Nach der letzten Arbeitswoche des Europaparlaments in Straßburg gehen einige politische Karrieren zu Ende und der Blick vieler Abgeordneter richtet sich bang auf die Europawahl im Juni.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Die Stimmung erinnert an eine Abi-Abschlussfahrt. Ungewöhnlich aufgekratzt eilen die Europaabgeordneten durch die endlosen Gänge des Parlamentsgebäudes in Straßburg. Es ist die letzte Arbeitswoche des Europaparlaments vor der Europawahl im Juni. Am Montag geht es für die meisten Politiker in den Wahlkampf. Das bedeutet Reden halten auf Marktplätzen, Flugblätter verteilen und sich gelegentlich auch von Passanten beschimpfen lassen.

 

Der Beginn eines neuen Lebens

Für andere beginnt ein neues Leben. Ein älterer Mann im feinen Zwirn steht an einer der großen Glasfassaden und blickt versonnen auf die trüben Wasser des Kanals vor dem Europagebäude. „Er werde diesen Ausblick in Zukunft wohl nicht mehr genießen können“, erzählt er unaufgefordert und erklärt, dass er auf der Wahlliste seiner Partei ziemlich rüde nach hinten „durchgereicht“ worden sei. An seiner Statt wird bei der Europawahl nun wahrscheinlich eine jüngere Frau ins Parlament einziehen.

Andere versuchen, ihrer Frustration auf andere Weise Luft zu machen. Einer von ihnen ist der slowakische Abgeordnete Miroslav Radačovský, der im extrem rechten Spektrum der politischen Landschaft einzuordnen ist. Am Ende der letzten und sehr kurzen Rede seiner Politikerkarriere im Parlament zieht er plötzlich eine lebende, weiße Taube aus seiner Bauchtasche und lässt sie fliegen. Er wünsche sich Frieden, sagt er und spricht damit sicherlich allen Parlamentariern aus dem Herzen. Nur meint Miroslav Radačovský damit wohl eher, dass sich Europa der imperialen Knute Russlands unterordnen solle. Nur wenige der Parlamentarier werden dem Slowaken eine Träne nachweinen.

Abschied eines grünen Front-Mannes

Für einige Aufregung im Parlament sorgte am Ende auch der Abgang des Grünen-Politikers Reinhard Bütikofer. Nach 15 Jahren im Europaparlament tritt der 71-Jährige nicht mehr zur Wahl an. Verabschiedet wurde er nach der allerletzten Rede im weiten Halbrund des Plenarsaals von seiner Fraktion mit stehenden Ovationen, bis der leitende Parlamentspräsident einschreiten und mit Nachdruck um Ruhe bitten musste.

Zum ersten Mal seit vielen Jahren wird Bütikofer also nicht in den Wahlkampf ziehen und vielleicht ist er gar nicht so unglücklich darüber, denn den Grünen droht ein fürchterlicher Absturz. Mit 21 Abgeordneten ist die deutsche Öko-Partei im Moment im Parlament vertreten, doch diese Zahl der Sitze könnte sich im allerschlimmsten Fall fast halbieren. Allerdings ist die Stimmung bei den Grünen alles andere als verzweifelt. Sie sind zutiefst überzeugt, in ihrem Kampf gegen den Klimawandel und für mehr Umweltschutz den richtigen Weg eingeschlagen zu haben.

Das Dilemma der Grünen im EU-Parlament

Mehr Sorgen bereitet ihnen, dass Ursula von der Leyen keine zweite Amtszeit als EU-Kommissionschefin bekommen könnte. Das ist auf den ersten Blick erstaunlich, aber die CDU-Politikerin hatte zur großen Freude der Grünen bei ihrem Amtsantritt vor fünf Jahren den Umbau Europas zu einem klimaneutralen Kontinent zu ihrem „Herzensprojekt“ erkoren. Doch der sogenannte Green Deal hatte selbst in ihrer eigenen konservativen Parteifamilie am Ende sehr viele Gegner.

Nun ist Ursula von der Leyen zwar Spitzenkandidatin der Konservativen bei der Europawahl und damit erste Anwärterin auf den Chefposten bei der Kommission, doch im Hintergrund wetzen ihre Gegner selbst im eigenen politischen Lager bereits die Messer. So sind etwa die Forderung in den Reihen der CDU/CSU nach dem geplanten Verbrenner-Aus im Jahr 2035 wesentlich lauter als die Lobpreisungen der eigenen Spitzenkandidatin für ihre Arbeit der vergangenen fünf Jahre.

„Thank you very much“

In der letzten Parlamentssitzung bedankte sich Parlamentspräsidentin Roberta Metsola ganz unfeierlich mit einem schlichten „Thank you very much“. Damit war die Legislaturperiode für die 705 Abgeordneten beendet. Fünf Jahre, die geprägt waren von einer Pandemie, einem Krieg in Europa, einem großen Korruptionsskandal und der Gewissheit, dass es vielleicht noch nie so wichtig war, die Demokratie zu verteidigen – egal, ob die Feinde der Demokratie mit Panzern in der Ukraine stehen, den europäischen Markt mit Dumpingprodukten fluten oder direkt in den Parlamenten Europas sitzen.