Die Zeit drängt, und doch haben sich Europas Finanzminister wieder nicht auf neue Hilfen geeinigt. Das liegt auch an widersprüchlichen Vorgaben aus Berlin: Griechenland soll im Euroraum bleiben – aber es darf nichts zusätzlich kosten

Brüssel - Wortlos verließ der griechische Finanzminister Yannis Stournaras um fünf Uhr morgens das Brüsseler Ratsgebäude. Sein Ärger darüber, dass die zwölfstündige Sondersitzung der Euro-Finanzminister nicht die Auszahlung der dringend benötigten Hilfsmilliarden gebracht hatte, war ihm anzusehen. Ein griechischer EU-Diplomat hielt sich dagegen nicht zurück: „Diese Verschiebung ist doch verrückt: Wir haben ein Land am Rande der sozialen Explosion und Märkte, die wieder fragen werden, ob Europa fähig ist, seine internen Probleme zu lösen.“

 

Der Chef der Eurogruppe, Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker, dagegen sprach lediglich von einer „Sitzungsunterbrechung“ und „technischer Arbeit“, die bis zur nächsten Sondersitzung am kommenden Montag noch zu leisten sei. „Wir sind nah an einem Ergebnis, es gibt keinen größeren Stolperstein.“

Die SMS aus dem Verhandlungssaal: „Viel ratloses Warten“

Dokumente und Aussagen von EU-Diplomaten legen dagegen nahe, dass die inhaltlichen Differenzen keineswegs ausgeräumt sind. „Viel ratloses Warten“, lautete am frühen Morgen der Inhalt einer SMS aus dem Verhandlungssaal.

Immer wieder zogen sich die Minister und ihre Experten in kleinen Gruppen zum Rechnen zurück. Es sind vor allem zwei Zahlen, die für das Dilemma stehen: Da sind die 33,6 Milliarden Euro an Mehrkosten für das zweite Hilfsprogramm, wenn es wie jetzt vereinbart bis 2016 und damit zwei Jahre länger laufen soll. Vor allem aber ist da die Zielmarke von 120 Prozent, die Athens Schuldenberg im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung einmal erreichen soll. An diesen als gerade noch verkraftbar angesehenen Wert knüpft der Internationale Währungsfonds (IWF) seine Beteiligung an der gesamten Rettungsaktion. Der Wert ist aber nicht mehr zu halten, wie aus einem Arbeitspapier der Eurogruppe hervorgeht, das der Stuttgarter Zeitung vorliegt. Die Finanzexperten-Troika von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und IWF hat veranschlagt, dass Athens Schuldenberg ohne entsprechende Maßnahmen 2020 bei 144 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen wird.

Die Mitgliedstaaten setzen rote Linien

Griechenlands Schuldenlast über einen Mix verschiedener Maßnahmen zu reduzieren – darum ging es in dem Brüsseler Sitzungsmarathon. Massiv erschwert wurde das durch politische Vorgaben, die (noch) nicht miteinander in Einklang zu bringen waren. Zu diesen „roten Linien, die die Mitgliedstaaten gesetzt haben“, wie es in dem Papier heißt, gehört, dass es „keinen Schuldenschnitt“ und „kein frisches Geld für die Programmfinanzierung“ geben darf.

Gepaart mit dem Willen, eine Staatspleite Griechenlands am Monatsende und sein Ausscheiden aus dem Euroraum zu verhindern, war dies das Rezept für das vorläufige Scheitern. Denn in dem Arbeitspapier heißt es zu den verbliebenen Handlungsmöglichkeiten klipp und klar: „Das Paket wird es nicht möglich machen, bei einer Gesamtschuldenquote nahe 120 Prozent anzukommen.“

Zu den „kostenlosen“ Möglichkeiten gehört ein etwas höherer Haushaltsüberschuss, den die griechische Regierung zum Ende der Laufzeit erzielen müsste. Gedacht ist an fünf statt vier Prozent – was jedoch der Währungsfonds angesichts schon mehrfach unterbotener Wirtschaftsprognosen schlicht für „unrealistisch“ hält.

Eine Stundung wird ebenso diskutiert wie längere Laufzeiten

Lediglich einen Verzicht auf Zinsgewinne stellt die Verringerung der Zinsen und Gebühren für die Griechenland bisher schon bilateral gewährten Kredite dar. Eine Reduzierung auf 0,25 Prozentpunkte oberhalb dem Referenzwert Deutschlands als angesehensten Schuldner würde den Schuldenberg immerhin um 5,1 Prozentpunkte kleiner werden lassen. Allerdings käme dies bei einigen Euroländern einem realen Verlust gleich, da sie sich zu deutlich höheren Kosten an den Kapitalmärkten refinanzieren als die Bundesrepublik. Eine Stundung wird genauso diskutiert wie eine Verlängerung der Laufzeiten um zehn Jahre, was nicht den Schuldenberg reduzieren, aber doch das aktuelle Loch etwas kleiner machen würde.

Auf jeden Fall Teil des Pakets soll ein Schuldenrückkaufprogramm sein. Da Griechenlands Schuldscheine derzeit deutlich unter dem Nominalwert gehandelt werden, könnten mit zehn Milliarden Euro Papiere mit einem Rückzahlwert von 20 bis 25 Milliarden Euro vom Markt genommen werden. Kanzlerin Merkel hat sich schon bereit erklärt, Griechenland dieses Geld aus dem Euro-Rettungsschirm zukommen zu lassen.

Ähnlich liefe ein Modell über die Europäische Zentralbank: Sie hat viele hellenische Bonds zu einem geringeren als dem Ausgabewert gekauft. Bedient Athen diese Schulden, machen Europas Notenbanken einen Gewinn, den die Euroländer dann an Griechenland zurückreichen könnten.

IWF-Chefin Lagarde beharrt auf ihrer Position

Doch selbst wenn alle schon in sich umstrittenen Maßnahmen umgesetzt würden, könnte bestenfalls ein Schuldenstand von 126 Prozent der Wirtschaftsleistung 2020 erreicht werden, wie aus dem Papier hervorgeht. 2022 ginge es den Berechnungen der Eurogruppe zufolge, weshalb sie nun die Landezone zeitlich um zwei Jahre nach hinten verlegen will. IWF-Chefin Christine Lagarde beharrt dagegen darauf, dass „die griechische Schuldentragfähigkeit im Jahr 2020 gemessen werden muss“.

Soll ihre Organisation dabei bleiben, muss Athen die 120 Prozent erreichen, was aus IWF-Sicht ohne „Haircut“ nicht funktioniert – sind doch die Eurostaaten die mit Abstand größten Gläubiger Griechenlands. Um die Schulden bis 2020 so weit zu reduzieren, „muss man auf Maßnahmen zurückgreifen, die einen Kapitalverlust oder Auswirkungen auf die Haushalte der Mitgliedstaaten mit sich bringen“, wissen auch die Autoren des Eurogruppen-Dokuments, doch „scheint das politisch nicht machbar zu sein“.