Die SPD sieht gute Chancen, ihr Kita-Volksbegehren vor Gericht durchzusetzen. Falls sie scheitert, erwägt die Grünen-Fraktion, die Verfassungshürden für solche Vorhaben zu senken.
Stuttgart - Die Grünen-Fraktion im Landtag ist bereit, im Fall eines Scheiterns des Volksbegehrens für eine gebührenfreie Kinderbetreuung die Verfassung zu novellieren. „Sollte das Gericht die sehr weitreichende Einschätzung des Innenministeriums bestätigen, müssen wir Änderungen prüfen“, sagte Fraktionsvize Hans-Ulrich Sckerl unserer Zeitung. Es könne nicht sein, „dass die Bürgerinnen und Bürger nur Volksabstimmungen über Sonnenschein und Regen abhalten“.
Vergangene Woche hatte das Innenministerium den Antrag der SPD auf Zulassung eines Volksbegehrens abgelehnt , mit dem den Kommunen ermöglicht werden sollte, auf Kosten des Landes die Kinderbetreuung im Vorschulalter bis zu einem Umfang von 35 Wochenstunden beitragsfrei zu stellen. Derart teure Beschlüsse blieben dem Parlament vorbehalten, argumentierte Innenminister Thomas Strobl (CDU). Die SPD kündigte daraufhin an, vor den Verfassungsgerichtshof des Landes zu ziehen. „Wenn sich die Rechtsauffassung des Innenministeriums durchsetzt, ist direkte Demokratie nicht möglich“, sagte SPD-Generalsekretär Sascha Binder.
Kretschmann: keine politische Entscheidung
Ministerpräsident Winfried Kretschmann hatte den Ablehnungsbescheid als „rein verfassungsrechtliche Prüfung“ und „Verwaltungsentscheidung“ bezeichnet. Die SPD wittert politische Einflussnahme. Immerhin habe sich Kretschmann wenige Tage vor Bekanntgabe der Entscheidung mit Strobl sowie einem Vertreter des Justizministeriums getroffen. Ein Regierungssprecher bestätigte den Vorgang, doch habe es sich um ein informatorisches Gespräch gehandelt. „Der Innenminister legte das Ergebnis der Prüfung dar.“
Strobl sprach bei der Verteidigung des Ablehnungsbescheids von einer Mehrheitsmeinung seines Hauses. Erstens sei inzwischen der Bund zuständig, zweitens schließe die Landesverfassung Volksbegehren über das Staatshaushaltsgesetz und über Abgabengesetze aus.
Die SPD bewertet die Sachlage anders – und hat den Verfassungsrechtler Joachim Wieland zum Prozessbevollmächtigten berufen. Wieland hatte 2011 die Volksabstimmung über Stuttgart 21 für zulässig erklärt. Damals ging es um den Finanzierungsanteil des Landes in Höhe von über 900 Millionen Euro. Die Kosten für landesweit beitragsfreie Kindertagesstätten werden auf jährlich über 500 bis 700 Millionen Euro beziffert. Der Landesetat hat ein Volumen von 50 Milliarden Euro.
Enge und weite Verfassungsinterpretation
Die enge Verfassungsinterpretation des Innenressorts sagt, mittels direkter Demokratie dürfe nichts entschieden werden, was spürbar Geld koste. Die weite Auslegung widerspricht. Nicht grundlos sei im Wortlaut der Landesverfassung nur das „Staatshaushaltsgesetz“ von direkter Demokratie ausgeschlossen. In Nordrhein-Westfalen hingegen beziehe sich der Ausschluss auf auf „Finanzfragen“, in Schleswig-Holstein auf den „Haushalt des Landes“, im Saarland auf „finanzwirksame Gesetze“. Auch die Kommentarliteratur zur Landesverfassung vertritt die weite Interpretation. Finanzwirksame Gesetze, „auch bei stärkeren Auswirkungen“, seien von direkter Demokratie nicht ausgeschlossen, heißt es bei Klaus Braun. Vergleichbar äußern sich der Feuchte- und der Haug-Verfassungskommentar. Die Landeszentrale für politische Bildung schreibt auf ihrer Homepage zum Thema Volksabstimmung: „Anders als in anderen Bundesländern ist das Finanztabu weniger stark (...) Kosten verursachende Gesetzentwürfe sind zugelassen.“