gehe es nicht darum, jemanden zur Strecke zu bringen. Er habe als Staatsanwalt gelernt, „was alles möglich ist, was ein Mensch dem anderen antun kann“.

Anders als die meisten, die in der Justiz ganz nach oben gestiegen sind, war Range als junger Mann nie wissenschaftlicher Mitarbeiter bei einem der oberen Bundesgerichte. Diese „Hiwi“-Tätigkeit gilt als die klassische Karriereschleuder in der Justiz. Wer ihn darauf anspricht, erlebt einen der seltenen Augenblicke, in denen Harald Range herzhaft lacht. Er ist auch, anders als viele andere Sterne am Firmament der Justiz, kein Honorarprofessor. „Dafür habe ich keine Zeit.“ Er sei Praktiker.

Range ist seit Jahrzehnten „einfaches Mitglied“ der FDP. „Für meinen Beruf spielt es keine Rolle.“ Es waren liberale Rechtspolitiker, die in den sechziger Jahren die große Strafrechtsreform voranbrachten. Etliche Straftatbestände von der Kuppelei bis zur Homosexualität wurden abgeschafft. War diese Reform aus seiner Sicht richtig? „Unbedingt, deshalb bin ich in die FDP eingetreten, weil ich zu den Reformern gehörte, in dem Maße, wie man als  kleines Licht an Reformen mitwirken kann.“ Und die vielen Straftatbestände und Strafverschärfungen, die seither wieder kamen? Range sieht nicht, dass die Reform zurückgenommen worden sei. „Nur das Pendel ist wieder etwas zurückgeschlagen.“ Vor allem bei schweren Straftaten, gerade bei Sexualstraftaten. „Das ist eine normale gesellschaftliche Entwicklung.“

Niemand kommt daran vorbei, Harald Range als höflichen und leisen Menschen zu beschreiben, im Habitus streng bürgerlich-konservativ. Das unterscheidet ihn von vielen anderen Repräsentanten des Staates. Ist das Schutz, Attitüde? „Das ist meine Persönlichkeit, die ich nicht ändern möchte und auch nicht ändern werde.“