Wir Menschen haben unseren Planeten extrem verändert. Fachleute sehen deshalb ein neues Erdzeitalter angebrochen. Aber wie genau ist es festgelegt? Dazu gibt es jetzt einen konkreten Vorschlag.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Den Einfluss des Menschen auf seine Umwelt schätzen Forscher als so gewaltig ein, dass sie ein eigenes erdgeschichtliches Menschen-Zeitalter ausgerufen haben. Abgeleitet vom griechischen Wort „ánthropos“ (Mensch) prägte der Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen im Jahr 2022 den Begriff Anthropozän – das Erdzeitalter des Menschen.

 
Mögliche Referenzpunkte für das vom Menschen geprägte Erdzeitalter Anthropozän. Foto: A/FP

Was ist das Anthropozän?

Geologen haben nun als formellen Beginn des Zeitalters des Menschen ein Jahr um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts vorgeschlagen. Als Referenz für den Start des Anthropozäns soll eine Sedimentabfolge aus einem kleinen See in Kanada dienen, wie die dafür zuständige Expertengruppe, die Anthropocene Working Group (AWG), am Dienstag (11. Juli) bekannt gegeben hat. Konkret favorisieren die Forscher eine Sedimentlage aus dem Jahr 1950.

Die Probe vom Grund des Lake Crawford im Südosten Kanadas ist ein Bohrkern, der durch saisonale Ablagerungen auf dem Seeboden sichtbare Jahreslinien hat. Dadurch können Forscher relativ einfach feststellen, welcher Abschnitt der Probe in welches Jahr fällt. Bislang ist das Anthropozän aber noch nicht formal nach geologischen Maßstäben definiert.

Was kennzeichnet das Zeitalter des Menschen?

Ein untrügliches Zeichen für das neue Zeitalter ist die rapide Zunahme des Ausstoßes von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen, die die Erdatmosphäre aufheizen. Alles änderte sich, „als die Menschen die Technologie entwickelten, um gespeicherte Sonnenenergie in Form von Öl, Kohle und Gas aus dem Boden zu holen“, erläutert der britische Geologe Jan Zalasiewicz, der die Arbeitsgruppe zum Anthropozän von 2009 bis 2020 leitete.

Die Menschheit verbrauchte seit 1950 mehr Energie als in den vorangegangenen 12 000 Jahren. Diese Energie war Grundlage für ein exponentielles Bevölkerungswachstum und sie ermöglichte der Menschheit, die Welt in einer Weise zu beherrschen, wie es zuvor nicht möglich war.

In welchen Erdzeitalter leben wir?

Geologen teilen die Erdgeschichte in verschiedene Zeitalter ein. Demnach leben wir derzeit im Holozän, das vor knapp 12 000 Jahren begann. Da die Menschheit aber zuletzt die Erde – unter anderem durch den Ausstoß von Treibhausgasen und die Zerstörung von Ökosystemen – massiv verändert hat, sehen Experten verschiedener Fachrichtungen das Zeitalter des Menschen angebrochen.

Den Beginn des Menschenzeitalters machen die Experten an sogenannten Geomarkern in der Probe fest, allen voran radioaktiven Niederschlägen von Atomwaffen-Tests nach dem Zweiten Weltkrieg. Diese Plutonium-Isotope sind weltweit nachweisbar.

Warum soll das Jahr 1950 der Beginn des Anthropozäns sein?

Die AWG-Gruppe schlägt die Zeit um 1950 auch deshalb als Beginn des Anthropozäns vor, weil die weitreichenden Veränderungen dieser Zeit rund um den Globus Spuren in allen Sedimenten hinterlassen haben.

Der Beginn der Industrialisierung hingegen, auch ein denkbarer Start des Anthropozäns, ist in manchen Regionen kaum geologisch feststellbar, da sich diese Entwicklung zunächst auf bestimmte Teile der Welt wie die USA und Europa konzentrierte.

Was ist die größte Gefahr im Anthropozän?

Während die Welt der Tiere schrumpft, expandiert die der Menschheit. Die Zahl der Menschen hat sich seit 1960 auf 7,4 Milliarden verdoppelt. Das Sterben von Arten ist ein natürlicher Vorgang und das Schicksal jeder Population – höchstwahrscheinlich auch des „Homo sapiens“.

In den zurückliegenden Erdzeitaltern gab es fünf große Massensterben. Derzeit erlebe der Planet durch menschliches Einwirken seine sechste „Massenauslöschungsperiode“, warnt die US-Wissenschaftsjournalistin und Pulitzer-Preisträgerin Elizabeth Kolbert in ihrem 2014 erschienen Bestseller „The Sixth Extinction“ („Das sechste Sterben – Wie der Mensch Naturgeschichte schreibt“).

Warum riskiert die Menschheit ihren eigenen Kollaps?

Organismen tendierten dazu, erst einmal auszutesten, was die Umwelt so hergibt, erklärt der Biologie-Historiker Thomas Junker von der Universität Tübingen. „Maximale Vermehrung wird angestrebt.“ Dieser biologische Mechanismus sei auch im Menschen präsent – den möglichen Untergang der eigenen Art bedenke er ebenso wenig wie andere Lebewesen.

„Wir sehen solche Probleme nicht, es ist verrückt, wie stark sie ignoriert werden“, sagt Junker. Wir seien darauf programmiert, an unsere individuellen Interessen zu denken und nicht an die Zukunft der Menschheit. „So etwas wie einen Arterhaltungstrieb gibt es nicht.“