EU-Politiker Manfred Weber Der unterschätzte Kandidat aus Bayern

Er reißt die Bürger nicht gerade vom Hocker, und selbst in Deutschland kann nur jeder Vierte mit seinem Namen etwas anfangen: Dennoch hat Manfred Weber gute Chancen, das wichtigste Amt der EU zu erobern. Wie tickt der Politiker aus Bayern?
Brüssel - Er war nie Ministerpräsident, nicht einmal Minister. Er reißt die Bürger nicht gerade vom Hocker, und selbst in Deutschland kann nur jeder Vierte mit seinem Namen etwas anfangen. Und doch hat der Niederbayer gute Chancen, das wichtigste Amt zu erobern, das die EU zu vergeben hat. Manfred Weber, der Spitzenkandidat der größten Parteienfamilie im Europaparlament, will nach der Wahl Ende Mai die Nachfolge von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker antreten.
„Manfred wer?“ heißt es in diesen Tagen häufig mit einer Spur Häme in Brüssel. Und es laufen im EU-Betrieb mehr Wetten gegen als für ihn. Wer ist der 46-jährige bekennende Katholik von der CSU, der mit 31 den Landtag in München mit dem Europaparlament getauscht hat, der es wiederholt abgelehnt hat, Minister im Land zu werden und der sich in seiner zurückhaltenden Art so angenehm von den Lautsprechern seiner Altersgruppe in der bayerischen Regionalpartei abhebt?
Der Mann kann schon einmal zuhören. Für einen Politiker ist das keine Selbstverständlichkeit. Wenn Weber etwa ein Krankenhaus im ostbelgischen Eupen besucht und mit den Krankenschwestern spricht, dann rauscht er nicht herein, schüttelt ein paar Hände und fährt wieder ab. Er hört den Menschen zu, nimmt dabei in Kauf, dass er beim Treffen mit den Lokaljournalisten zu spät kommt.
Weber hält den Laden zusammen
Weber – verheiratet, kinderlos, studierter Wirtschaftsingenieur – führt seit 2014 die mit 218 Köpfen aus 28 Mitgliedsländern größte Fraktion im Europaparlament. Unangefochten macht er das. Nicht etwa, weil er im Parlament die Rolle eines Volkstribuns gäbe, sondern eher, weil er den Laden gut zusammenhält. Er führt Positionen aus beachtlich großen politischen Spektren der Christdemokraten zusammen, die von denen der marktwirtschaftlich orientierten Finnen bis hin zu denen der erzkonservativen Griechen reichen. Und er hat in den vergangenen fünf Jahren nicht zu kräftig auf seine politischen Gegner von Liberalen, Grünen und Sozialdemokraten eingedroschen.
Deren Unterstützung muss Weber nämlich nach der Wahl binnen weniger Tage organisieren. Andernfalls kann er seine Chancen auf den Chefposten der Kommission abschreiben. Weber, der mit seinen Christdemokraten wohl wieder stärkste Fraktion wird und so 180 Sitze erobern dürfte, ist auf sie angewiesen. Er benötigt Stimmen von den anderen drei proeuropäischen Gruppen. Allein die Stimmen der Sozialdemokraten – sie kommen womöglich auf 140 – dürften dafür nicht ausreichen. Die Mehrheit der Abgeordneten liegt bei 376 Stimmen.
Dabei bezieht Weber durchaus Position. Anders als vor der Europawahl 2014, als sich die Spitzenkandidaten von Christdemokraten und Sozialdemokraten, der Luxemburger Jean-Claude Juncker und der Deutsche Martin Schulz, in der Sache weitgehend einig waren, grenzt sich Weber ab. Die Grünen kritisiert er, weil sie gegen Ceta, TTIP und Jefta sind – er setzt sich hingegen offensiv für diese Freihandelsabkommen ein. Damit sei der exportorientierten deutschen Wirtschaft am ehesten gedient. Zu den Sozialdemokraten bezieht er mit der Ansage Position, als Chef der nächsten Kommission werde er den Beitrittsprozess der Türkei zur EU nicht nur aussetzen, sondern abbrechen. Und von den Liberalen trennt ihn der Umgang mit Verbrecherdateien. Er ist vehement für den Datenaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden der Mitgliedsländer: „Datenschutz darf nicht Täterschutz werden.“
Emmanuel Macron will Weber verhindern
Weber hat lange gezögert, bevor er seinen Hut in den Ring geworfen hat. Er weiß um das Risiko. Seine Kandidatur ist kein Selbstläufer. Juncker hatte 2014 bessere Chancen. Sozialdemokraten und Christdemokraten hatten da noch eine eigene Mehrheit. Wenn nach Schließung der letzten Wahllokale in der EU ausgezählt wird, ist schon jetzt klar, dass ihre Mehrheit dahin ist. Außerdem hatte Juncker 2014 vor der Wahl einen Deal mit Schulz, dass der ihn unterstützen würde.
Hinzu kommt, dass sich in der zweiten Kammer, dem Europäischen Rat, also bei den 28 Staats- und Regierungschefs, massiver Widerstand gegen Weber aufbaut. Parlament und Rat sind bei der Besetzung des Kommissionspräsidenten aufeinander angewiesen. Die „Chefs“ müssen dem Parlament einen Kandidaten vorschlagen, und im Parlament muss er dann gewählt werden. Doch Emmanuel Macron, der französische Präsident, schmiedet mit Ministerpräsidenten aus der liberalen Parteienfamilie, Belgiens Jean Michel, Luxemburgs Xavier Bettel und Niederlandes Mark Rutte, gerade eine Allianz gegen Weber. Neulich beim Gipfel in Sibiu sagte Macron in der Pressekonferenz zunächst auf Französisch, dass er nichts vom Spitzenkandidatenmodell hält. Und dann noch einmal, um seinen Willen zu bekräftigen, das Gleiche auf Englisch. Weber weiß: Am Ende müssen 16 von 28 EU-Ländern ihn im Rat unterstützen. Nachdem Ungarns Viktor Orbán jetzt angekündigt hat, mit Weber zu brechen, sind ihm nur noch die Stimmen von acht Chefs sicher, die aus christdemokratischen Parteien kommen.
Weber kann auch knallhart sein
Weber tritt freundlich auf. Man sollte sich hüten, dies mit Weichheit zu verwechseln. Als er etwa 2014 Fraktionschef wurde, hat er knallhart das Personal ausgetauscht. Und jetzt, da es enger wird im Rennen um die Juncker-Nachfolge, scheut er sich nicht, auf seine Machtbasis hinzuweisen. So warnte er seine Gegner unter den Regierungschefs jetzt davor, eine Verfassungskrise in der EU anzuzetteln. Dies ist der Hinweis darauf, dass seine Truppen in der EVP-Fraktion keinen Kandidaten wählen, der ihnen vom Rat vorgesetzt werde. Seit Weber angetreten ist, hört man die Frage: „Kann der das überhaupt?“ Mit Alphatieren vom Kaliber US-Präsident Donald Trumps verhandeln? Die Kommission mit 32 000 Beamten führen? Sich abstimmen mit den selbstbewussten Staats- und Regierungschefs? Weber hält mit dem Hinweis auf die Lage in jedem Mitgliedstaat dagegen: Da sei es doch eine Selbstverständlichkeit, dass der Chef der größten Fraktion im Parlament nach dem Job des Regierungschefs greife. Das zeigt: Zum einen stützt sich Weber auf einen urdemokratischen Machtanspruch. Zum anderen hat der Mann ein ordentliches Selbstbewusstsein. Es wäre ein Fehler, seine Chancen schon jetzt abzuschreiben.
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