Südlich von Stuttgart erstreckt sich das größte zusammenhängende Streuobstwiesengebiet Europas. Doch die Kulturlandschaft ist in Gefahr.

Leben: Susanne Hamann (sur)

Herrenberg - Die Ernte läuft seit Wochen, und doch hängen viele Äste immer noch brechend voll. Zwetschgen, Äpfel, Birnen, Mirabellen, Quitten, wohin man sieht. Die Bäume an den Hängen über dem Herrenberger Teilort Mönchberg tragen dieses Jahr besonders reich. „Im Frühjahr hat es nicht in die Blüte hineingeregnet“, erklärt Klaus Maisch. „Daher konnten sich die Früchte besonders gut entwickeln.“ Der Schreinermeister setzt sich seit Jahren für den Erhalt der Streuobstwiesen ein. Wie viele andere Familien in der Gegend besitzen auch die Maischs ein paar „Stückle“ oder „Gütle“ – so nennt man landwirtschaftlich genutzte Wiesen oder Äcker auf Schwäbisch.

 

Zwischen Göppingen und Tübingen erstreckt sich eine der größten Streuobstlandschaften Europas. Sie wurde auf Anweisung der Landesfürsten gepflanzt. Eine praktische Maßnahme gegen Hungersnöte: Mit dem Obst konnten sich die Bürger über den Winter vitaminreich versorgen. Man nutzte Wiesen außerhalb der Dörfer, wo man sonst nichts anbauen konnte. Verstreut in der Landschaft, daher der Name.

Aus den Äpfeln, Birnen, Zwetschgen, Kirschen oder Quitten wurde Most, Mus, Kompott, Saft, Schnaps oder Marmelade. Heute haben die meisten Leute in der Gegend einen guten Job. Im Kreis Böblingen herrscht Vollbeschäftigung, viele „schaffen beim Daimler“ in Sindelfingen. Wer will sich da noch den Rücken krumm machen und Äpfel auf dem von der Oma geerbten Gütle einsammeln? Die Mühe lohnt sich kaum: Pro Doppelzentner erhält man bei den Obstannahmestellen zurzeit sieben bis acht Euro. Seit Jahren geht die Zahl der Bäume zurück. 1965 waren es nach Angaben des Landes Baden-Württemberg 18 Millionen Bäume. Bei der letzten Erhebung 2005 wurden nur noch 9,3 Millionen Bäume gezählt. „Zum Glück gibt es diesen Trend zur Nachhaltigkeit“, sagt Klaus Maisch. „Die jungen Leute finden es wieder gut, Saft von eigenen Bäumen zu trinken.“ Das schmeckt und ist gut fürs Gewissen.

Sortenreine Säfte aus besonderen Gewächsen

Der 53-Jährige kann es nicht mit ansehen, wenn das Obst auf den Wiesen verfault. Daher hat er vor zwei Jahren die alte Garage seines Elternhauses zu einer professionellen Mosterei umgebaut. Hier kann man Obst gegen Gebühr pressen lassen. Maisch verarbeitet auch kleine Mengen, ab 100 Kilo wirft er die Smart-große Einbandpresse an. Durch eine große Scheibe kann man von außen zusehen, wie die Früchte gewaschen, zerkleinert und gepresst werden. Noch kurz filtern und auf 78 Grad erhitzen – fertig ist der Saft. Abgefüllt wird das Ganze in 3-Liter-Beutel, die in einen Karton verpackt werden. Bag-in-Box heißt dieses Verfahren. „100 Kilo geben 60 bis 66 Liter Saft, also etwa 20 Beutel“, sagt Klaus Maisch. Durch das kurze Aufkochen bleibt der Saft lange haltbar.

Maisch macht auch sortenreine Säfte aus den besonderen Gewächsen seiner eigenen Wiesen. Der Birnbaum ist eine ganz alte Sorte und trägt den hübschen Namen „Gute Luise“. Der rotbackige Apfel ein paar Schritte hangaufwärts namens McIntosh stand einst Pate für das Apfel-Symbol der Computerfirma Apple. Wer hätte das gewusst? Dann gibt es da noch den Weirouge mit dem roten Fruchtfleisch. „Deckung!“ Mit einem langen Asthaken hangelt Maisch in die Baumkrone und schüttelt kräftig. Es regnet Äpfel nur so herunter. Viele fleißige Hände sorgen dafür, dass alles rasch aufgesammelt ist.

Die Streuobstwiese ist Lebensraum für gefährdete Tiere

Auch Ute Leyrer hilft mit. Sie ist auch eine Freundin der speziellen Kulturlandschaft rund um Herrenberg. Die 55-jährige Mathematikerin arbeitet als Streuobstwiesenpädagogin bei den Heckengäu-Naturführern. In dem eingetragenen Verein haben sich rund 40 Engagierte zusammengetan, um das Wissen über das Heckengäu weiterzugeben.

Ute Leyrer veranstaltet Führungen und versucht, die Leute für das Thema Streuobst zu sensibilisieren. „Wenn man die Wiesen nicht pflegt, vermoosen und verpilzen die Bäume und gehen irgendwann ein. Dann breiten sich Büsche und Wald aus“, sagt Ute Leyrer. Dann verliert nicht nur der Mensch eine Kulturlandschaft, durch die sich hübsch spazieren gehen lässt. Auch viele Tiere würden leiden: „Die Streuobstwiese ist Lebensraum für gefährdete Vogelarten wie Halsbandschnäpper, Grünspecht, Gartenrotschwanz oder Steinkauz“, sagt Ute Leyrer.

Zur Pflege gehört ein regelmäßiger Baumschnitt. Das Gras darunter will gemäht sein, das Obst muss man einsammeln. Um den Gütlesbesitzern die Arbeit schmackhaft zu machen, hat der Landkreis Böblingen schon 1998 die Marke „Landkreis Apfelsaft“ gegründet. „Die beteiligten Streuobstbauern erhalten für ihre Ernte einen höheren Preis als üblich, im Gegenzug verpflichten sie sich, ihre Wiesen zu pflegen und zu erhalten. Der Aufpreis wird über den etwas höheren Verkaufspreis des Saftes finanziert“, erklärt Siegfried Zenger vom Landratsamt. Dass dieser Saft sehr lecker ist, hat sich sogar bis nach Brüssel herumgesprochen: Dort wird er in der baden-württembergischen Landesvertretung ausgeschenkt.

Infos

Kontakt zu den Naturführern im Heckengäu kann man unter www.heckengaeu-naturfuehrer.de aufnehmen.Bezugsquellen für Apfelsaft aus dem Landkreis Böblingen unter www.heimat-nichts-schmeckt-naeher.de.Streuobstportal des Landes, www.streuobst-bw.info Der Naturschutzbund Nabu hat eine Übersicht über Lohnmostereien bzw. Obstannahmestellen zusammengestellt: www.nabu.de/natur-und-landschaft/landnutzung/streuobst/service-und-adressen/05812.html#frage1 Baden-Württemberg Tourismus, www.tourismus-bw.de Region Stuttgart Tourismus, www.stuttgart-tourist.de