Forscher der Universität Stuttgart haben entdeckt, wie sich die RNA, eine Verwandte der Erbsubstanz DNA, vervielfältigen kann.

Wie entstand das Leben auf der Erde? Was passierte in der Zeit vor mehr als vier Milliarden Jahren, also bevor die biologische Evolution begann und Lebewesen sich durch natürliche Auslese weiterentwickelten? Diese Fragen sind in der Wissenschaft noch ungeklärt. Nun haben Forscher der Universität Stuttgart einen Hinweis geliefert, wie sich das Leben entwickelt haben könnte - aus Ribonukleinsäure, einer Verwandten der Erbsubstanz DNA, die im Fachjargon mit RNA abgekürzt wird.

 

In ihrer Studie, die in der Fachzeitschrift "Nature Chemistry" veröffentlicht wurde, zeigten sie, dass die RNA-Moleküle einen Mechanismus beherrschen, der für die Weitergabe von genetischen Informationen essenziell ist: Sie kann sich ohne Hilfe weiterer Moleküle selbst kopieren.

Eigentlich hatten sich Clemens Richert und seine Kollegen eine andere Aufgabe gestellt: Sie wollten genetisches Material vervielfältigen und dabei ohne die Substanzen auskommen, die dies normalerweise im menschlichen Körper bewerkstelligen - die Enzyme. Diese Substanzen sind in der Biotechnologie teuer. In früheren Experimenten ist die RNA, die einen langen Strang bildet wie die DNA, stets zerfallen. Richerts Team tauschte jedoch immer wieder die Lösung aus, in der sich die Bausteine für den RNA-Strang befanden. Das genügte, um die RNA-Kopien vor dem raschen Zerfall zu bewahren.

"Einfache Lebensformen im Weltall könnte es geben."

Erst später erkannten sie, dass ihr Verfahren auch zu einer Theorie zur Entstehung des Lebens passt: der Theorie der RNA-Welt. Nach dieser Theorie waren die RNA-Moleküle die universellen Bausteine für das Leben. Sie speicherten Informationen und konnten diese, indem sie sich vervielfältigten, über Generationen weitergeben. Später entwickelten sich daraus die heutigen DNA-Stränge und die Enzyme, die in der Genetik eine wichtige Rolle spielen. Für Richert gibt diese Theorie eine Antwort auf eine alte Frage der sogenannten präbiotischen Chemie, also der Fachrichtung, die sich mit der Zeit vor der biologischen Evolution befasst: Was war zuerst da - die DNA oder die Enzyme, die sie vervielfältigen? "Die Lösung für das Problem ist, dass es zuerst RNA gab", sagt Richert.

Auch Henry Strasdeit von der Universität Hohenheim hält die RNA-Welt-Theorie für plausibel und findet, dass die Erkenntnisse der Stuttgarter Forscher die Theorie stützen. Doch die Forschung auf diesem Gebiet sei generell schwierig. "Aus der Zeit vor mehr als vier Milliarden Jahren ist nichts erhalten geblieben", sagt Strasdeit. "Alles ist geschmolzen." So habe man keine Gesteine oder Fossilien aus dieser Zeit.

In der Entwicklung von Leben gab es laut Strasdeit einen schleichenden Übergang zur biologischen Evolution. "Systeme aus RNA hätte man auch schon als Lebewesen bezeichnen können", sagt er. Aber die Frage, was zum Leben zähle und was nicht, hält er nicht für entscheidend. Selbst heute gebe es Zweifelsfälle, was als Lebewesen definiert werden könne: Viren haben beispielsweise keinen eigenen Stoffwechsel, verbreiten ihr Erbgut aber trotzdem.

Die wissenschaftliche Konkurrenz zur RNA-Welt-Theorie, die sogenannte Theorie der Ursuppe, hält Strasdeit für überholt. Dieser Theorie zufolge entwickelte sich das Leben aus einem Gemisch aller möglichen Biomoleküle. Für Strasdeit ist klar: die Entstehung des Lebens war ein chemischer Prozess. Doch es gibt Fachkollegen, die andere Ansätze verfolgen. Bis man wisse, woher das Leben komme, müsse daher noch viel geforscht werden, sagt Strasdeit. Da er die Anfänge des Lebens im Bereich der Chemie und nicht der Biologie sieht, hält er es nicht für unmöglich, dass es auch Leben auf anderen Himmelskörpern gibt. Außerirdisches Leben? "Einfache Lebensformen im Weltall könnte es geben."