Das vor allem durch den Genozid 1994 bekannt gewordene afrikanische Land will ein Akteur im Weltsport werden. Schon jetzt wirbt es mit „Visit Rwanda“ bei Topclubs wie dem FC Bayern München für sich. Perspektivisch werden Olympia und Fußball-WM angepeilt. Das Ganze ruft große Kritik hervor.

Eine Trommelgruppe hat sich vor der gläsernen Halbkugel des Convention-Centers in Kigali aufgebaut. Die Trommler sorgen für gute Stimmung. Die Menschen neben ihnen werden vom Groove angesteckt und wippen mit dem gesamten Körper mit. In mehreren Reihen stehen sie. Denn gleich kommen die Teilnehmer der Tour du Rwanda in der Hauptstadt vorbei. Bekannte Profis sind bei dem Radrennen dabei. „Es ist einfach schön, hier zu fahren. Die Straßen sind in gutem Zustand. Das Land ist sicher“, sagt der Brite Chris Froome, vierfacher Tour-de-France-Sieger, gegenüber unserer Redaktion. „Für uns bedeutet das gute Bedingungen für Training und Wettkampf. Auch die Fans sorgen für gute Atmosphäre.“

 

Nur die Bilderbuchseite

Das ist die Bilderbuchseite der Sportnation Ruanda. Es gibt aber auch eine andere.

Das vor allem durch den Genozid 1994 bekannt gewordene Land will ein neuer Akteur im Weltsport werden. 2025 richtet es die Rad-WM aus. Schon jetzt wirbt es mit der Kampagne „Visit Rwanda“ bei den Fußball-Spitzenclubs FC Arsenal, Paris Saint-Germain und FC Bayern München für Reisen nach Ruanda. Perspektivisch werden sogar Olympische Spiele und Fußball-WM angepeilt. Wegen zahlreicher Menschenrechtsverletzungen, die bis hin zu Entführung und Tötung von Oppositionellen im Ausland gehen, wird die Sportoffensive des Landes aber auch kritisch gesehen.

Für große Fußballevents wird gerade das Amahoro-Stadion auf 45 000 Plätze ausgebaut. Gelegentlich stoßen die Bagger auf Leichen – mutmaßlich Opfer der Massaker, die im Jahr 1994 auch im und um das alte Stadion herum stattfanden. Dass Ruanda sich davon erholt hat, dass die Täter und Angehörigen der Täter mit den überlebenden Opfern und den Hinterbliebenen der vielen Getöteten überhaupt zusammenleben können, ist eine enorme Leistung der gesamten Gesellschaft. Doch es brodelt unter der Oberfläche. Frauen, die während des Genozids vergewaltigt wurden, erklären zwar öffentlich, den Tätern verziehen zu haben – das ist Staatsräson à la Ruanda. Im Alltag vermeiden sie aber, den Teil der Straße überhaupt zu betreten, in denen die Familien der Täter wohnen. Die Versöhnungsschicht ist brüchig.

Die Ultras tanzen und trommeln

Sie zusammenzuhalten ist auch Aufgabe des Sports. Die ruandische Fußballliga kann man als PR-Event der wichtigsten staatlichen Institutionen sehen. Die großen Vereine heißen Police FC und APR FC – APR ist die Guerilla-Armee, die den Genozid beendete und unter dem ehemaligen Guerilla-Führer und jetzigen autoritären Staatspräsidenten Paul Kagame die Macht hat. Die Ultras dieser Vereine tanzen, trommeln und singen in Fantasieuniformen von Polizei und Armee – eine spezielle Fankultur.

Auf die Baustelle des Amahoro-Stadions guckt von seinem Büro aus der stellvertretende Sportminister Zephanie Niyonkuru. „Es geht gut voran“, sagt er. Wenn das Stadion fertig ist, würde er hier gern Spiele des Afrika-Cups im Fußball oder auch einer Fußball-Weltmeisterschaft austragen. „Warum nicht als Mitveranstalter? Warum nicht auch Olympische Spiele? Wir investieren viel in den Sport, haben eine offene Visum-Politik und sind bereits Gastgeber der Basketball Africa League, die in Zusammenarbeit mit der NBA entstand“, erzählt er. Nächster Schritt ist die Rad-WM 2025.

Das Land attraktiv machen

Hintergrund der Sport-Initiative ist, das Land als Tourismus-Destination attraktiv zu machen. „Sport soll ein Katalysator sein, mehr Touristen in unser Land bringen und damit neue Arbeitsplätze schaffen“, betont Niyonkuru. Seit dem Sponsordeal mit dem FC Arsenal seien bereits 30 Prozent mehr Reisende aus Großbritannien gekommen. Von den Abkommen mit dem FC Bayern München und Paris Saint-Germain erhofft man sich ähnliche Steigerungen für deutsche und französische Touristen.

„Wer gedacht hatte, dass der FC Bayern den Sponsor aus Menschenrechtsgründen wechselt, der wurde jetzt hart enttäuscht“, sagte Wenzel Michalski, Deutschland-Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, nach der Abkehr der Münchner von der Fluggesellschaft Qatar Airways aus Katar hin zu „Visit Rwanda“ im vergangenen August. „Die Partnerschaft jetzt mit Ruanda ist auch eine ganz, ganz schlechte Wahl. Das ist ein Staat, in dem Menschenrechte mit Füßen getreten werden.“ Und auch in Ruanda gibt es reichlich Kritik.

Armes Land unterstützt reiche Clubs

„Das Geld sollte lieber direkt der Bevölkerung zugutekommen, in das Bildungswesen und die Landwirtschaft investiert werden, anstatt dass ein armes Land aus Afrika reiche Fußballclubs aus Europa finanzieren hilft“, sagt Victoire Ingabire, Oppositionspolitikerin und wegen ihrer politischen Aktivitäten zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Sportlerinnen und Sportler, die an internationalen Events in Ruanda teilnehmen, fordert sie auf, „sich dafür einzusetzen, dass Ruanda ein demokratisches Land wird, dass man hier seine Meinung ohne Einschränkungen ausdrücken kann – so wie auch bei ihnen zu Hause“.

Ingabire hat die leise Hoffnung, dass der Sport auch ein Katalysator für demokratische Prozesse sein kann: dann, wenn Sportler und Funktionäre, die zur Rad-WM kommen, oder auch die Fußballprofis der gesponserten Vereine, die an Werbetouren durchs Land teilnehmen, ihre Stimme erheben und sich für Freiheitsrechte einsetzen.

Früherer Teil von Deutsch-Ostafrika mit diktatorischer Regierung

Ex-Kolonie
 Ruanda ist ein dicht bevölkerter Binnenstaat in Afrika und wird wegen seiner Landschaft auch „Land der tausend Hügel“ genannt. Er grenzt an Burundi, die Demokratische Republik Kongo, Uganda und Tansania. Von 1884 bis 1916 war Ruanda als Teil Deutsch-Ostafrikas eine deutsche Kolonie.

Völkermord
Konflikte zwischen den Volksgruppen der Hutu und Tutsi führten zu einem Bürgerkrieg (1990 bis 1994) sowie dem Völkermord 1994. Damals ermordeten radikale Hutu etwa 800 000 ethnische Tutsi sowie viele gemäßigte Hutu.

Wirtschaft
Seit dem Ende des Bürgerkrieges setzte ein wirtschaftlicher Wiederaufbauprozess ein, begünstigt durch die Ausbeutung von Rohstoffen in den östlichen Kongoprovinzen. Seit geraumer Zeit gehört Ruanda zu den afrikanischen Ländern mit dem stärksten Wirtschaftswachstum.

Politik
Seit 2000 regiert Paul Kagame als Präsident das Land diktatorisch. Das Regierungssystem steht international in der Kritik wegen der Manipulation von Wahlen, Unterdrückung der Opposition oder auch mangelnder Pressefreiheit.