Ilse Alber ist mit dem Kulturpreis der Stadt Ditzingen geehrt worden. Die Buchfreundin bietet seit Jahrzehnten im kleinsten Stadtteil Schöckingen Kulturveranstaltungen an. Eine Literaturkritikerin, die nur ihre Meinung gelten lässt, will sie aber nicht sein.

Ditzingen - Der Literaturkreis im Alten Rathaus ist am vergangenen Freitag ausgefallen. Das kommt in Schöckingen nur ganz selten vor. Denn aus dem „Baby“ von Ilse Alber ist ein Erwachsener geworden – der die Beteiligten aber ebenso fordert wie ein Kleinkind. Und das seit 30 Jahren. 1986 hatte gerade begonnen, die Atomkatastrophe von Tschernobyl als das Ereignis dieses Jahres sollte erst drei Monate später stattfinden, da trafen sich einige Menschen in Schöckingen – um über ein Buch zu reden. Vorbilder für solche Runden gab es noch nicht; das „Literarische Quartett“ im ZDF mit Marcel Reich-Ranicki als ebenso gnadenloser Kritiker („mein lieberr Günterr Grrass, dieses Buch ist schlecht!!“) wie Selbstdarsteller und drei anderen Fachleuten in Nebenrollen wurde erst zwei Jahre später erfunden.

 

Die Literatur als Hobby und Beruf

In Schöckingen war 1986 schon seit zehn Jahren eine Frau die Leiterin der Stadtteilbibliothek, die sich dem Buch verschrieben hatte: Ilse Alber. Sie arbeitete nicht nur professionell mit Literatur, die sie den Nutzern empfahl (oder auch nicht), sie betrachtete die Welt zwischen Buchdeckeln auch als ihr „persönliches Hobby“, wie sie jetzt im Nachhinein reflektiert. „Ich brauche Bücher, die ich lesen kann. Auf dem Nachttisch, im Wohnzimmer.“ Über andere Orte in der Wohnung redet man höflichkeitshalber nicht.

Jedenfalls hat sie damals einfach eingeladen in den Literaturkreis. Zu einer Runde, in der man sich über Bücher austauschte. Nicht kreuz und quer durchs Regal, sondern eines nach dem anderen. Später auch über solche, die verfilmt wurden. Sollte die neue Gesprächsreihe vielleicht eine Spielwiese der Bibliothekarin werden? Ilse Alber zögert. „Ich habe gedacht, das wäre etwas für einen so kleinen Ort. Ich wollte nicht nur beim Bäcker angesprochen werden.“ In die Bibliothek seien nur die Menschen gekommen, „die sich eh für Bücher interessieren“. Die Einladung kam an, die Runde blieb, es bildete sich ein Kreis von Stammbesuchern – und die Runde gibt es bis heute. „Ich habe ja die Leute dafür nicht auf der Straße eingefangen“, sagt Alber.

„In ein Buch taucht man ein“

Sie meint damit: aufdrängen hätte sie sich niemals wollen. Sondern nur das anbieten, was auf Interesse stößt. Was es noch nicht gibt, aber als sinnstiftende Abendbeschäftigung sehr gut denkbar ist. Andere gehen in den Bibelkreis, in den Kirchenchor oder zum Kicken. Wie beschreibt sie ihr Verhältnis zu der Institution Buch, wie geht sie mit Büchern um? „In ein Buch taucht man ein, man lebt darin. Diese Freude will ich den Leuten vermitteln.“

Wenn von Büchern die Rede ist, egal ob im Fernsehen oder als Beschreibung eines Hobbys, dann ist meist von einem „guten Buch“ die Rede. Klar, keiner gibt zu, seine Zeit mit schlechtem Stoff zu verbringen. Die Kategorie schlechtes Buch, aber das wirklich nur am Rande, hat Reich-Ranicki pauschal mit „alles, was mehr als 500 Seiten hat“, definiert. Ilse Alber, die Bücherfrau aus Schöckingen, dem Dorf und Ditzinger Stadtteil, sagt auf die Frage, ob es schlechte Bücher gebe, weder Ja noch Nein. Sondern: „Jeder darf für sich beurteilen, was gut und schlecht ist. Wer Freude hat beim Lesen, für den ist das Buch, das er gerade liest, ein gutes Buch.“ Was für sie Ramsch ist, möchte sie nicht definieren. Genauso wenig, wie sie im Literaturkreis ihre Meinung als die selig machende kundtun will. Sie selbst sei immer zum Schluss dran. Und ein Buch wegzuschmeißen, wie es der Literaturkritiker Denis Scheck vor der Kamera mache, das gehe gar nicht.

Was hält sie vom Querlesen? „Die Fähigkeit habe ich nicht. Ich will das Buch genießen, dazu muss ich es ganz lesen.“ Wort für Wort. Das kann man als Plädoyer gegen die Oberflächlichkeit verstehen. Fünf Seiten überschlagen, um vorwärts zu kommen? Kann die 74-Jährige nicht verstehen. „Für mich bedeutet ein Buch etwas anderes.“

Kontakte zu Schriftstellern

Für viele Menschen bedeuten Lesen und Literatur auch den Kontakt zum Schriftsteller, wenn das möglich ist. Das ist ein Grund dafür, dass Autorenlesungen begehrt sind. Sie hatte diesen Kontakt in ihrer Zeit in der Bibliothek bis 2004 als Veranstalterin. Etwa zu Wolfgang Schorlau, Hanns-Josef Ortheil oder Peter Härtling. Viele andere fallen ihr ein. Auch Titel von Romanen, nach denen Filme gedreht wurden – und die man im Literaturkreis besprochen hat. Eigentlich gebe es dabei nur eine sinnvolle Reihenfolge, meint Ilse Alber: zuerst den Film anschauen, dann das Buch lesen. Warum nicht andersherum? „Beim Lesen entsteht bei mir der Film im Kopf.“ Und dann sei sie im Kino enttäuscht, weil der Regisseur es anders gemacht hat.

Wollte sie jemals selbst schreiben? Sie habe „nie die Idee“ dazu gehabt, keine Romane, Gedichte schon gleich gar nicht. Etwas anderes seien Geschichten, die sie nach einem Urlaub oder einer Wanderung, am Bodensee oder am Albtrauf, gerne erzähle. Was sich in einer Landschaft zutragen könnte. Oder, ein konkretes Beispiel, als sie einmal in Felsen Gesichter gesehen habe. Wenn das kein Stoff ist. Für ein Buch.