Möglich ist inzwischen vieles, erlaubt weiterhin nur weniges: der Vorstoß für erweiterte Rechte bei der DNA-Analyse fand zunächst breite Unterstützung. Inzwischen mehren sich aber auch die skeptischen Stimmen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Guido Wolf bot sich geradezu an für das Pro & Kontra in der „Neuen Juristischen Wochenschrift“. „Ausweitung der DNA-Analyse?“ – zu diesem Thema hatte der Stuttgarter CDU-Justizminister schon früh Position bezogen. Angesichts der beiden Morde an jungen Frauen in der Region Freiburg, forderte er auch in dem Juristenblatt, müsse die Strafprozessordnung (StPO) „dringend überarbeitet werden“. Augen- und Haarfarbe, Hauttyp, biologisches Alter und biogeografische Herkunft – all das lasse sich heute mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Erbgutspuren herauslesen. Für die Polizei wäre das bei schweren Straftaten äußert hilfreich, um den Kreis der Verdächtigen einzuschränken oder bestimmte Gruppen früh auszuschließen. Doch das zuletzt 2004 geänderte Recht verbiete es, die wissenschaftlichen Möglichkeiten zu nutzen. Das sei „nicht einzusehen“, befand Wolf.

 

Erheblich schwieriger war es dem Vernehmen nach, einen Kontra-Anwalt zu finden. Die Gegenrede übernahm schließlich der Regensburger Strafrechtsprofessor Jan Bockemühl. Es dürfe „keine Strafverfolgung um jeden Preis geben“, mahnte er. Eine erweiterte DNA-Analyse widerspräche der Verfassung und sei „absolut tabu“. Ein „umfassendes Persönlichkeitsregister mit ,DNA-Passbild‘ für alle Bürger und Einreisenden“ verbiete sich, sonst lande man schnell beim Orwell’schen Überwachungsstaat. Bockemühls Fazit: „Finger weg“ vom einschlägigen StPO-Paragrafen.

Mahner haben einen schweren Stand

Mahner wie der Professor haben derzeit einen schweren Stand, die Befürworter wie der Minister scheinen klar in der Mehrheit. In der Stuttgarter Koalition hat sich Wolf bereits überwiegend durchgesetzt: Auch die Grünen tragen seine Bundesratsinitiative mit, nur die Herkunftsanalyse per DNA verhandelten sie heraus. Begründung: Sie erhöhe das Risiko von Fehlinterpretationen oder falschen Fährten und sei auch verfassungsrechtlich bedenklich. Umgehend bedauerten Polizeipraktiker, dass ihnen damit eine wichtige Erkenntnisquelle verschlossen bleibe. In der Länderkammer bekam der CDU-Mann Beistand von Bayern, das weiter auch auf die Analyse der Herkunft dringt. Nun soll seine Initiative erst einmal in den Ausschüssen weiter beraten werden.

Auch die „Spurenkommission“ der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin plädiert dafür, per DNA künftig mehr als nur Identität und Geschlecht ermitteln zu dürfen. Relevant wäre das alleine in Fällen, wo Spuren keiner Person zuzuordnen seien. Nutzen und Risiken müssten gut abgewogen werden, schrieb der Vorsitzende Peter Schneider in einer Stellungnahme. Die erweiterten Daten verrieten aber nur Eigenschaften, die später ohnehin aufgedeckt würden; zudem sei es nicht nötig, sie zu speichern. Selbst Datenschützer zeigen sich offen für die Reform. Am deutlichsten bremste noch die Bundesbeauftragte Andrea Voßhoff: Es handele sich um einen „intensiven Grundrechtseingriff“, die Interessen der Fahnder müssten sorgsam gegen den Schutz einer „Vielzahl von Personen“ abgewogen werden, die in ihr Visier geraten könnten. Die zuständige Landesbehörde sieht den „absolut geschützten Kernbereich der Persönlichkeit nicht betroffen“ – jene Teile der DNA, die Auskunft über Charakter oder Krankheiten geben könnten, bleiben schließlich tabu. Entscheidend sei, wie neue Möglichkeiten in der Praxis angewendet würden.

Alles erlauben, was möglich ist?

In der breiten Öffentlichkeit stößt die geplante Ausweitung auf viel Sympathie. Der Schutz von Opfern sei ja wohl wichtiger als der von Tätern – diese verkürzte Formel findet allenthalben Zustimmung. „Tödliche Korrektheit“ sei es, titelte die Wochenzeitung „Junge Freiheit“, wenn Mörder wegen der restriktiven Rechtslage nicht schneller gefasst würden. Oft lautet das Fazit: Was technisch möglich sei, solle bei der Aufklärung schwerer Straftaten auch erlaubt sein.

Ganz so einfach lägen die Dinge indes nicht, mahnt eine Gruppe von Geistes- und Sozialwissenschaftlern um die Freiburger Professorin Veronika Lipphardt. Die Experten von den Universitäten Freiburg, Frankfurt am Main und Northumbria sehen die öffentliche Debatte einseitig von den Befürwortern einer Rechtsänderung geprägt – und wollen das Bewusstsein für deren Risiken schärfen. Es gehe nicht nur um ein neues Fahndungsinstrument, das weitaus komplexere Frage aufwerfe als auf den ersten Blick sichtbar. Letztlich stehe „nichts Geringeres als das Verhältnis von Staat und Mensch auf dem Spiel“, warnten sie in einem offenen Brief. Wie weit darf die DNA-Analyse gehen? Ist die Privatsphäre künftig noch geschützt? Was wird aus den gewonnenen Daten? Solche Fragen seien vor einer Gesetzesnovelle sorgsam zu bedenken.

Warnung vor falscher Verdächtigung

Den alarmierenden Ton haben Veronika Lipphardt und ihre Kollegen bewusst angeschlagen, um für ihre Einwände Gehör zu finden. „Fehlverdächtigungen könnten sich dramatisch häufen“, lautet einer davon. Es gehe nicht um den Schutz der Täter, sondern von Unbeteiligten, die ins Polizeiraster gerieten. Die DNA-Analyse habe zu spektakulären Erfolgen geführt, aber auch zu desaströsen Fehlern – Stichwort Heilbronner „Phantom“. Den Fahndern verlange sie ganz neue Kompetenzen ab, etwa im Umgang mit den Ergebnissen. Heraus kämen komplizierte Angaben zu einer mehr oder weniger hohen Wahrscheinlichkeit, aber eben keine Gewissheit. Zudem würden vermeintlich objektive wissenschaftliche Ergebnisse immer auch soziokulturell gedeutet – oder eben missdeutet. Umfassende Expertise sei nötig, um falsche Schlüsse zu vermeiden.

Auch bei der Speicherung von DNA- Daten mahnen die Forscher zur Zurückhaltung. In England dürfe die Polizei bei Verdacht von jedem Menschen eine DNA-Probe fordern. Die Folge: In der nationalen Datenbank seien bereits fünf Millionen DNA-Profile oder -spuren gespeichert. Bestimmte Personengruppen, die besonders häufig kontrolliert würden, seien dadurch überrepräsentiert – was die Politik dort inzwischen als Problem erkannt habe. In der Sache haben sich Lipphardt und ihre Kollegen noch nicht festgelegt, aber sie wollen eine fundierte Diskussion anstoßen.

Maas gegen „unzulässige Ausforschung“

Die wünscht sich auch Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), wie er dieser Tage an seinen Stuttgarter Kollegen Wolf schrieb. Eine Überprüfung der geltenden Regeln sei angezeigt, eine „unzulässige Ausforschung“ aber zu verhindern. Dazu bedürfe es „einer vertieften Auseinandersetzung im Detail“ und eines Austauschs mit Wissenschaft und Justiz. Schon jetzt, verblieb Maas, freue er sich auf die Debatte bei der Justizministerkonferenz. Das nächste Treffen ist im Juni.