Seltenes Bild: Einstimmig hat der Landtag am Mittwoch eine neue Fassung des Rettungsdienstgesetzes beschlossen. Darin wird die gesamte Alarmkette vom Anruf in der Leitstelle bis zur Einlieferung des Verletzten im Krankenhaus auf den Prüfstand gestellt.

Stuttgart - Am Ende bedurfte es nicht mal mehr einer Aussprache. Der Landtag hat am Mittwoch die neue Fassung des Rettungsdienstgesetzes verabschiedet – einstimmig. Das kommt selten vor, und zu Beginn der Debatte Anfang des Jahres hatte es auch noch nicht danach ausgesehen. „Auf allgemeinen Druck hin“, sagte Ulrich Goll (FDP), habe Grün-Rot von seinen ursprünglichen Vorstellungen abgelassen und die so genannten Hilfsfristen in Ruhe gelassen. Der frühere Staatssekretär im Sozialministerium, Dieter Hillebrand (CDU) hatte bei der ersten Beratung im Landtag dem zuständigen Minister sogar attestiert, er zeige „Größe, dass er aus den Debatten die richtigen Schlüsse gezogen hat.“

 

In der Debatte über das Rettungswesen spielten – zumindest in der Öffentlichkeit – jene Hilfsfristen die zentrale Rolle. Diese wurden in der alten Fassung definiert als „die Zeit vom Eingang der Notfallmeldung in der Rettungsleitstelle bis zum Eintreffen der Hilfe am Notfallort.“ Diese Zeit „soll aus notfallmedizinischen Gründen möglichst nicht mehr als zehn, höchstens 15 Minuten betragen.“

Das funktioniert so nicht. 2014 wurde schon die 15-Minuten-Frist nur in acht der 34 Leitstellenbezirke in mehr als 95 Prozent der Fälle eingehalten. Und das auch nur von den Sanitätern. Die Notärzte schafften die Norm nur in drei Bereichen. Mit dem Regierungswechsel auf Grün-Rot war die Zuständigkeit für den Rettungsdienst vom Sozial- ins Innenministerium gekommen. Und dort dachte man anfangs tatsächlich darüber nach, an den Fristen zu drehen, für Rettungswagen und Notärzte verschiedene Marken zu setzen und ihnen mehr Zeit zu geben.

Alte Ideen vom Tisch

Das hat den von Goll beschriebenen Druck ausgelöst, inzwischen ist das vom Tisch. Die Katastrophenhelfer im Innenressort haben erkennen müssen, dass im wirklichen Leben die Rettungsdienste vor Ort so konzipiert wurden, dass die Hilfsfrist bestmöglich erreicht werden kann. Das wird aber mit der wachsenden Zahl von Einsätzen immer schwieriger. Andere Aspekte hätten keine Rolle gespielt. Sie müssten das aber sehr wohl tun, etwa, wie lange es in der Leitstelle nach dem Anruf dauert, bis der Disponent Alarm auslöst – er könnte da durchaus steuernd oder auch manipulierend wirken. Oder wie lange es dauert, bis ein Patient nach der Ankunft im Krankenhaus dort auch tatsächlich versorgt wird – ob er sofort in eine Notaufnahme kommt oder erst einige hundert Meter durch Gänge und durch zwei oder drei Aufzüge gebracht werden muss.

Da besteht viel Optimierungspotenzial – ganz abgesehen davon, dass es einen Unterschied macht, ob man im Hochschwarzwald nach „möglichst nicht mehr als zehn Minuten“ am Notfallort sein muss oder in der Großstadt. Dieses Potenzial will das Land nun tatsächlich frei legen. „Jedes Teil der Rettungskette muss leistungsfähig sein, und die Abläufe müssen optimal ineinander greifen“, sagt der Innenminister Reinhold Gall (SPD).

Mehr Macht für Kreise

Darum kümmern sollen sich die Stadt- und Landkreise. Deren Rechtsaufsicht wird gestärkt. Kritiker forderten, dass sie direkt das Rettungswesen übernehmen sollten, wie es in anderen Bundesländern auch ist. So weit will die Politik nicht gehen; es bleibt dabei, dass die Planung von den Bereichsausschüssen gemacht wird. Das sind in erster Linie die Leistungserbringer einerseits und die Kostenträger andererseits, also Rettungsdienste und Krankenkassen. Sie müssen aber den Kreisen akkurat Bericht erstatten. Und wenn man dort meint, es laufe nicht ordentlich, sollen die Kreise doch selbst tätig werden und Anordnungen oder Ersatzvornahmen treffen.

Dabei helfen soll eine unabhängige und landesweit einheitliche Qualitätssicherung. Das Geschehen im Rettungswesen muss dazu genau dokumentiert werden. Auch die Besetzung der Rettungswagen ist neu geregelt. Bis Ende 2020 können sie alternativ mit einem Rettungsassistenten oder einem – höher qualifizierten – Notfallsanitäter besetzt sein; von 2021 an nur noch mit Notfallsanitätern.

Ob all das dazu beiträgt, dass weitergehende Forderungen von Kritikern gegenstandslos werden, werde man aufmerksam verfolgen, sagte Ulrich Goll, und gegebenenfalls „erneut tätig werden müssen“.

Rasant wachsende Kosten

Die Kosten des Rettungsdienstes haben sich innerhalb von zehn Jahren mehr als verdreifacht. Hatten sie – ausweislich einer Auskunft des Innenministeriums an den Landtag – 2003 noch 134 Millionen Euro betragen, waren es 2013 mehr als 420 Millionen. Pro Einwohner sind das umgerechnet 40 Euro.

Die Zahl der Einsätze steigt, in manchen Bezirken dramatisch. Im Rettungsdienstbereich Esslingen zum Beispiel von 2010 bis 2014 um 18 Prozent auf 24 500 Alarmierungen; in Heilbronn im gleichen Zeitraum um 26,7, in Stuttgart um 35,9 Prozent. Daran werde sich wohl auch nichts ändern; die Zahlen werden eher noch weiter zunehmen, erwarten die Planer. Der Grund: die Menschen werden immer älter und sind mehrfach krank. Dennoch wäre ein Teil der Notarzteinsätze nicht notwendig, weil auch ein Sanitäter ausreichend Hilfe leisten könnte. Die höhere Qualifikation der Notfallsanitäter soll dem entsprechen.