Hochschule Nürtingen Lost Place oder Party-Location im Keller?

Beichtstuhl wird die gemauerte und erhöhte Sitzecke genannt, in der früher Verkostungen stattfanden. Foto: HfWU Nürtingen

Heute eine Art Lost Place, früher eine Party-Location mit legendärem Ruf. Pünktlich zum Jubiläum der Hochschule soll der Große Keller in Nürtingen reaktiviert werden.

Region: Corinna Meinke (com)

Schätze schlummern meist im Verborgenen. Das gilt auch für den großen Keller samt Beichtstuhl, der sich unter dem historischen Altbau der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) am Campus Innenstadt in Nürtingen befindet. Pünktlich zum 75-jährigen Bestehen der Hochschule soll der Keller wieder zugänglich gemacht werden.

 

Legendäre Studentenpartys, Konzerte und Feste aller Art – der Große Keller unter dem Gebäude C1 hat zu Hochschulzeiten viel erlebt und war „aus dem studentischen und gesellschaftlichen Leben Nürtingens nicht wegzudenken“, wie es auf der Homepage der HfWU heißt. Doch dann bereiteten brandschutzrechtliche Mängel dem Treiben ein Ende und die Stimmung war im Keller.

Spendenaktion gestartet

Im Jubiläumsjahr 2024 will man wieder an die guten alten Zeiten anknüpfen und den Keller reaktivieren. Das Interesse daran ist laut der Hochschule in der Nürtinger Öffentlichkeit genauso groß wie bei den Studierenden und den Alumni. Zunächst muss der Keller allerdings saniert werden. Geplant sind mit Blick auf den Brandschutz vor allem die Instandsetzung von Treppen und Fluchtwegen sowie von Elektroinstallationen und Beleuchtung. Ein vorbereitendes Gutachten sei dazu in Arbeit, erklärte der HfWU-Sprecher Gerhard Schmücker. Wie groß der Finanzbedarf ist, stehe noch nicht fest, aber die ersten Spenden einer groß angelegten Fundraising-Aktion seien bereits eingetroffen.

Der Große Keller war aber nicht nur Partylocation. Seine Geschichte ist viel älter. Alles begann mit dem Bau des Nürtinger Spitals an der Neckarsteige, das um 1526 für die Armenfürsorge und Altersversorgung gebaut wurde. Beim großen Stadtbrand 1750 wurde das Spital völlig zerstört, aber danach wieder aufgebaut. Der Große Keller diente damals auch als Weinlager für den Weinzehnten und bis 1811 betrieb das Spital eine eigene Küferei. Die Geschichte des Gebäudes als Lehranstalt beginnt mit dem Niedergang der Naturalwirtschaft und knüpft beim Blick in die Aufzeichnungen des Stadtarchivs an die frühe Geschichte Nürtingens als Schulstadt an. Das erste städtische Stipendium wurde demnach 1688 gestiftet und die erste Realschule Württembergs 1783 in Nürtingen eröffnet. Gründungsrektor war der Tübinger Pfarrer Theodor Eisenlohr. Schon damals bereicherte das Seminar mit Musik- und Theaterveranstaltungen das kulturelle und kirchliche Leben der Stadt.

Der Beichtstuhl steht ganz hinten

Der Große Keller, der sogar den Stadtbrand überdauert hatte, diente auch als Verkostungsraum. Dafür wurde eine fest eingemauerte Sitzgruppe, der so genannte Beichtstuhl genutzt. Er befindet sich in einer erhöhten Nische in der hinteren Ecke des Großen Kellers, die über eine steile Treppe zu erreichen ist.

Nach dem Zweiten Weltkrieg zog dann 1949 die Höhere Landbauschule ein und 1952 wurde die Staatliche Obstbauschule gegründet. In dieser Zeit wurde der Keller zum Fruchtkeller. Dort wurden Obstweine hergestellt und Früchte gelagert, es gab gebuchte Führungen und Verkostungen. Schüler der Staatlichen Obstbauschule legten nach Angaben der HfWU zum großen Teil in Eigenarbeit den Gewölbekeller damals frei und fanden neben sichtbarem Fels, auf dem die Nürtinger Altstadt liegt und an den das Mauerwerk anschloss, auch Reste eines Stützpfeilers der alten Stadtmauer aus dem 14. Jahrhundert. Aus der Höheren Landbauschule gingen 1972 die Fachhochschule Nürtingen und 2005 die jetzige HfWU hervor.

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