Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Das alles ist nervig und versetzt uns jedes Mal einen Stich. Und dennoch ist das schlechte Gewissen eben weniger bombastisch, viel alltäglicher und niederschwelliger als die große Schuld. Nur deshalb kann es unter jeder Tür durchschlüpfen und sich zu uns aufs Sofa setzen. Einmal wider besseren Wissens nicht bewusst, gerecht und nachhaltig genug gelebt, schon fläzt es sich neben uns und ruft: „Weggegangen, Platz gefangen!“ Da sitzt es dann – und niemand außer wir selbst können es des Sofas verweisen. Genau das macht die Sache kompliziert. Die Absolution können nur wir selbst uns erteilen. Das ist der Preis der Mündigkeit einer Gesellschaft, in der bei vielen Menschen der liebe Gott neben anderen Instanzen nichts mehr zu melden hat. Herz und Hirn können einem das Leben offenbar dennoch gehörig beschweren.

 

Dabei haben Zweifel am eigenen Tun durchaus eine sinnvolle Funktion. „Hin und wieder ein schlechtes Gewissen zu haben, ist normal“, sagt die Psychologin Alexandra Rohe. „Würden wir es nicht haben, hätten wir kein Regulativ, das uns sagt, ob wir uns an Normen und Werte halten.“ Ein geglücktes gesellschaftliches Miteinander braucht also eine gewisse Portion schlechten Gewissens. Glücklich der, bei dem es sich noch regt. Denn das heißt: Er ist noch empfänglich für allgemein verbindliche Regeln und Mitmenschlichkeit.

Das eigene Gewissen ist so etwas wie ein innerer Kompass. Die Abstimmungen im Bundestag, bei denen sich die Abgeordneten nicht wie sonst meistens ihrer Partei, sondern einzig ihrem Gewissen verpflichtet fühlen, gelten deshalb als Sternstunden der Demokratie. Bei Fragen des Lebens, etwa der Sterbehilfe und jüngst bei der Ehe für alle, geht es um Grundüberzeugungen, die tief im einzelnen verankert sind. Es geht bei diesen Abstimmungen um das, was man guten Gewissens verantworten kann.

Selbstquälerische Gedanken

Für gutes und schlechtes Gewissen gilt gleichermaßen: Entscheidend dafür, wann und in welchem Ausmaß es sich regt, sind die Normen und Werte des einzelnen. Sie sind eine Mixtur aus den Prägungen, die wir durch unsere Familie, deren kulturellen Hintergrund, Moral und Religion erfahren. „Die hohen Ansprüche, die wir an uns selbst anlegen, bekommen wir durch unsere Erziehung mit“, sagt Rohe.

Im Alltag gilt es dann für den einzelnen abzuwägen: Gibt es wirklich einen realen Grund, ein schlechtes Gewissen zu haben oder nicht? Stellt man jemanden etwa durch eine unüberlegte Bemerkung bloß, ist das eine verbale Grenzüberschreitung, für die man sich entschuldigen sollte. So schafft man sofort den Anlass für selbstquälerische Gedanken aus der Welt. Behandlungsbedürftig ist ein schlechtes Gewissen nach Überzeugung Rohes nur, wenn Menschen extrem darunter leiden. Doch dann, so die Expertin, ist es meist Begleiterscheinung einer Depression.

Das alles ist nervig und versetzt uns jedes Mal einen Stich. Und dennoch ist das schlechte Gewissen eben weniger bombastisch, viel alltäglicher und niederschwelliger als die große Schuld. Nur deshalb kann es unter jeder Tür durchschlüpfen und sich zu uns aufs Sofa setzen. Einmal wider besseren Wissens nicht bewusst, gerecht und nachhaltig genug gelebt, schon fläzt es sich neben uns und ruft: „Weggegangen, Platz gefangen!“ Da sitzt es dann – und niemand außer wir selbst können es des Sofas verweisen. Genau das macht die Sache kompliziert. Die Absolution können nur wir selbst uns erteilen. Das ist der Preis der Mündigkeit einer Gesellschaft, in der bei vielen Menschen der liebe Gott neben anderen Instanzen nichts mehr zu melden hat. Herz und Hirn können einem das Leben offenbar dennoch gehörig beschweren.

Dabei haben Zweifel am eigenen Tun durchaus eine sinnvolle Funktion. „Hin und wieder ein schlechtes Gewissen zu haben, ist normal“, sagt die Psychologin Alexandra Rohe. „Würden wir es nicht haben, hätten wir kein Regulativ, das uns sagt, ob wir uns an Normen und Werte halten.“ Ein geglücktes gesellschaftliches Miteinander braucht also eine gewisse Portion schlechten Gewissens. Glücklich der, bei dem es sich noch regt. Denn das heißt: Er ist noch empfänglich für allgemein verbindliche Regeln und Mitmenschlichkeit.

Das eigene Gewissen ist so etwas wie ein innerer Kompass. Die Abstimmungen im Bundestag, bei denen sich die Abgeordneten nicht wie sonst meistens ihrer Partei, sondern einzig ihrem Gewissen verpflichtet fühlen, gelten deshalb als Sternstunden der Demokratie. Bei Fragen des Lebens, etwa der Sterbehilfe und jüngst bei der Ehe für alle, geht es um Grundüberzeugungen, die tief im einzelnen verankert sind. Es geht bei diesen Abstimmungen um das, was man guten Gewissens verantworten kann.

Selbstquälerische Gedanken

Für gutes und schlechtes Gewissen gilt gleichermaßen: Entscheidend dafür, wann und in welchem Ausmaß es sich regt, sind die Normen und Werte des einzelnen. Sie sind eine Mixtur aus den Prägungen, die wir durch unsere Familie, deren kulturellen Hintergrund, Moral und Religion erfahren. „Die hohen Ansprüche, die wir an uns selbst anlegen, bekommen wir durch unsere Erziehung mit“, sagt Rohe.

Im Alltag gilt es dann für den einzelnen abzuwägen: Gibt es wirklich einen realen Grund, ein schlechtes Gewissen zu haben oder nicht? Stellt man jemanden etwa durch eine unüberlegte Bemerkung bloß, ist das eine verbale Grenzüberschreitung, für die man sich entschuldigen sollte. So schafft man sofort den Anlass für selbstquälerische Gedanken aus der Welt. Behandlungsbedürftig ist ein schlechtes Gewissen nach Überzeugung Rohes nur, wenn Menschen extrem darunter leiden. Doch dann, so die Expertin, ist es meist Begleiterscheinung einer Depression.

Aber auch jenseits dessen kann ein schlechtes Gewissen für Außenstehende zu absurden Szenen führen. Da berichtet ein Frühsportler von der morgendlichen Begegnung mit einem Mann, der einen Fahrplanauszug in der Hand trägt, auf dem Weg zu einem Vorstellungsgespräch ist – und sich eine Viertelstunde vor dem Termin hoffnungslos verlaufen hat. Nein, er habe kein Geld für ein Taxi, sagt der Bewerber. Er wird den Termin schmeißen. Der Frühsportler ärgert sich, dass er den Mann jetzt nicht schnell mit dem eigenen Auto zu dessen Vorstellungsgespräch fahren kann oder ihm wenigstens einen Zehneuroschein für ein Lastminute-Taxi zuschieben kann. Doch das eigene Auto steht weit entfernt in der Garage, und der Geldbeutel liegt zu Hause auf dem Küchentisch. Den ganzen Tag über wird den Frühsportler der Gedanke nicht loslassen, dass der Bewerber nun die Chance auf den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt verpasst hat. Abgebrühtere Naturen würden sagen: „Hätte der sich eben mal früher um den Weg gekümmert.“

Wer anderen hilft, so oft die Hoffnung hinter dem Gefühl, dem wird auch geholfen, wenn er selbst einmal Unterstützung braucht. Das schlechte Gewissen ist der Versuch, vorzubauen für die Zukunft. Wenn man schon nicht anders handeln kann oder will, zeigt man in Form des schlechten Gewissen doch wenigstens Reue. Als Grund dafür, dass er sich bei der Polizei offenbar als erster gestellt hat, gibt der G 20-Steinewerfer Kevin laut „Bild-Zeitung“ sein schlechtes Gewissen an. Auch wenn es wohl nur gut erfunden ist, gibt es eine kollektive Erwartungshaltung wieder. Wenigstens hat der Steinewerfer jetzt ein schlechtes Gewissen, denkt man.

Kategorie des politischen Handelns

Man kann das schlechte Gewissen aber auch mehr oder weniger gezielt zur Kategorie des politischen Handelns machen. Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel erklärt, er verspüre kein schlechtes Gewissen, als er sich gegen den erklärten Willen des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu mit Vertretern von Nicht-Regierungsorganisationen trifft. Der Regisseur Christian Schwochow sagt in einem Radiointerview anlässlich seiner Berliner Beckett-Inszenierung von „Glückliche Tage“ am Deutschen Theater, dass man ja fast ein schlechtes Gewissen haben müsse, wenn man heute ein glückliches Leben führe. Jörg Ziercke, der ehemalige Chef des Bundeskriminalamtes bekennt bei einer Veranstaltung zum Thema Terrorismus und den Morden der RAF, dass er ein schlechtes Gewissen habe, dass man Angehörigen der Opfer nicht mehr zu den Tätern habe sagen können. Ein so privates Bekenntnis nimmt den Gegnern den Wind aus den Segeln.

Eine Aufforderung, miteinander zu reden

Was aber tut man, wenn man ehrlich leidet? „Man muss seine Situation bewerten, sich überlegen, was man wirklich ändern kann, wo man die Prioritäten im Leben setzt“, empfiehlt die Psychologin Alexandra Rohe. Auf eine kurze Formel gebracht heißt das: „Ich übernehme Verantwortung. Dann habe ich zwei Möglichkeiten. Ich akzeptiere die Situation oder ich mache in Zukunft etwas anders.“ Vor allem aber sei das schlechte Gewissen die Aufforderung, miteinander zu reden und zu besprechen, was man gegenseitig voneinander erwarte.

Eines aber steht für Rohe über allen Entscheidungen: „Wenn ich immer allen helfen möchte, helfe ich mir selbst am wenigsten.“ Das könnte für alle Gewissensgeplagten ein in die Zukunft weisender Ansatz sein. Dann ist der Platz auf dem Sofa irgendwann wieder frei für die wirklich willkommenen Besucher.