Horst Köhler wird 70 – und die Nation wartet immer noch auf eine Erklärung, warum er vor knapp zwei Jahren zurücktrat.

Politik/Baden-Württemberg: Rainer Pörtner (pö)

Stuttgart - Ein Rücktritt sei „das Einzige, was dem Land dient“. Mit dieser Erklärung verabschiedete sich Horst Köhler am 31. Mai 2010 von seinen Mitarbeitern im Bundespräsidialamt. Wenige Minuten vorher hatte er in ähnlich dürren Worten öffentlich seine Demission als deutsches Staatsoberhaupt verkündet. Von unberechtigter Kritik an seinen umstrittenen Äußerungen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr hatte er dabei gesprochen – von einer Kritik, die „den notwendigen Respekt“ für das Amt des Bundespräsidenten vermissen lasse.

 

Den engsten Mitarbeitern Köhlers ging es an diesem Tag nicht anders als der gesamten deutschen Nation. Der Rücktritt kam völlig überraschend, seine wahren Gründe blieben rätselhaft – und ließen deshalb ein Vakuum entstehen, in das sich wüste Spekulationen ergossen. War Köhler depressiv, wie sein späterer Nachfolger Joachim Gauck damals orakelte? War er einer Intrige von Kanzlerin Angela Merkel zum Opfer gefallen, die ihn 2004 gemeinsam mit dem damaligen FDP-Chef Guido Westerwelle ins Amt gehievt hatte? Oder war der international anerkannte Finanzmann in Wahrheit gegangen, weil er die milliardenteuren Rettungspakete für den Euro nicht mittragen wollte? Es waren wenig überzeugende, teilweise absurde Spekulationen. Aber sie leben bis heute fort, weil Köhler auch nach seinem Abschied aus Schloss Bellevue keine eigene, überzeugende Interpretation anbot.

Ein Nicht-Politiker im höchsten politischen Amt

In das Amt gedrängt hatte Köhler nie, er war von politisch interessierter Seite ausgesucht worden. Schon dadurch unterschied er sich von manchem seiner Vorgänger. Er war auch der erste Präsident, der nicht in Deutschland geboren war – seine Eltern stammten aus Bessarabien, er selbst kam im heute polnischen Skierbieszow zur Welt. Er war der erste Bundespräsident, der reichhaltige internationale Erfahrung mitbrachte – immerhin hatte er vorher als Bankchef in London und als Direktor des Internationalen Währungsfonds in Washington gearbeitet. Und er war der erste Nicht-Politiker im Schloss Bellevue – ein Mann zwar, der als exzellenter Spitzenbeamter über Jahrzehnte in allernächster Nähe von Politikern wie Gerhard Stoltenberg, Theo Waigel und Helmut Kohl gewirkt hatte, dem aber dennoch das politische Leben mit seinen persönlichen Verletzungen, der Dominanz von Macht- über Sachinteressen und seiner auf populistische Effekte angelegten Rhetorik fremd blieb.

Sein nach außen höfliches, manchmal sogar schüchtern wirkendes Auftreten machte ihn zeitweise zum beliebtesten Politiker der Bundesrepublik. Er wollte – darauf legte er Wert – kein „Antipolitiker“ sein. Aber die Schwerhörigkeit der Politiker in Berlin gegenüber Volkes Stimme, so wie er sie wahrnahm, ärgerte ihn zunehmend. Erst recht die Gleichgültigkeit der politischen Klasse ihm gegenüber.

Köhler berät die UN

Nach seiner Demission hat sich Köhler öffentlich rar gemacht. Einige Reden hier und da, viel mehr war da nicht. Im Herbst vorigen Jahres berief ihn UN-Generalsekretär Ban Ki-moon in ein hochrangig besetztes Beratergremium, das neue Wachstums- und Entwicklungsziele für die Weltgemeinschaft ausarbeiten soll. Es ist eine Umgebung, in der sich Köhler auch als Bundespräsident am wohlsten fühlte. An diesem Freitag feiert der neunte Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland seinen 70. Geburtstag. Es heißt, er schreibe seit geraumer Zeit an seiner „Lebensgeschichte“. Vor allem das Kapitel, das die Geschehnisse kurz vor dem 31. Mai 2010 beschreibt, dürfte viele interessieren.