Der Leiter des Deutsch-französischen Instituts hat einen Schatz gehoben: Beim Aufräumen in seinem Archiv hat er teils unveröffentlichte Reden hochrangiger Politiker aus fast 70 Jahren gefunden. Daraus ist jetzt ein Buch geworden.

Ludwigsburg - Wer Franzosen mit dem Namen der Stadt Ludwigsburg konfrontiert, bekommt die reflexartige Antwort: „Aha, General de Gaulle!“ Die Rede, die der französische Staatspräsident 1962 in Ludwigsburg gehalten hat, ist legendär; sie gilt als Auslöser für die Aussöhnung von Deutschen und Franzosen nach dem Krieg. „Doch die Freundschaft beider Länder gründet nicht ausschließlich auf dieser Rede“, sagt Frank Baasner , der Leiter des Deutsch-französischen Instituts (dfi). Es gab noch weitere wichtige Treffen hochrangiger Politiker – und es gibt noch sehr viel mehr Reden, die seit der Gründung des dfi in Ludwigsburg gehalten wurden. Baasner hat 40 davon jetzt in einem Buch mit dem Titel „Zu unserem Glück vereint“ versammelt.

 

Wiedervereinigung als legitimes Anliegen

Beim Aufräumen des Archivs vor etwa anderthalb Jahren hat Baasner überrascht festgestellt, dass in seinem Haues viele Redemanuskripte von hochrangigen Politikern liegen, die entweder noch nie oder nur in seit Jahrzehnten vergriffenen Schriftenreihen veröffentlicht worden sind. Und gerade die älteren Text lohnten eine neuerliche Auseinandersetzung, glaubt der dfi-Leiter. Was ihn unter anderem erstaunt hat: „Wo von Frankreich und Deutschland die Rede ist, ist immer auch von Europa die Rede.“ Die europäische Identität habe von Anfang an eine entscheidende Rolle für alle künftigen Optionen gespielt. „Deutschland und Frankreich, das waren nicht zwei Paar Schuhe, das waren zwei Schuhe, die ein Paar gebildet haben“, sagt Baasner.

Außerdem sei ihm bei seiner Recherche im dfi-Archiv aufgefallen, dass der gesamte politische Stab von General Charles de Gaulle aus Männern gebildet war, die im Krieg der Résistance angehört hatten. Diese meist älteren Herren hatten im Widerstand gegen Hitlerdeutschland gekämpft und hofften trotzdem zum Teil schon Ende der vierziger Jahre wieder auf eine Annäherung an Deutschland. Und anders als die unmittelbar Betroffenen diesseits des Rheins, hätten die Franzosen die Deutsche Wiedervereinigung schon ganz früh für notwendig erachtet. „Für sie war das ein legitimes Anliegen. Etwas, das kommen musste“, sagt der dfi-Leiter.

Ähnlich erstaunlich kann man finden, dass es schon 1953 Versuche gab, eine europäische Verteidigungsgemeinschaft innerhalb der Nato zu installieren. Bei der Vorstellung seiner Reformideen für die EU hatte Emmanuel Macron erst Mitte September ein europäisches Verteidigungsbudget und eine gemeinsame Interventionstruppe gefordert. Europa müsse im Verteidigungsbereich eine gemeinsame strategische Kultur entwickeln, so Macron.

Der mehrfache Minister unter de Gaulle und zeitweilige französische Ministerpräsident René Mayer bezog sich in einem Vortrag am 14. Mai 1955 im Ordenssaal des Schlosses auf den kurz zuvor am Veto seiner Landsleute gescheiterten Versuch für ein Verteidigungsbündnis und meinte, der europäische Gedanke habe 1954 „eine Krise durchgemacht, von der die einen sagen, sie sei eine Alterskrise, und die anderen, sie rühre vom Zweifel her.“ Und er ergänzte: „Heute befinden wir uns wieder in einer Periode des Suchens.“

Europa zwischen den Fronten des Kalten Kriegs

Sein eigenes Lieblingszitat aus den 40 Reden stehe am Ende der Ausführungen von Carlo Schmid, sagt Baasner. Der frankophile SPD-Minister, Bundestagsvizepräsident und Baudelaire-Übersetzer Schmid hatte am 12. Februar 1949 mit einer schonungslosen Schilderung der bis dato herrschenden Situation angesetzt – „Das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich ist seit Generationen heillos verdorben“ – um nach einem längeren Exkurs über die Bedrohung durch die Großmächte USA und UdSSR zu folgern: „Europa kann man nicht gegen etwas bilden, sondern nur für etwas, nämlich für Europa selbst.“

Baasner hat nicht nur einen Teil der Reden ins Deutsche übersetzt, er hat sie auch gekürzt. Passagen, die sich allzu ausführlich mit Dingen beschäftigten, die nur in den unmittelbaren Nachkriegskontext gehörten oder bei denen komplexe Erläuterungen nötig gewesen wären, um sie verständlich zu machen, hat er gestrichen. Die Rechte für das Gros der Texte liegen ohnehin beim dfi. Von manchen Politiker wie etwa dem ehemaligen Bundesminister und Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi hat er die Druckerlaubnis erbeten.

Ein Referat von Bundeskanzler Helmut Kohl war bereits an anderer Stelle gedruckt worden und für die Wiedergabe von Reden aus der jüngsten Vergangenheit hat sich Baasner den Segen vom Kanzleramt geben lassen. Angela Merkels Rede anlässlich der 50-Jahr-Feier der dem Elysée-Vertrag vorausgegangenen de-Gaulle-Rede im Hof des Ludwigsburger Schlosses, findet sich nicht in dem Buch. „Die Bundeskanzlerin hat frei gesprochen“, sagt Baasner.